«Man weiß ja Bescheid, Verehrteste», versicherte die Baronin lachend und zwinkerte mit ihren kleinen listigen Augen. «Es war natürlich Ihre Pflicht und Schuldigkeit, Taubenhaus etwas zu inspirieren, ich weiß es. Er kann ja die Stadt noch gar nicht ordentlich kennen, nicht wahr? Dieses Gemeinschaftshaus, um nur eines zu nennen, welch eine geniale Idee».
Fabian lächelte. Er erklärte, von dem zwölfstöckigen Gemeinschaftshaus in dieser Form erst bei der Rede gehört zu haben.
Die Baronin lachte ihn aus. «Sie sind allzu bescheiden, mein Lieber». rief sie aus. «Ach, wenn nur alle Menschen solche Idealisten wären, wie wunderbar wäre das, welch ein Segen für unser Vaterland! Der Gedanke, einer gemeinschaftlichen großen Sache zu dienen, ist Ihnen schon Lohn genug. Möge Ihnen der große Erfolg Ansporn zu neuem Schaffen für unser geliebtes Vaterland sein! Leben Sie wohl, ich muss eilen. Meine Stellung bei der Frauenschaft macht mir viele Scherereien und Mühe, aber ich bin glücklich».
Tag für Tag erwartete Fabian, etwas von Taubenhaus zu hören. Aber Taubenhaus schwieg, er hatte vorläufig noch keine Zeit. Der Gauleiter war noch in der Stadt, und man sah ihn täglich im Auto durch die Strassen fahren. Vor dem «Ster». standen noch immer die Kübel mit den Lorbeerbäumchen und das Hotel war die ganze Nacht bis zum frühen Morgen hell erleuchtet. Der Gauleiter liebte Diners, Festessen, Bankette, und es war bekannt, dass er fast ohne jeden Schlaf auskam.
Schließlich wurde Fabian unruhig. Er erschien häufiger in seinem Büro und fragte, ob es etwas von Bedeutung gäbe. Aber es gab nichts von Bedeutung.
Mit besonderem Eifer betrieb er seine laufenden Geschäfte. Er hatte wiederholt Konferenzen mit den Brüdern Schellhammer und war in langen Besprechungen bemüht, die hohe Rente durchzusetzen, die Frau Beate forderte. Er hatte häufig auch Rücksprachen mit Frau Beate selbst, denn solch heikle Dinge ließen sich ja telefonisch schlecht erledigen. In Wahrheit aber kam er nur so oft, um Christa wiederzusehen. Sie war unverändert freundlich zu ihm, plauderte frisch und kameradschaftlich und begrüßte ihn mit ihrem innigen Lächeln, das ihn stets stundenlang verfolgte. Sie errötete jetzt häufig, wenn er kam.
Von ihrer kürzlichen Plauderstunde im «Residenzcaf». wurde mit keiner Silbe mehr gesprochen, weder von Christas Schilderung der Christmesse in Palma de Mallorca, die Fabian bis heute nicht vergessen hatte, noch von seinem Blumengruß. Oft überkam ihn das Verlangen, wieder einmal einige Stunden mit ihr zu plaudern, aber er fühlte sich in diesen Tagen zu rastlos dazu.
Einmal schüttelte Christa den Kopf, während sie ihn prüfend betrachtete, und sagte: «Sie scheinen mir reichlich nervös zu sein in letzter Zeit, mein Freund».
Fabian lachte. «Ich weiß e», entgegnete er. «Die letzten Tage waren etwas anstrengend für mich. Aber ich bekomme jetzt bald eine tüchtige Arbeitskraft für mein Büro, die mich entlasten wird. Dann wird es wieder besser werden».
«Hoffentlich kommt die Hilfskraft bald». sagte Christa lächelnd.
Der warme Ton ihrer Stimme erfreute sein Herz.
Er fand sogar die Muße, nach Amselwies hinauszufahren, um mit Sanitätsrat Fahle eine Stunde lang zu plaudern. «Es bahnen sich neue Verbindungen a», sagte er, bemüht, den alten Mann zu trösten, aber er errötete und brach ab, da er in Fahle keine irrigen Hoffnungen erwecken wollte. «Ich bin neuerdings mit Taubenhaus in engere Beziehungen getrete», fuhr er fort, «und hoffe, auf diesem Wege Ihre Sache fördern zu können. Geduld und Mut, das ist alles, worum ich Sie bitte».
Auch Wolfgang ließ nichts mehr von sich hören. Wenn man ihn anrief, war er am Telefon kurz angebunden und fast schroff. «Ich plage mich mit diesem verfluchten „Kettensprenger“». schrie er in den Apparat und hängte ab. Endlich gelang es Fabian, ihn zu einem Karpfenessen in die «Kuge». einzuladen. Aber er war am ganzen Abend wortkarg und schlechter Laune, obwohl der Karpfen vorzüglich war.
«Du trinkst ja heute gar nicht, Wolfgang». beklagte sich Fabian. Wolfgang warf ihm von unten einen raschen, grimmigen Blick zu, einen förmlichen Hieb von Blick. «Beruhige dich nu», knurrte er. «Ich werde mich heute betrinken! Schon aus Wut darüber, dass mein Bruder diese Komödie mitmacht».
Es war heraus. Fabian schoss das Blut in den Kopf.
«Ich muss dir offen gestehen, Wolfgan», begann er, «dass ich dich nur deshalb so hartnäckig anrief, weil ich diese Aussprache herbeisehnte, die mir notwendig schien».
«Und ich». rief Wolfgang, und seine Augen funkelten. «Ich bin überhaupt nur aus dem Grunde hierhergekommen, um eine Erklärung deines Gesinnungswechsels zu erhalten».
«Gesinnungswechsels». Fabian lächelte. «Ich habe meine Gesinnung nicht im geringsten geändert, ich bin noch ganz der alte. Es handelt sich lediglich um eine Formsache».
«Formsache». Wolfgangs Augen waren glühend auf Fabian gerichtet.
«Ja, um nichts anderes». Wolfgang dürfe nicht vergessen, dass er eine Frau und zwei Jungen zu ernähren habe. Bei der Stadt habe man ihn kaltgestellt, als Anwalt habe man ihn boykottiert. Er musste der Partei beitreten, oder sein wirtschaftlicher Untergang war besiegelt. Da er Offizier war, forderte man von ihm, sich einer militärischen Organisation anzuschließen. «Vergiss all das nicht, bevor du urteilst, Wolfgan», schloss Fabian. «Es war die höchste Zeit für mich, zu einem Entschluss zu kommen. In drei Wochen hätte man mir das Büro geschlossen».
Der Bildhauer knüllte seine Serviette zusammen und warf sie auf den Tisch. Er war dunkelrot vor Zorn geworden, und die Purpruröte blieb lange Zeit in seinem Gesicht stehen. «Gewiss, es sind Erpresse», knirschte er, «aber trotz alledem». Auch in der Kunstschule habe man einen neuen Direktor eingesetzt, einen gewissen Sanftleben, einen talentlosen Bilderschmierer, fuhr er fort, und seine Stimme war in der Erregung kaum zu verstehen, und der Neue habe ihm schon häufig deutliche Anspielungen gemacht. Aber er überhörte sie ganz einfach! Sollten sie ihn entlassen, schön. Ihm war es höchst gleichgültig. Dann gehe er für dreihundert Mark in eine Porzellanfabrik, und die Welt ginge trotzdem nicht unter.
Fabian atmete auf, das Schlimmste war vorüber.
«In deinem Beruf gibt es glücklicherweise Porzellanfabriken, und dazu hast du weder für Frau noch für Kinder zu sorge», entgegnete er. «Deine Lage scheint also günstiger».
Der Bildhauer zündete sich eine Virginia an. «Fran», sagte er versöhnlich, während er hastig paffte, da die Zigarre schlecht brannte. «Frank, ich möchte unter keinen Umständen wegen politischer Meinungsverschiedenheiten meinen einzigen Bruder verlieren, verstehe mich recht! Dazu kenne ich dich zur genüge und weiß, dass du nie etwas Unrechtes tun oder billigen wirst. Einmal wolltest du Priester werden und warst durch nichts in der Welt davon abzubringen. Aber als du zur Einsicht kamst, kehrtest du von selbst um. Heute sage ich mir wieder, lass ihn nur, einmal wird er zur Einsicht kommen und umkehren, gerade wie damals».
Fabian streckte dem Bruder die Hand hin. «Darauf kannst du dich verlassen». rief er aus. «Aber wir wollen in diesem Fall ein paar Jahre warten, Wolfgang. Vielleicht, wer weiß es, wirst du einmal die Dinge anders sehen? Vielleicht wirst du es diesmal sein, der sich bekehrt».
Wolfgang lachte. «Ich gebe zu, dass schon manch einer verrückt geworden is», erwiderte er. «Wir werden uns in einigen Jahren wieder sprechen, schön. Heute aber wollen wir von etwas anderem reden. Lassen wir diesen politischen Unsinn, der langsam das ganze Reich in ein Irrenhaus verwandelt. Reden wir lieber von der famosen „Heldenbrücke“ dieses Herrn Taubenhaus. Ich muss noch heute laut lachen, wenn ich an seine grandiose Brücke denke. Friedrich der Große und Germanen mit Bärenfell und Keulen, hahaha».
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