Was nützten denn diese elektrischen Bahnen, auf die man volle fünfzehn Minuten warten musste? Mit der Uhr in der Hand hatte er die Minuten gezählt!
«Die Stadt schläft, ja, bei Gott, sie schläft noch ihren mittelalterlichen Schlaf! Wie ein Donner will ich sie wecken». Hier brüllte er lauter noch als das erstemal. Neue Brücken wollte er schaffen, und er verweilte längere Zeit bei der «Heldenbrück», auf der Friedrich der Große auf stolzem Rosse dahinritt, inmitten von Bannerträgern und Trommlern, von Landsknechten mit Hellebarden und Morgensternen, gefolgt von Germanen mit Streitäxten und knorrigen Keulen. Neues Siedlungsland für Tausende und aber Tausende wollte er erschließen, denn die Stadt würde in zehn Jahren doppelt soviel Einwohner zählen wie heute. Neue Plätze wollte er anlegen, neue Strassen und Durchbrüche schaffen, was alt war und im Wege stand, das musste weichen. Weg damit! Schwere Lastautos müßten mit ihrer Last ungehindert durch die Stadt rollen können. Fort mit dem alten Gerumpel! Er wollte auch dafür sorgen, dass die Stadt einen modernen Bahnhof bekam und einen würdigen Flugplatz. Wie jämmerlich sah heute der Bahnhofsplatz aus! Es war eine glatte Schande! Ein Rausch von Blüten sollte den Reisenden in Zukunft empfangen, dazu das heitere Geplätscher von zwei gigantischen Springbrunnen!
Zwei? Fabian horchte auf. Taubenhaus hatte seinen Entwurf fast wörtlich verwendet. Er hatte darüber hinaus fast alle jene Vorschläge, deren Verwirklichung Fabian für spätere Jahre empfahl, in sein Programm von heute aufgenommen und teilweise ins Phantastische gesteigert. Fabian sprach von einem Umbau des Theaters, bei Taubenhaus wurde es ein völliger Neubau, eine Modernisierung des Bahnhofs wurde bei Taubenhaus ein ganz neues Bahnhofsgebäude. Es war der neue Geist, der stets bis an die Grenzen des Möglichen strebte, ja bis dahin, wo sie ans Unmögliche streiften. «Wer ein Schloss bauen will, darf nicht mit einer Hundehütte beginne», zitierte Taubenhaus wörtlich aus Fabians Entwurf.
Die Leute lauschten und staunten über die verlockende Phantasie des Redners.
Nun schüttete Taubenhaus ein wahres Füllhorn von Reichtümern über die Stadt aus. Neue Industrien, neue Gewerbe wollte er einbürgern, das Handwerk sollte neu erstehen und vervollkommnet werden. Die Bürger saßen mit trunkenen Augen. Ja, das war ein anderer Kopf als dieser ängstliche und vorsichtige Krüger, der war bei Gott ein schöpferischer Kopf! Von den Reichtümern, die über die Stadt dahinströmten, musste auch ein Teil in ihre Taschen fließen, nicht wahr? Ob man Häuser besaß oder nicht, ob man Fabrikant war oder nicht, wenn das Baugewerbe blühte, blühte alles, der Grundbesitz stieg, Bauunternehmer, Tischler, Glaser, Maler, Schlosser, jeder musste reich werden. Die Zuhörer wurden lautlos still und regten sich nicht mehr. Verdienen, verdienen! Reich werden! Die Begierde, Reichtümer zu erraffen, las man in allen Augen. Reich werden, heute, morgen, dann hatte das Leben wieder einen Sinn.
Halt! Etwas hatte Taubenhaus noch vergessen, nein, nicht vergessen, er vergaß nie etwas, ein Mann wie er, er hatte es bis zum Schluss aufgehoben: das Gemeinschaftshaus!
Das Gemeinschaftshaus? Auch das war ein Gedanke Fabians, aber er hatte das Gemeindehaus für die Zukunft als eine Art größeres Klubhaus vorgeschlagen. Taubenhaus aber wollte ein Haus von gigantischen Ausmaßen errichten! Es sollte der Gemeinschaft gehören, den Klubs, den Parteien, dem Sport. Parteien? Gab es denn etwas anderes als die Partei? Einen großen Konzertsaal würde es enthalten, Versammlungssäle, Beratungs- und Kongresssäle, zwölf Stockwerke hoch sollte es emporragen, höher als der Dom, Wahrzeichen der Stadt, der Provinz, Wahrzeichen unserer herrlichen, großen Zeit!
Wo aber sollte das Gemeindehaus stehen? Er hatte sich wochenlang mit seinen Freunden beraten, und endlich hatten sie den geeigneten Platz gefunden. Im Hofgarten, auf der Höhe, wo sich heute der Friedenstempel erhob! Es war eine Anhöhe, die Stadt und Land beherrschte, der zierliche Friedenstempel, den die Stadt nach den Freiheitskriegen errichtete, hatte seine Aufgabe erfüllt und mochte eine andere Stelle des Hofgartens zieren.
Dies war also sein Programm.
Halt! Noch eines! Taubenhaus brauchte Geld, Geld, Geld! Opfer, Opfer, Opfer! Der bekannte Gemeinsinn der Bürgerschaft müsste sich in neuem Glanze bewähren. In seinem Vorzimmer liege eine Liste aus, niemand sollte sich schämen zu zeichnen, ganz wie er sich nicht schämen würde, nachzusehen, was jeder gezeichnet hatte! «Nein, ich werde mich nicht schämen, auf das genaueste nachzusehen». schrie er. Damit verbeugte er sich. Er war zu Ende, und minutenlanger, tosender Beifall, vermischt mit stürmischen Heilrufen, belohnte seine Rede.
Der Gauleiter erhob sich, schritt rasch zum Rednerpult und schüttelte Taubenhaus minutenlang die Hand.
«Taubenhaus wirft die geistigen Motoren der Stadt an». schrieben die Zeitungen. «Taubenhaus erschließt die seelischen Kraftquellen der Stadt».
Die Rede erschien in vollem Wortlaut und bildete tagelang das Gespräch der Stadt. Die Wirtschaften und Weinstuben waren bis lange nach Mitternacht geöffnet, über jeden einzelnen Punkt der Ansprache wurde erregt debattiert. Müdigkeit, Unlust und Mutlosigkeit schienen wie auf einen Schlag überwunden. Pläne wurden entworfen, Gründungen vollzogen, man kaufte, verkaufte, der Unternehmungsgeist erwachte wieder, in vielen Strassen wurden Gerüste aufgebaut. Es ging aufwärts. Maurer und Zimmerleute hatten alle Hände voll zu tun. Wenn Taubenhaus auch nur Versprechungen gemacht hatte und dazu noch Opfer forderte, so lag doch schon der Geruch von Geld in der Luft, eine Ahnung künftiger Reichtümer.
«Ein perikleisches Zeitalter [65] perikleisches Zeitalter – эпоха Перикла, афинского государственного деятеля V в. до н. а; время его правления называют «Золотым веко». демократии
steigt herauf». prophezeite Justizrat Schwabach am Stammtisch in der «Kuge». begeistert. Er wiederholte das Wort «perikleisc». jeden Abend, wenn er seinen Schoppen Wein trank.
«Wenn Taubenhaus auch nur ein Zehntel seines Programms ausführt, so muss man ihm ein Denkmal setzen». «Taubenhaus ist ein Genie».
Die Tür zum Vorzimmer des Bürgermeisters stand offen, und die Leute kamen, um ihre Zeichnungen einzutragen, die täglich mit voller Namensnennung in den Zeitungen veröffentlicht wurden. «Ich bin mit den Zeichnungen zufriede», sagte Taubenhaus zu einem Pressemann, «die erste Million ist erreicht. Ich kenne aber noch viele, die bis heute nicht einen Heller gezeichnet haben, ich warte auf sie. Ich bin unersättlich».
Ein Kaufmann stiftete einen herrlichen Barockschrank für das Städtische Museum. Der Schrank war eine ganze Woche lang im Juweliergeschäft von Nicolai ausgestellt mit einer zierlichen Tafel davor: Stiftung von Kaufmann Modersohn, Flußhafen 18. Der Verschönerungsverein hielt eine Vorstandssitzung in der «Kuge». ab, die bis zum frühen Morgen dauerte. Der Historische Verein veranstaltete einen Tagesausflug nach Amselwies, wo der weißhaarige Professor Hall auf einem mit Unkraut bewachsenen Schutthaufen einen Vortrag über germanische Gräber hielt.
Die Stadt bewegte sich. Schien es nicht, als ob Taubenhaus’ mächtiger Atem wie ein Sturmwind in verlöschende Glut geblasen hätte?
In allen Kreisen der Stadt, besonders in den Damengesellschaften, wurde häufig der Name Fabians in Verbindung mit der aufsehenerregenden Rede genannt. Nun ja, man wusste ja so manches! «Dieser Hübsche, Sie wissen doch, der eine Pracht heiratete und ein Anwaltsbüro unterhält. Wenn Sie etwas brauchen, gehen Sie zu ihm. Der hellste Kopf der Stadt». An einem der ersten Tage erschien auch Frau von Thünen bei Fabian, um ihn zu dem großen Erfolg zu beglückwünschen. «Ja, bei Gott, welch ein überraschender, aber durch und durch gerechtfertigter Erfolg! Wir sind stolz auf Sie, mein Freund, besonders aber Clotilde! Sie wird nicht müde, Ihr Lied zu singen». Fabian wies den Glückwunsch in aller Bescheidenheit zurück.
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