»Okay, wir lassen es auf einen Versuch ankommen. Aber nur, weil ich aktuell dringend Hilfe brauche, nicht, weil ich dir vertrauen würde. Du kannst im Gästehaus bleiben, dort ist auch eine kleine Küche. In dem großen Schrank im Flur ist Kleidung vom Vorbesitzer des Hofes. Vielleicht passt dir ja etwas davon.«
Er macht einen Schritt auf mich zu und hält mir seine rechte Hand hin. »Ich danke dir, du wirst es nicht bereuen. Mein Name ist Patrick.«
Seine Augen blicken in die meinen und es ist mir nicht möglich, die Verbindung zu lösen.
Unbewusst fange ich an, ihn genauer zu betrachten. Es ist nicht so, dass er mich an meinen verstorbenen Mann erinnert, auch wenn die Männer zweifelsfrei einige Gemeinsamkeiten haben. Das ungestüme Wesen und doch zugleich eine wortlose Verbindlichkeit, auf die ich mich immer verlassen konnte. Auch hatten mich an meinem Mann die muskulösen Arme fasziniert. Bei Patrick sind die Muskeln anders verteilt. Sein ganzer Körper erzählt von einer entbehrungsreichen Zeit, in der offensichtlich wenig Nahrung und hohe körperliche Anstrengung dafür gesorgt haben, dass seine Muskeln die Aufgabe übernehmen, für die sie von der Natur auch gemacht sind.
»Freut mich, ich bin Elena. Wenn du dich eingerichtet und etwas gegessen hast, komm zu mir an das Haupttor. Dort sind mehrere Zäune kaputt. Hinter der kleinen blauen Tür im Haus findest du passendes Werkzeug.«
Er streckt sich und es sieht fast so aus, als wenn sein Körper damit eingeschaltet wird. Wie ein stahlharter Roboter läuft er aufrecht und bereit auf sein Ziel zu, nicht ohne mich dabei mit dem Unterarm zu streifen. Ob es Absicht ist? Ich mache mir darüber keine Gedanken – dank seinem vorherigen Angebot, dass ich alles von ihm haben kann. Wie lange ist es her, dass ein Mann mich berührt hat? Viel zu lange. Das merke ich in dem Moment, wo der Hautkontakt entsteht.
Ich bleibe vor der Scheune stehen und schaue ihm nach. Wenn ich schon hier bin, kann ich auch direkt die Ziegen füttern, die im Gatter nebendran stehen. Für sie ist der Heuvorrat gedacht, denn im nahenden Winter gibt der Boden nicht genug Nahrung her. Der selbstgemachte Ziegenkäse ist bei den Bergleuten immer heiß begehrt, wenn sie hier zu Gast sind.
***
Über den Tag bin ich gut beschäftigt und vergesse ganz, dass ich einen unbekannten Besucher habe. Doch gelegentlich finde ich erledigte Arbeit vor und brauche einige Sekunden, bis mir einfällt, dass ich nicht mehr allein bin. Anscheinend sieht Patrick, wo Bedarf ist, und packt selbstständig an. Eine sehr günstige Eigenschaft.
Bis zum Nachmittag ist er fleißig und nimmt sich vor allem die Sachen, die körperlich anstrengend sind, vor. In mir flammt Dankbarkeit auf, denn manches war mir tatsächlich zu schwer und mir fehlte eine starke Hand, die ich hätte bitten können.
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Als der Tag sich dem Ende neigt, bereite ich meinen beliebten Eintopf zu. Es lohnt sich, eine größere Menge anzusetzen, denn bereits am nächsten Tag erwarte ich eine Reisegruppe. Kaum ist das Essen fertig, tritt Patrick in meine Küche und wartet schnüffelnd in der Tür. Der Geruch hat ihn hergelockt, typisch Mann. Ich bitte ihn herein und gemeinsam setzen wir uns an den großen Esstisch. Beim Essen unterhalten wir uns über Gott und die Welt. Patrick ist erstaunlich belesen und hat viele lustige Geschichten zu erzählen. Als er gähnt, erkenne ich auch meine eigene Müdigkeit.
»Ich zeig dir, wo du heute Nacht schlafen kannst«, sage ich. »Auch wenn du einen guten Eindruck machst, du bist ein Fremder und ich muss vorsichtig sein. Daher lasse ich dich vorerst nicht ins Haus.«
»Das machst du auch völlig richtig, dafür habe ich vollstes Verständnis.«
Misstrauische Menschen könnten nun denken, er will mich in Sicherheit wiegen. Doch ich bin zu kaputt, um darüber nachzudenken, was er anstellen könnte. Im Grunde gibt es keine Garantie für irgendwas. Auch ein gut ausgewählter Angestellter, den ich fürstlich bezahle, kann mich bestehlen oder nachts erwürgen.
Wir gehen zusammen in die Scheune, in der ich ihn am Morgen gefunden habe. Sein Rucksack und ein paar Kleinigkeiten liegen immer noch an der gleichen Stelle. Während ich ein Bett im Gästehaus überziehe, steht er plötzlich sehr dicht hinter mir und berührt meinen Arm, genauso wie heute früh. Und wieder bekomme ich Gänsehaut. Ich kann nicht verhindern, dass es passiert, und auch nicht, dass er es sieht. Ich fühle mich unsicher und bevor ich entscheiden kann, was ich tun soll, spüre ich seine Lippen in meinem Nacken. Seine Hände sind vorsichtig auf meinen Hüftknochen.
Bevor ich es als angenehm empfinden kann, mache ich einen Schwung zur Seite und hebe meinen Arm zum Schlag. Mein Atem geht schneller, der ganze Körper wird von Adrenalin durchflutet und steht auf Alarm. Ich kann mich wehren, wenn es nötig ist, doch ich will nicht wahrhaben, dass mein Bauchgefühl mich getäuscht haben soll. Er ist kein gewalttätiger Typ, ein ernsthafter Angriff kann das hier nicht sein.
Patrick reagiert genauso erschrocken wie ich und zieht sich sofort zurück. In seinem Blick sehe ich Panik und das beruhigt mich umgehend.
»Mein Fehler«, sagt er schnell. »Ich habe da wohl etwas falsch interpretiert, tut mir leid. Es kommt nicht wieder vor, versprochen!« Er bleibt auf Abstand.
Anstatt etwas zu sagen, verlasse ich den Raum. Ihn vom Hof zu werfen, bringe ich nicht fertig, denn ich brauche ihn. Zumindest für die nächsten Tage, sonst bin ich pleite. Also gehe ich zügig in die Sicherheit des Haupthauses, schließe gut ab und rede mir ein, dass es ein Versehen war.
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Am nächsten Morgen ist er bereits aktiv, als ich aufstehe. Ich sehe ihn auf dem Dach eines Schuppens die morschen Bretter auswechseln. Ich frühstücke in Ruhe und beginne dann meine eigene Tagesroutine.
Er grüßt mich höflich, bleibt aber auf dem Dach und verhält sich ruhig. Ein unausgesprochenes Zeichen für eine friedliche Zusammenarbeit.
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Die Tage vergehen und Patrick bleibt anständig. Keine Spur mehr von Annäherung, Flirten oder gar ernsthaftem Interesse. Auf der einen Seite macht es die Arbeit mit ihm einfacher, doch etwas in mir ist auch enttäuscht und schimpft mit mir. Wieso hast du es nicht zugelassen? Die Auswahl guter Kerle in der Wildnis ist gering und du bist lang genug allein gewesen. Widersprüchlich wie wir Frauen manchmal sind, reagiert auch mein Innenleben. Die Anmache war dreist und zu früh, doch gleichzeitig fühle ich mich geschmeichelt und mochte den Moment, als es geschah.
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Immer wieder erhalte ich Post von der Bank. Es wird Zeit, das zu klären, also setze ich mich auf meine Veranda und telefoniere mit dem Berater. Wir diskutieren nicht zum ersten Mal über meine finanzielle Lage. Doch nun ist es eng. Wenn ich mein Konzept nicht überdenke, werde ich die Kredite nicht mehr tilgen können. Es weiter zu verzögern, wird nicht funktionieren, ich muss handeln. Ein Mitbewerber hatte mir schon vor Wochen angeboten, mir die Kletterausrüstung abzukaufen. Doch dann fehlt mir die Grundlage fürs Geschäft und ich befürchte, das Gästehaus bleibt danach leer.
Wir gehen mehrere Ideen durch, unter anderem die Idee eines Teilverkaufs oder die Vermietung einzelner Teile. Doch ich will keine Pächter, die hier mitreden und möglicherweise alles auf links drehen. Ein Ergebnis erzielen wir nicht, trotzdem macht er mir klar, dass ich nur noch bis zum Ende des nächsten Monats Zeit habe, danach wird der Geldhahn zugedreht.
Seufzend lege ich auf und erblicke im Augenwinkel meinen Helfer. Ob er alles mitgehört hat? Wenn ja, ist es nicht mehr zu ändern und vielleicht gut so. Dann ist auch ihm wirklich klar, dass hier keine Bezahlung zu erwarten ist. Allerdings tut mir das mehr weh als ihm. Gern hätte ich jemanden fest angestellt, um alles stemmen zu können.
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