Da ist sie wieder, dachte Beverly. Mums Angst, … Mums Angst vor Peggys Missgunst.
Das Gästezimmer war einmal Beverlys Zimmer gewesen, doch nichts erinnerte mehr daran. Peggy hatte jegliche Erinnerung an ihre jüngere Schwester aus diesem Raum verbannt. Eine Schlafcouch, ein Kleiderschrank und ein Sessel waren die einzigen Möbel. Der weiß geflieste Boden, die hellblauen schlichten Vorhänge und die weiße Tapete gaben dem Raum etwas Kaltes. Es war nichts vorbereitet. Peggy zeigte ihr wieder einmal deutlich, was sie vom Besuch ihrer Halbschwester hielt. Beverly zog die Schlafcouch auseinander. Sie nahm die Bettwäsche aus dem Schrank, um die Decke zu beziehen, die zusammengeknautscht auf dem Schrank gelegen hatte. Es war ja nur für eine Nacht. Sie blickte aus dem Fenster und sah Peggy mit einer Taschenlampe über den Hof zum Hühnerstall gehen.
Es könnte alles ganz normal sein, es könnte sogar schön sein, ohne diese ständige und sinnlose Eifersucht. Ja, genau das ist es , diese Eifersucht macht alles kaputt. Beverly ging hinunter in die Küche. Was immer ihre Mutter da zusammenbraute, es duftete köstlich. „Wie geht’s dir, Mum?“ Sie schob Melinda ein kleines Bündel Geldscheine in die Schürzentasche und streichelte ihr unsicher über den Rücken. „Das gibst du nur für dich aus, Mum, kauf dir irgendwas Schönes, ja?“
Mrs. Evans blickte auf. „Bevy, du weißt, dass ich nichts brauche. Peggy und Robert sorgen für mich.“
„Ich will, dass du es nimmst, Mum. Kauf dir was Schönes zum Anziehen, irgendwas, nur für dich.“
„Die Küche bräuchte einen neuen Anstrich, Farbe könnte ich kaufen.“ Beverly seufzte.
„Hier sind die Eier, Mum“, Peggy hielt kurz inne, ihr argwöhnischer Blick sprang zwischen den beiden Frauen hin und her,.
„Bevy, du hast ihr doch nicht schon wieder Geld gegeben“, sagte sie vorwurfsvoll.
Melinda senkte schuldbewusst den Kopf.
„Du kümmerst dich auch sonst nicht um Mum, also lass das! Sie hat alles, was sie braucht.“
„Peggy, das ist unfair! Du weißt, dass ich nicht ständig von London rüberkommen kann; ich bin ja auch dankbar, dass ihr bei Mum wohnt und sie nicht allein ist. Aber wirf mir das nicht ständig vor. Du wolltest schließlich nie von hier weg!“
„Ach, Kinder, müsst ihr euch denn immer streiten?“
Peggy rümpfte die Nase, sie verließ mit einem Stapel Teller in den Händen die Küche. „Ich decke den Tisch, Robert wird gleich kommen, und Tante Rebecca ist sicher auch schon im Anmarsch.“
Robert Brown kam pünktlich von der Schicht. Er war Maschinenführer in einer Fabrik in Reading. Nachdem er sich frisch gemacht und umgezogen hatte, gesellte er sich zu ihnen.
Robert und Peggy hatten gleich nach Beverlys Auszug geheiratet und das Haus umgebaut. Beverly war es damals so vorgekommen, als habe Peggy nur darauf gewartet, ihre Schwester endlich loszuwerden. Das war nun schon fast zehn Jahre her. Robert war ein etwas untersetzter Mann, aber seine lebhaften runden Augen strahlten mit einer Selbstverständlichkeit, dass es jeden ansteckte. Sein glattes dunkelblondes Haar war sauber gescheitelt, seine rundlichen Wangen glühten. „Hallo, da ist ja meine allerliebste Schwägerin.“ Er riss sie an sich und drückte sie mit solcher Inbrunst, dass sie glaubte, ihre Rippen würden zu splittern anfangen.
„Hey, Robert. Lass meine Knochen heil.“
„Ja, ja, die Evans-Frauen. Irgendwie hat man nie richtig was in den Armen.“ Er grinste.
Beverly war sich sicher, dass Robert es nur mit ihrer knurrigen Schwester aushielt, weil er alles mit Gelassenheit nahm und selbst ihre Spitzen mit Humor ertrug. Sie mochte ihn. Er strahlte die Herzlichkeit aus, die Peggy fehlte, er brachte Wärme in dieses Haus. Es war schön zu sehen, wie nett er mit seiner Schwiegermutter umging. Es war erstaunlich, wie er es immer wieder schaffte, Peggy trotz ihrer Launen um den kleinen Finger zu wickeln. Er war der ideale Mann für sie, optimistisch, locker und leidensfähig.
Er setzte sich und blickte erwartungsvoll über den gedeckten Tisch. „Na, was gibt es denn Gutes?“
„Kannst du immer nur ans Essen denken, Robert?“, erwiderte Peggy gereizt.
„Ans Essen, ans Kochen und an dich“, lachte er.
„Hör auf damit. Bevy, setz dich da rüber. Wo bleibt Tante Rebecca? Kann sie denn nie pünktlich sein? Sie hat es sicher vergessen. Oder sie treibt sich wieder rum.“ Es klingelte, als Peggy sich gerade gesetzt hatte. Sie stand mit einem wütenden Schnauben wieder auf.
„Ich kann hingehen“, warf Beverly ein, aber Peggy schob sich an ihr vorbei. „Nein, du nicht!“
Rebecca war zwei Jahre älter als ihre Schwägerin, aber im Gegensatz zu Melinda sah man ihr das Alter nicht an. Sie war trotz ihrer dreiundsechzig Jahre ein Hingucker, modisch gekleidet, dezent geschminkt, immer perfekt frisiert. Tante Rebecca war Dauergesprächsstoff in Aldermaston. Beverly wusste, dass ihre Schwester diese Tatsache peinlich fand. Peggy war der Ansicht, dass Rebecca sich völlig daneben benahm, weil sie immer wieder dem einen oder anderen Witwer der Stadt den Kopf verdrehte.
Rebecca verlor keine Zeit und stürmte auf Beverly zu. „Wie lange habe ich dich nicht mehr gesehen? Mein Gott, Beverly, schön wie die Venus.“
„Danke, ich gebe das Kompliment unverändert an dich zurück. Wie geht es dir?“
„Bestens. Ich bin frisch verliebt.“ Rebecca setzte sich neben Robert und puffte ihm mit dem Ellenbogen in die Seite.
Er lachte. „Hilfe, diese scharfe Tante baggert mich immer an.“
Peggys Ausdruck war wie versteinert.
Rebecca nestelte in ihrer Handtasche und zog ein kleines Päckchen hervor. „Schwesterherz, für dich.“
„Wir wollten diese Schenkerei doch sein lassen“, mäkelte Peggy.
„Du vielleicht. Was ich tue, musst du mir schon selbst überlassen. Ich bin schließlich alt genug“, konstatierte Rebecca ruhig.
„Ja, vor allem alt.“
Robert warf seiner Frau einen wütenden Blick zu, aber Rebecca lächelte beschwichtigend. „Was manchmal von Vorteil ist, weil man im Alter viele Dinge nicht mehr so verkniffen sieht.“
„Wenn du das Lotterleben meinst, über das sich alle das Maul zerreißen!“
„Peggy!“ Robert war aufgesprungen; Beverly hatte ihn noch nie mit einem solch unbeherrschten Gesichtsausdruck gesehen. Rebecca zog ihn am Ärmel zurück auf seinen Stuhl. „Liebe Nichte. Wir sollten das klären, bevor wir deiner Mutter den Geburtstag verderben. Merke dir bitte: Es ist ganz allein meine Sache, wie ich mein Leben lebe, solange ich niemandem damit schade. Wenn die so genannten Leute darüber tratschen wollen, so sollen sie es meinetwegen tun. Es lässt mich kalt, weil es mit der Wahrheit wenig gemein hat. Wenn du allerdings glaubst, Peggy, ich würde dir schaden, weil ich die Familie dadurch in den Schmutz ziehe, dann kannst du allen gern sagen, dass du mit deiner Tante nichts zu schaffen hast.“ Sie nahm ihr Glas und prostete allen zu. „Gegen das Gerede kann ich dir übrigens Ohrstöpsel empfehlen. Lasst uns jetzt trinken, auf Melinda Evans und die einundsechzig Jahre, die sie auf dieser Erde weilt.“
Sie stießen an und tranken, während Peggy mit hochrotem Kopf hastig das Zimmer verließ.
„Ja, du hast Recht“, keifte sie, bevor sie die Tür zuschlug, „du und Bevy, ihr seid wirklich eine Schande für die ganze Familie.“
Beverly stand am Morgen früher auf als der Rest der Familie. Sie wollte im Bad fertig sein, bevor sich Peggy darüber beschweren konnte, dass sie es blockierte. Sie hatten noch einen schönen Abend verbracht, ... ohne Peggy. Obwohl Robert ihr nachgegangen war, um sie zu beschwichtigen, hatte sie sich geweigert, in diese Runde zurückzukehren. Sie hatte sich nicht mehr blicken lassen. Robert jedenfalls hatte sich seine Laune davon nicht verderben lassen.
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