Honoré de Balzac - Physiologie des Alltagslebens
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Aber nicht nur das, auch der Krawatte, ihrer Bedeutung und wie sie zu binden ist, widmet Balzac seine Aufmerksamkeit.
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Table of Contents
Einleitung
Der Rentier
I. Der Junggeselle
II. Der Geizkragen chapolardé.
III. Der Verheiratete
IV. Der Wortkarge
V. Der Militär
VI. Der Sammler
VII. Der Menschenfreund
VIII. Der Pensionär
IX. Der Landbewohner
X. Der Wucherer
XI. Der Stutzer
XII. Der Vorstadt-Rentier
Erstes Kapitel. Definition
Zweites Kapitel. Beweist die Nützlichkeit der Beamten
Drittes Kapitel. Philosophische und transzendentale Geschichte des Beamten
Viertes Kapitel. Unterscheidungen
Fünftes Kapitel. Das Büro
Sechstes Kapitel. Von einigen legendarischen Existenzen
Siebentes Kapitel. Der Hilfsarbeiter
Achtes Kapitel. Beschwörung:
Neuntes Kapitel. Varietäten der Herren definitiven Staatsbeamten
Zehntes Kapitel. Resumé
Elftes Kapitel. Der Bürochef
Zwölftes Kapitel. Der Abteilungschef
Dreizehntes Kapitel. Der Amtsdiener
Vierzehntes Kapitel. Der Pensionierte
Fünfzehntes Kapitel. Die Moral dieser Physiologie
Lehrkurs in sechzehn Lektionen
Plan des Werkes
Von der Krawatte
Ihre Geschichte
Von den Kragen
Sechzehnte und letzte Lektion
Impressum - Kontakt
Honoré de Balzac
Physiologie des Alltagslebens
Unveröffentlichte Aufsätze mit einem Vorwort von W. Fred
Impressum
ISBN 9783955014759
2013 andersseitig.de
Covergestaltung: Erhard Koch
Digitalisierung: Erhard Koch
andersseitig Verlag
Dresden
www.andersseitig.de
info@new-ebooks.de
(mehr unter Impressum-Kontakt)
Einleitung
» Physiologie des eleganten Lebens« ist der erste Band dieser Sammlung unveröffentlichter Aufsätze Balzacs von mir genannt worden, so wie Balzac selbst die eine Abhandlung, die er für irgendeine längst vergessene Zeitschrift geschrieben hatte, betitelt hat. Sie war eine jener vielen Arbeiten, die Balzac für die Stunde und den Tag geschrieben hat, und in denen er ein System, ein Schema eines Lebensausschnittes zu geben sich anschickte. Ein Teil jener großen schematischen Darstellung des Lebens, die dieser große Dichter vorgehabt hat, dem es immer ein Ziel war, schematisch, vollständig, enzyklopädisch zu sein, und von dem es doch keine einzige Zeile gibt, die in einem tieferen Verstande schematisch, langweilig ist.
Man hat unter den Aufsätzen Axiome gefunden. Man hat unter diesen Aufsätzen Beweise und praktische Anweisungen gefunden, man hat unter diesen Aufsätzen, wenn man sie aufmerksam genug gelesen hat, Wahrheiten gefunden, die heute noch ebenso Wahrheiten sind, wie vor Jahrzehnten, im Gegensatz zu jenen andern Wahrheiten, die am nächsten Morgen Lügen sind, und ins Wesen dieser Literatur eindringend, hat Stefan Zweig die Sammlung als Balzacs »Codices vom eleganten Leben« gerühmt.
Dieser zweite Band nun enthält gleichfalls Aufsätze, die Balzac das eine Mal für La Mode oder La Carricature, das andere Mal für irgendeinen journalistisch-aktuellen Sammelband geschrieben hat, und sie handeln wiederum sozusagen von banalen, von gleichgültigen Dingen, vom Alltag. Wiederum der eine von den Dingen der Mode, der andere von den Gebräuchen jener »fashionablen« Menschen, die nicht immer zu der geistigen oder seelischen Elite gehören, und die der Snob verachtet. Und indes er verachtet, spricht er sich selbst sein Urteil, denn er gehört zu ihnen. Man mag in diesem Buche Teile aus einer kleinen Schrift über »Die Kunst, Krawatten zu binden« lesen, und man mag in diesem Buche dann eine »Monographie des Rentiers« finden, wie einen Beitrag zur »Physiologie des Beamten« und eine »Theorie über moderne Reizmittel«.
Das scheint eine sonderbare Zusammenstellung, und dennoch glaube ich, ist der Titel »Physiologie des Alltagslebens« gerechtfertigt. Es handelt sich wirklich immer um Dinge des Alltagslebens, wie es damals war, heute noch ist und morgen sein wird; im Wesen nämlich: denn Balzac hat das Ewige dieser Menschlichkeiten hervorgespürt und drückt es bald aphoristisch, bald logisch deduzierend, immer plastisch aus. Spricht er davon, wie so ein Rentner ist, wie der sich am Morgen erhebt, um seinen langen Tag totzuschlagen, wie er es angefangen hat, um sein Ideal, nämlich dieses Rentnerleben voll Langweile, zu erreichen, spricht er davon, wie ein Beamter es fertig bringt, Seiten mit wichtigen Nichtigkeiten vollzukritzeln, was das dem Staat kostet und was es dem Staate einbringt; spricht er davon, wie man den Kaffee zu bereiten hat, nicht nur, dass er einem schmeckt, sondern damit der Reiz, die stimulierende Kraft auf unser Nervensystem möglichst lange anhält, spricht er davon, wie man seine Krawatte zu binden hat, aus welchem Gewebe sie sein soll und welchen psychischen Charakter so eine Äußerlichkeit ausdrückt, – überall bemerkt man, dass die Stoffe Banalitäten sind, die Art der Behandlung aber jenes sonderliche Gemisch von tiefer Anteilnahme und Ironie, das schon als Ton des ersten Bandes zu bemerken Gelegenheit war. Dies Gemisch von Ironie und Anteilnahme ist vielleicht das Schönste, jedenfalls das Einprägsamste an dem Balzacschen Stile dieser Bücher. Selbst der Spott und Hohn, der da und dort zutage tritt, ist Liebe zu den ironisierten Typen, den ironisierten Zuständen. Gewiss, sentimental, empfindsam ist Balzac seinen Gestalten gegenüber nicht. Seine Beziehung zu ihnen ist manchmal die des Botanikers zu den Pflanzen im Herbarium, des Zoologen zu den aufgespießten Käfern. Ja, man kann schon manchmal an Vivisektion denken, so scharf ist das Messer der Dialektik, so nahe rückt der Betrachter seinen Subjekten als Objekten an den Leib. Nur – die Untersuchung mag noch so scharf sein, sie tötet nicht. Unter Balzacs Feder wachsen die Figuren in eine Wirklichkeit, die größer, stärker ist als jene, die sie hatten, bevor er Lupe und Mikroskop nahm. Und darum glauben wir, Kinder eines späteren Jahrhunderts, in Leuten, denen wir auf der Strasse begegnen, die Modelle zu erkennen, die er vor Augen gehabt hat. Das Büro, das er schildert, scheint das, in dem wir uns gestern den Pass geholt haben, unser Sektassessor ist ein Enkel des Ministerneffen, dem Balzac lächelnd die Hand geschüttelt hat, indes er ihn für die Sektion vormerkte. Die Anteilnahme, die der Balzacschen Kleinkunst, wie wir sie hier vor uns haben, Leuchtkraft gibt, ist die Anteilnahme eines Dichters, dem nichts im Leben gleichgültig ist, sowie es in die Sphäre seiner Spiegelung gerät. Balzac kümmert sich um diese Dinge, Beamte, Rentiers, Tabak und Krawatten, weil er über sie schreiben will. Er hat vielleicht vorher noch nie darüber nachgedacht, wann die Leute angefangen haben, Krawatten zu tragen, wenn er wahrscheinlich auch früher schon darüber nachgedacht hat, wie der Kaffee auf seine Nerven wirkt, wenn er arbeiten will. Aber in dem Augenblick, wo er anfängt, darüber zu schreiben, ob nun der Anstoß die Aufforderung einer Redaktion – heute würde man sagen, der telephonische Anruf eines Zeitungsverlages – ist oder irgendein anderer zufälliger Grund, – von diesem Augenblick an gehört seine ganze Seele diesen Menschen oder Dingen.
Man lese einmal in seinen Briefen an Madame de Hanska nach, wie er schreibt, wie er Korrekturen liest, und man wird wiederum finden, dass durch allen Hass und alle Ironie, mit der er sich selbst, seinen »Schriftstellereibetrieb« – um ein neues Wort aufzunehmen – verspottet, jener Eifer, jenes Fieber sozusagen durchschlägt, das ihn befällt von dem Augenblicke an, wo ein belangloses Thema plötzlich Materie, Stoff, Anlass zu seinen Gedanken und Gefühlen, Bemerkungen geworden ist.
Er hat eine sonderbare Methode. Er fängt historisch an, macht lange Einleitungen, wird dann ungeduldig und bricht ab. Das scheint wie Nachlässigkeit eines Vielschreibers. Hat man aber erst eine Reihe dieser Aufsätze gelesen, so merkt man, dass es doch nicht so ist. Er könnte sich ja seine Einleitungen schenken, wenn es ihm nur um das Füllen von ein paar Seiten, das Einstreichen eines Honorars zu tun wäre. Dieser Mann hat es ja wahrhaftig nicht notwendig gehabt, Zettelkasten auszuräumen, um den Platz zu füllen. Er könnte sicher sein, auch ohne historische Hinweise, auch ohne Erzählen von Anekdoten sein Kapitel fertigzubringen. Es fällt ihm ja wahrhaftig genug ein, und wenn es einmal so aussieht, als hätte er keine eigene Beziehung zu einem Stoff, so fällt ihm eine sonderbare Gruppierung von Worten ein, seine Sätze werden zu Pointen, zu Bitterkeiten, zu Witzen, zu Spötteleien, zu Wehmut, zu Schmerz, ohne dass er mühselig darum ringen muss. Weil ihm eben das Schreiben die Lebensform ist.
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