1 ...8 9 10 12 13 14 ...24 Tomás konnte sich nicht zu dem Geständnis durchringen, dass nicht eine Verabredung mit seiner Tochter ihn in diese Zwangslage gebracht hatte, sondern ein feuchtfröhlicher Abend im La Flor del Son. Sein Fehltritt war auch so schon schlimm genug.
»Scheiße, Mann, die haben dich reingelegt«, sagte Jaime nachdrücklich und ohne Raum für Spekulationen zu lassen.
»Erzähl mir was Neues. Das wusste ich schon, als dieser Scheißtag heute angefangen hat«, erwiderte Tomás verärgert.
»Okay, ich habe keine Ahnung, warum sie Pamela ermordet haben, und ich weiß auch nicht, wer es getan hat, zumindest noch nicht. Aber die Art, wie sie dich für ihre Zwecke missbraucht haben, könnte ein erster Anhaltspunkt sein: Raúl Coronel ist mit einigen der mächtigsten PRI-Politikern des Landes verbandelt, obwohl er mit verschiedenen Strömungen schwimmt. Es wird also nicht ganz einfach sein, die Hand an der Wiege zu finden. Und als wäre das nicht schon genug, ist er auch noch in ein paar Tourismusprojekte in Los Cabos und Puerto Peñasco verwickelt, die einen Haufen Staub aufwirbeln.«
»Und was hat das mit dem Fall Dosantos zu tun?«
»Alles oder nichts. Das werden wir noch sehen.«
Während der nächsten halben Stunde überlegten sie sich eine Strategie, wie der Situation möglichst schnell und mit allen verfügbaren Mitteln beizukommen sei. Jaime bestand darauf, dass Tomás sich an die Zeitung wandte. El Mundo war nach wie vor die Zeitung mit dem größten Gewicht im Politikbetrieb.
»Es ist wichtig, dass sie sich nicht von dir distanzieren«, sagte er. »Jeder potenzielle Angreifer wird es sich zweimal überlegen, dir ans Leder zu gehen, wenn er damit rechnen muss, dass es als ein Anschlag auf die Zeitung gewertet wird.«
Tomás stimmte ihm widerwillig zu. Für den neuen Verlagsleiter Alfonso Palomar hegte er wenig Sympathien, aber es war auch nicht so, dass sie sich feindselig gegenüberstanden. Palomar nahm seine Beiträge resigniert hin. Er hielt nicht viel von Tomás’ Kolumnen, ging aber davon aus, dass der Journalist mehr Schaden anrichten könnte, wenn er für die Konkurrenz arbeitete.
»Die beste Strategie, um dich vor Widersachern zu schützen, wird sein, die Kosten auf politischer Ebene zu erhöhen. Wegen Salazar selbst mache ich mir gerade weniger Sorgen, schon eher kommt einer seiner Untergebenen auf die Idee, seinem Boss einen Gefallen zu tun, indem er dir einen Denkzettel verpasst.«
»Dann wäre es vielleicht das Beste, wenn ich für ein paar Tage untertauche, bis sich der Sturm wieder gelegt hat.«
»Im Gegenteil. Du musst dir jetzt wichtige Verbündete suchen. Aktiviere deine Freundschaften mit anderen Journalisten und Moderatoren. Bist du noch mit Carmen Aristegui befreundet? Sie soll dich unter irgendeinem Vorwand in ihre Sendung einladen. Ihre Einschaltquoten sind nach wie vor die besten im Morgenprogramm, oder?«
»Aber wenn ich noch tiefer in diese Sache einsteige, wollen sie mich doch erst recht zum Schweigen bringen – und dann auch um jeden Preis. Außerdem weiß ich überhaupt nichts über den Mord an der Dosantos. Hatte sie wirklich eine Beziehung mit Salazar?«
»Die Idee ist nicht, dass du weiter darüber schreibst. Aber es wäre durchaus von Vorteil, wenn dein nächster Artikel richtig einschlagen würde, irgendeine Enthüllung von breitem öffentlichem Interesse. Damit stündest du erneut im Scheinwerferlicht – der beste Schutz überhaupt.«
Tomás gefiel der Gedanke, dass seine Kolumnen wieder für politischen Zündstoff sorgen würden, wie sie es vor zehn Jahren eine Weile lang getan hatten. Er hatte seit Langem keine nennenswerte Exklusivmeldung mehr gehabt, außer natürlich der aktuellen, mit der er sich jetzt in die Nesseln gesetzt hatte.
»Mach dir keine Vorwürfe«, tröstete ihn Jaime, der seinen Kummer erriet. »Der Hinweis auf den Dosantos-Tatort war einfach zu gut, um ihn zu ignorieren. Hör zu, ich werde dir Material für eine gute Story besorgen, die die nächsten Wochen gut abdeckt. Du wirst der meistgelesene Kolumnist im Land sein.«
Tomás nickte erleichtert, obwohl er sicher war, dass Jaime ihn damit auch für seine eigene politische Agenda einspannte, deren Ausrichtung er nicht kannte. Und wieder einmal werden wir uns gegenseitig ausnutzen , dachte Tomás, und eine schmerzhafte Erinnerung an Amelia stieg in ihm hoch.
»Schließen wir vorerst aus, dass du das Land verlassen musst, aber ich rate dir, Visum und Reisepass trotzdem immer bei dir zu haben.« Jaime griff in die Tasche seines Sakkos und zog einen verschlossenen Umschlag heraus, in dem sich unverkennbar ein beachtliches Geldbündel befand. »Und das hier, nur für den Fall.«
Tomás bedankte sich für die Geste, wies das Angebot jedoch mit festem Blick zurück. Er widerstand der Versuchung, die Summe in dem Umschlag zu schätzen. Nur ganz kurz gab er sich dem Gefühl von Erleichterung hin, das er schon bei der bloßen Vorstellung empfand, sich für einige Monate ans Mittelmeer abzusetzen.
Jaime steckte den Umschlag zurück in die Sakkotasche, und das Lächeln, das dabei um seine Lippen spielte, ärgerte Tomás.
Gut möglich, dass sie mir in ein paar Stunden eine Kugel durch den Kopf jagen, aber hier sind wir, wie eh und je, und spielen uns auf wie zwei Alphamännchen , dachte er und erinnerte sich an eine entsprechende Bemerkung von Amelia.
»Wir sehen uns morgen Abend, und ich bringe dir was für deine nächste Kolumne mit. Sag Amelia und Mario Bescheid, dass sie auch kommen sollen. Bis dahin haben wir einen Überblick über die Situation und können besser beraten, wie wir in der Sache weiter vorgehen. Um zehn Uhr im Café des Reina Victoria auf dem Paseo de la Reforma, okay?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, klopfte ihm Jaime zum Abschied auf die Schulter und ging in Richtung eines der hinteren Treppenhäuser davon. Tomás blickte ihm nach und wurde sich plötzlich bewusst, wie sehr Jaime seinem Vater ähnelte: die entspannte, selbstsichere Art, sich zu bewegen, und die natürliche Eleganz, die er ausstrahlte, selbst wenn er einfach nur ruhig dastand. Ein plötzlich aufsteigender Ärger brannte ihm in der Kehle.
Montag, 25. November, 11.30 Uhr
Mario
Er hätte weniger Bücher von Paul Auster und Murakami lesen sollen und dafür mehr von Tom Clancy und Dan Brown, dachte Mario, als er Tomás’ Appartement verließ. So viel er auch nachgrübelte, er hatte einfach keine zündende Idee, wie er seinem Freund helfen konnte, er vermochte nicht einmal die Gefahr einzuschätzen, in der sich dieser befand. War das nicht alles ein bisschen übertrieben? Wenn der Innenminister seinen Freund unter Beobachtung stellte oder, noch schlimmer, eine Vergeltungsmaßnahme gegen ihn plante, gab es dann überhaupt noch ein Entrinnen? War es womöglich schon zu spät? Vielleicht folgte ihm gerade jetzt einer von Salazars Schergen auf seinem Weg zur EcoBici-Station. Er stellte sich vor, wie er sich auf seinem Leihfahrrad abstrampelte und entgegen der Fahrtrichtung durch Einbahnstraßen jagte, um seinem Verfolger zu entkommen. Ob die Leibgarde des Innenministeriums wohl einen Account bei EcoBici hat? , fragte er sich, während er einen Blick über die Schulter warf, ob er unfreiwillig jemanden im Schlepptau hatte.
Das Radfahren und der frische Wind, der über die Avenida Ámsterdam wehte, beruhigten seine Nerven. Auf dem Fahrrad merkte er das steife Bein kaum. Als er durch die Colonia Condesa radelte, kam er sich vor wie in Amsterdam. Sich kostenlos ein Fahrrad zu schnappen und es eine Viertelstunde später wieder an einem öffentlichen Platz abzustellen, das war wie in Europa. Abgesehen von der Situation, in der er sich gerade befand: Holländer wurden in der Regel sicherlich nicht von der Geheimpolizei verfolgt.
Читать дальше