Jürg Brändli
Roman
Impressum
© 2019 Münster Verlag GmbH, Basel
Alle Rechte vorbehalten.
Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden, insbesondere nicht als Nachdruck in Zeitschriften oder Zeitungen, im öffentlichen Vortrag, für Verfilmungen oder Dramatisierungen, als Übertragung durch Rundfunk oder Fernsehen oder in anderen elektronischen Formaten. Dies gilt auch für einzelne Bilder oder Textteile.
Umschlag und Satz: |
Stephan Cuber, diaphan gestaltung, Liebefeld |
Porträtbild Autor: |
René Widmer, Wald |
Umschlagsbild: |
anyka/ 123rf.com |
Lektorat: |
Manu Gehriger |
Druck und Einband: |
CPI books GmbH, Ulm |
Verwendete Schriften: |
Adobe Garamond Pro, Artegra Sans |
Papier: |
Umschlag, 135g/m 2, Bilderdruck glänzend, holzfrei; Inhalt, 90g/m 2, Werkdruck bläulichweiss, 1,75-fach, holzfrei |
ISBN 978-3-907146-51-4
eISBN 978-3-907146-89-7
Printed in Germany
www.muensterverlag.ch
«Strike, dear mistress,
and cure his heart.»
«Venus in furs», Velvet Underground
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Danksagung
Zürich, im Jahr 2010
Wie jedes Mal hatte er eine rote Rose mit breiten Stacheln gekauft. In der feuchten Kühle eines Blumengeschäfts an der Bahnhofstrasse hatte er sich ein langes Exemplar in durchsichtigen Plastik einwickeln lassen, dessen duftende Blüte noch wenig geöffnet gewesen war. Es war etwas, worauf er wert legte, wenn er sich eine Blume etwas kosten liess. Jetzt sass er im hinteren Teil eines voll besetzten Busses und fuhr stadtauswärts in westlicher Richtung.
Selbstverständlich hätte er sich ein Taxi leisten können. Aber es hätte mit sich gebracht, dem Chauffeur zu erklären, wohin die Reise ging, und das wäre ihm unangenehm gewesen, auch heute noch, nach mehr als einem halben Jahr.
Soweit war er nämlich noch nicht.
Sein Name war Christian Hebeisen.
Er war Mitte zwanzig, und seine ganze Erscheinung richtete sich nach der Mode: Er trug Lederturnschuhe, ein silbernes Hemd, das er sich nicht in die Hosen steckte, sowie einen dicken kurzen Mantel aus hellem Stoff mit Pelzkragen. Die 2347-Brille von Yves Saint Laurent verschattete seine dunklen Augen nach oben hin. Hebeisen trug einen Kurzhaarschnitt. Seine faltenlose, unreife Stirn lief seitlich in ein teuflisches Paar Geheimratsecken aus. Er war von schlankem Körperbau und hatte einen runden Kopf.
Es waren seine Manieren, die ihn unauffällig machten.
In der Strassenbahn bot er älteren Menschen seinen Platz an. Die Touristen fragten ihn nach dem Weg. Bettlern gab er Geld. Es handelte sich beim Schweizer um einen gemütlichen, sympathischen und modernen jungen Mann. Was einen stören konnte, war nur sein Eitles.
Während vor den Scheiben die Kulissen einer Agglommerationsgemeinde vorbeizogen, spielte Hebeisens i-Pod einen Track von Garbage.
I think I’m paranoid and complicated. I think I’m paranoid, manipulated .
Er befand sich auf dem Weg zu einer Frau.
Dabei kannte er noch nicht einmal ihren richtigen Namen. Zuweilen entfiel ihm sogar ihr Gesicht, obwohl sie sich inzwischen alle zwei Wochen sahen und obwohl er wusste, dass sie ihm etwas bedeutete. Er dachte nämlich ständig an sie.
Die Fahrt endete nach zwanzig Minuten an der Haltestelle in einem grossen Industriequartier, wo Hebeisen das öffentliche Verkehrsmittel verliess. Es war bereits am Eindunkeln, und vor den Ampeln einer Kreuzung staute sich der Abendverkehr.
Durch einen diskreten Hintereingang betrat Hebeisen das Treppenhaus eines grossen weissen Gebäudes mit gestalteter Fassade. Im Parterre betrieb ein Tierpräparator sein Handwerk, der lange im Gefängnis gewesen war, weil er seine Frau umgebracht hatte. Hebeisen gehörte nicht zu den Menschen, die so etwas schrecken konnte. Noch kein einziges Mal hatte ihm die Tatsache die Vorfreude genommen, seit sie ihm zu Ohren gekommen war und seit er im Hause Gast war.
Er betrat den Lift und wählte das Stockwerk, auf dem sich der Salon 77 befand. Auf den obersten zwei Etagen, hinter geschlossenen Läden und dichten bunten Vorhängen, wurde hier nämlich ein modernes Bordell betrieben. Es gab einen Empfangsraum mit Erotikmagazinen, diverse Liebeszimmer und eine Folterkammer.
Amanda wartete auf ihn.
Sie trug Stöckelschuhe, einen schwarzen Lederminirock, der attraktiv über ihre Oberschenkel spannte, und einen kurzen grauen Pullover, der eine braune Schulter freiliess sowie den Blick auf einen weissen Träger.
Amanda hatte ein zierliches, herausforderndes Gesicht, und Hebeisen mochte ihr dichtes schulterlanges Haar, das ihn immer irgendwie an sommerliche Baumrinde erinnerte.
Sie war der Mensch, der es geschafft hatte, Hebeisen ein aufrichtiges Band um sein kühles Herz zu legen.
Obwohl es ihm gefiel, nahm Hebeisen dieser Tage in der Stadt viel Festgefahrenes um sich herum wahr. Viele bürgerliche Frauen kleideten sich nach einem Kodex, der sich an der Wahl des Stiefels festmachte und der dann auch ihr restliches Leben definierte. Weibliche Mode hatte seines Erachtens mehr mit gesellschaftlicher Uniform zu tun denn je. Der letzte Schrei, nämlich italienische Reitstiefel mit Schnallen, konnten ihn richtiggehend erschrecken, wenn sie der dominanten Frau standen, von denen sie getragen wurden.
Auch rote Fingernägel, hatte Hebeisen bemerkt, konnten einer solchen Konvention entsprechen.
Von alledem war Amanda frei.
Im Salon bot sie diverse Spielereien an. Für den Herrn kleidete sie sich gerne romantisch, für den Sklaven schlüpfte sie in schwarzes Leder, hie und da spielte sie sogar die Rolle der aufreizenden Krankenschwester. Ihr weibliches Wesen hatte viele Dimensionen, und dadurch empfahl sie sich auch privat für verschiedenste Anlässe und Gelegenheiten. Darin mochte etwas Altmodisches liegen, für Hebeisen machte es Amanda zur begehrenswerten Frau.
Hebeisen wusste, dass in der Art und Weise, wie er Amanda sah, etwas zutiefst Materialistisches lag. Aber beruhte es nicht auf Gegenseitigkeit? Das Vergnügen, das sie beide aus der Beziehung bezogen, gründete ja gerade im Umstand, dass sie keine erwachsene war.
Trotzdem hatte sich Hebeisen in Amanda verliebt.
Lange Zeit war er sich beim Gefühl albern vorgekommen: bei der Angst, auf eine Prostituierte hereingefallen zu sein, wie man so schön sagte. Aber das war es nicht, dessen war er sich inzwischen sicher.
Als er zum ersten Mal hergekommen war und sie sich ihm zusammen mit anderen Frauen zur Auswahl präsentiert hatte, da war sie noch ein Kind gewesen. Danach hatte er sich jeweils direkt mit ihr verabredet, und sie beide, Amanda und Hebeisen, sollten bei ihren Begegnungen an einer Erfahrung wachsen, die über das dunkle Spiel hinausging, das sie dabei trieben. Es hatte damit zu tun, dass sie beide im gleichen Alter waren und dass sie insgeheim darin übereinstimmten, den Anforderungen jener Welt, wie sie sich vor den geschlossenen Läden der Folterkammer abspielte, nicht gewachsen zu sein.
Читать дальше