Stepan lächelte. „Ich wollte warm werden. Eine Art Frühsport."
Am gleichen Tage wurde er von meinem Vater zur Miliz vorgeladen.
„Shuikow", sagte mein Vater, „hör gut zu, Shuikow. Ich ermahne dich heute zum letzten Mal. Laß die Dummheiten sein."
Stepan stellte sich verwundert. „Dummheiten? Wie meinen Sie das, Chef?"
„Das weißt du ganz genau. Gesetzesverstöße werden hier nicht geduldet."
„Gesetzesverstöße?" fragte Stepan entgeistert. „Habe ich jemanden beleidigt, eine Schlägerei angefangen, mich betrunken?"
„Hör zu, Shuikow", erwiderte mein Vater, „du machst mir nichts vor. Ich werde dich festnageln. Das ist sicher. Einmal habe ich dich bereits ertappt. Und verwarnt. Wenn du ein zweites Mal erwischt wirst, gehst du ins Kittchen."
„Ach, das meinen Sie", staunte Stepan. „Nein, das ist längst vorbei. Ich habe es aufgegeben. Was dachten Sie? Ich stehe zu meinem Wort. Wo werde ich mich unglücklich machen?"
„Uns machst du unglücklich", verbesserte mein Vater, „uns."
Stepan reckte sich. „Chef, wie sprechen Sie mit mir? Was sollen die Drohungen? Ich bin ein Sowjetmensch, genau wie Sie. Wenn ich mir etwas zuschulden kommen lasse — bitte, dann ziehen Sie mich dafür zur Rechenschaft. Aber beleidigen dürfen Sie mich nicht."
„Du bist ein Dieb, Shuikow", sagte mein Vater, „ein gewissenloser Parasit. Du stiehlst unsere Fische."
„Ich habe einen Plan und erfülle ihn mit hundertzwanzig Prozent. Gelegentlich werde ich beim Bezirkskomitee vorsprechen müssen."
„Sprich vor, bei wem du willst", erwiderte mein Vater.
Natürlich tat Stepan nichts dergleichen. Nach wie vor fuhr er tagsüber seinen „SIL", nachts fischte er im Jenissej an Stellen, die allein er kannte.
Gegen sechs Uhr kehrte er zurück. In seinem Boot schwammen große Blutlachen. Er fühlte sich so sicher, daß er auf die Mühe verzichtete, das Fischblut fortzuwaschen. Zu Hause angekommen, stieg er in den Wagen und verbrachte den ganzen Tag am Steuer. Seine Hände, die das Lenkrad hielten, waren von scharfen Angelhaken zerstochen. Sjowka wunderte sich, wie er das aushielt, und ich staunte auch.
War es möglich, daß Habsucht einem Menschen solche Kräfte verlieh?
Wir bewunderten Stepan und konnten ihn nicht ausstehn. So erging es allen, die ihn kannten. Eines Sonntagabends schlichen wir uns an sein Haus. Feiertags blieb er gewöhnlich daheim. Wir sahen durchs Fenster. Er saß am Tisch und blinzelte gähnend in die Lampe. Daß er nichts anderes tat als gähnen, erschien uns unheimlich. Wir spürten die Finsternis, die Kälte des Abgrunds im Rücken und gingen auf Zehenspitzen davon. Sjowka tastete die Erde ab. Als das Gesuchte gefunden war, holte er weit aus. Gleich darauf klapperte und schepperte etwas auf dem Dach. Es klang merkwürdig hohl. Dann quietschte die Tür. Ein grauer Schatten fiel auf die Treppe.
„Wem juckt denn da das Fell!" schimpfte Stepan.
„Mir", flüsterte Sjowka. Die Tür fiel ins Schloß.
Unsere Angst war wie fortgeblasen.
Sjowka meinte, wir beide könnten Stepan fangen. Im Grunde genommen sei das eine Kleinigkeit. Das ganze Problem bestehe darin, daß unsere Fischer keine Zeit hätten und die von der Kontrolle einen Abschnitt von zweihundert Kilometern überwachen müßten. Was aber meinen Vater angehe — nun ja, das sei ein alter Mann, der nur noch blinde Drohungen ausspreche und der Sache nicht gewachsen sei.
Die letzte Bemerkung erregte meinen Widerspruch. „Er hat ihn schon einmal ertappt."
„Damals war Stepan noch leichtsinnig. Jetzt ist er auf der Hut. Wir müssen ihn verfolgen. Kannst du nicht ein Fernglas besorgen?"
„Nein", erwiderte ich kurz und bündig. Ich war wütend. Er hatte meinen Vater beleidigt.
„Dann werde ich mich eben um eins kümmern", bemerkte Sjowka.
Tags darauf brachte ich ein Fernglas mit.
Es war Juni, weder Tag noch Nacht. Wir gingen im Hellen zu Bett und standen bei Sonnenlicht auf. Zu Hause einzuschlafen fiel schrecklich schwer. Am Ufer war es offenbar leichter. Sjowka hatte die erste Wache. Als ich ihn ablösen wollte, lag er in tiefem Schlaf. Stepan sei bestimmt nicht aufgetaucht, beteuerte er.
Ich fuhr ihn an. „Flunkere nicht. Du hast ja noch das Muster von den Grashalmen auf der Backe. Wir müssen zu zweit aufpassen. Dann kann so was nicht passieren."
Das nächste Mal zogen wir gemeinsam auf Posten. Es war gegen zwei Uhr und ausgesprochen ruhig. Wir hörten das Gemurmel des Stromes. Nicht weit von uns entfernt schwammen einige Taucher auf dem Wasser. Als sie mit den Flügeln schlugen, ging es mir durch und durch: Das ganze Ufer schien davon zu rauschen. Ich starrte auf den Jenissej, bis mir schien, der Fluß hebe sich höher und höher und trete aus den Ufern.
Endlich erblickten wir drüben einen schwarzen Strich, der gegen die Strömung schwamm, bald jedoch hinter den Büschen verschwand.
„Dort gibt es viele Buchten", sagte Sjowka, „merk dir genau die Stelle."
Etwa eine Stunde später kam das Boot wieder zum Vorschein. Es näherte sich der Siedlung. Wir lagen am Rande des Steilufers auf dem Bauch und schauten abwechselnd durchs Glas. Beim letzten Mal sah ich Stepans Gesicht so dicht vor mir, daß ich die Schweißperlen auf seiner Stirn zählen konnte. Shuikow ruderte schnell. Er wollte nicht zu spät zur Arbeit kommen.
Wenige Tage danach bat ich meinen Vater erneut, sein Boot benutzen zu dürfen.
„Nein", war die Antwort, „ich hab's einmal untersagt. Dabei bleibt es."
„Und wenn ich das Boot diesmal sehr dringend brauche?" fragte ich.
„Auch dann nicht. Das ist der Jenissej und nicht der Dnepr."
„Stimmt", sagte ich, „nicht der Dnepr und nicht der Parana."
„Nicht was?"
„Der Parana. Ein Fluß in Südamerika."
„Na schön", meinte mein Vater.
„Und nicht der Rio Grande."
„Na schön. Das Boot bekommst du trotzdem nicht."
„Übrigens ist das ein und derselbe Fluß."
„Daß du mir nicht das Boot anrührst", sagte er warnend.
Natürlich rührte ich es an. Wenn wir Stepan gefangen hatten, würde man uns alles vergeben. Daß wir ihn fingen, stand für uns fest.
Als Vater eingeschlafen war, schlich ich in sein Zimmer, zog die Pistole aus der Ledertasche, schüttelte den Schlüssel auf die flache Hand und tat die Pistole zurück. Sjowka ging einen Schritt weiter. Er brachte das Gewehr seines Vaters angeschleppt, freilich ohne Patronen. Es war eine Jagdflinte, die am ganzen Jenissej nicht ihresgleichen hatte, ein Drilling, bestehend aus zwei nebeneinanderliegenden Läufen für Schrot und einem dritten darüber, für Kugeln.
Gegen dieses Prachtstück hätte man glatt ein Motorboot eintauschen können, aber Sjowkas Vater wollte sich davon nicht trennen.
Um drei Uhr ruderten wir ans andere Ufer, zogen das Boot ins Weidengebüsch und legten uns auf die Lauer.
Es war eine sonnige, windstille Nacht. Unzählige Mücken summten uns um die Ohren. Wir scheuchten sie von den Gesichtern, fuchtelten wie toll mit den Armen, aber die Biester setzten sich auf den Rücken und die Beine und stachen durch die Kleidung. Einige waren dreist genug, sich auf den Händen niederzulassen. Nach einer halben Stunde schien die Haut mit Mückengift gesättigt. Ich verspürte am ganzen Körper ein Kribbeln und Jucken, als hätte ich mich in Brennesseln gewälzt.
„Ich möchte nur wissen, wovon sie sich ernähren würden, wenn wir nicht gekommen wären", meinte Sjowka tiefsinnig.
Nach einer Stunde waren wir dermaßen zerstochen, daß wir schlechte Laune bekamen und uns beinah in die Wolle gerieten.
Zum Glück nahte Stepan. Wir hatten ihn gar nicht bemerkt. Als wir das Plätschern der Ruder hörten, war er nur noch zehn Meter entfernt. Wir erstarrten, wagten uns nicht zu rühren, bis sein Boot hinter einer Biegung des Grabens verschwand. Ich verstehe heute noch nicht, wo ich die Kraft hernahm, fünf Minuten lang diese Strapazen auszuhalten. Als ich beide Hände gegen die Stirn preßte, platzten die prall gewordenen Mücken wie reife Schoten. Es knallte richtig.
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