DIVARA
Du warst jetzt wirklich rasend.
MATTHYS
Ich überlasse es dir. Entweder du bekehrst sie, oder sie werden gnadenlos vertrieben. Ohne Hab und Gut. Samt Weibern und Kindern. Die Häuser der Gottlosen kriegen die Zugezogenen. Wir müssen uns rasch vermehren, damit die Wiederkunft Christi für nächstes Ostern vorbereitet ist. Sonst stehen wir wie völlige Vollpfosten da.
DIVARA
Wie soll ich die Gottlosen bekehren?
MATTHYS
Lass deine Reize spielen, was weiß ich! Ich nehme ein paar Männer mit und reite zum Bischofslager. Ich werde seine Landsknechte bekehren und der Belagerung der Stadt endlich ein Ende setzen!
DIVARA
Wie willst du das schaffen!
MATTHYS
Bereite den Heldenempfang! (Matthys ab. Kurz vorm Abgehen, Blick nach oben gerichtet) O, lieber Vater, nicht wie ich will, sondern wie du willst. (Matthys dreht sich zu Divara.) Gottes Friede sei mit euch allen! (Matthys ab.)
5. Die Unruhen im Bischofslager
Kurz vorm Sonnenaufgang. Jan van Leiden und Knipperdolling patrouillieren auf dem Marktplatz. Aus dem Bischofslager ist das Rauschen der Geschosse zu hören und das Licht des aufflammenden Feuers zu sehen.
KNIPPERDOLLING
Heute toben die drüben wie die Wilden!
JAN VAN LEIDEN
Gibt es einen Grund?
KNIPPERDOLLING
Gestern Nacht haben wir das Munitionslager des Bischofs in Wolbeck in Brand gesteckt. Und ein mit Menschenkot gefülltes Fass in das Lager der Bischöflichen hineingebracht. Du hättest deren Gesichter sehen sollen, als sie eifrig hineingestochen haben. Bespritzt mit Täuferkot.
Der Junge läuft auf dem Marktplatz vorbei.
JAN VAN LEIDEN
Was machst du hier?
DER JUNGE
Ich sammele Lehm.
JAN VAN LEIDEN
Lehm?
Der Junge wickelt den Lehmklumpen aus dem Papier.
DER JUNGE
An der Stadtmauer. Von drüben werfen sie guten Lehm rein. Mit den Flugschriften.
Jan van Leiden faltet das Papier auseinander.
JAN VAN LEIDEN
Was steht da drin?
DER JUNGE
Keine Ahnung. Ich brauche nur den Lehm.
JAN VAN LEIDEN
Was machst du mit dem Lehm?
Der Junge lächelt.
KNIPPERDOLLING
Das ist sein Geheimnis. Das verrät er keinem.
JAN VAN LEIDEN
(zum Jungen) Ich habe auch ein Geheimnis. (Jan van Leiden führt ein Kunststück vor, das den Jungen sehr beeindruckt.)
DER JUNGE
Wie geht das?
JAN VAN LEIDEN
Ich verrate es dir. Schau gut hin. (Jan van Leiden führt den Trick dem Jungen langsam vor.)
DER JUNGE
Stark!
JAN VAN LEIDEN
Behalt’s für dich.
DER JUNGE
Soll ich dir mein Geheimnis verraten?
JAN VAN LEIDEN
Nur wenn du es möchtest.
DER JUNGE
(flüstert) Ich baue einen Golem.
JAN VAN LEIDEN
Einen Golem?
DER JUNGE
Er wird uns helfen.
JAN VAN LEIDEN
Ein künstlicher Erlöser?
(Der Junge nickt und rennt weg. Jan van Leiden fliegt über den Text.)
Hier kommt keiner mehr heil raus. Die Stadt ist von außen abgeriegelt. Auf Bischofs Befehl wird auf jeden geschossen, der die Stadttore passiert.
KNIPPERDOLLING
Das ist eine Kriegserklärung.
JAN VAN LEIDEN
Es ist wichtig, die Kontrolle über die Lage zu behalten.
KNIPPERDOLLING
Ich habe schon lange die Idee, dass man die Spitzen der Kirchtürmer in der Stadt abschlagen und darauf Plattformen für Kanonen einrichten sollte.
Jan van Leiden findet die Idee hervorragend, zeigt es aber nicht.
JAN VAN LEIDEN
Ob das die Städter gut heißen werden?
KNIPPERDOLLING
Ja, wir dürfen das durch Rothmann gewonnene Vertrauen der Städter nicht aufs Spiel setzten. Du hast Recht.
JAN VAN LEIDEN
Immer.
(Knipperdolling schaut ihn stutzig an.)
Gewöhne dich einfach dran. Ich habe immer Recht. (Jan van Leiden wendet sein Gesicht nach oben.)
JAN VAN LEIDEN
Ich sehe vier Engel auf den vier Ecken der Erde stehen, die die vier Winde der Erde festhalten, damit kein Wind wehe auf der Erde noch auf dem Meer, noch über irgendeinen Baum.
Und ich sehe einen anderen Engel von Sonnenaufgang heraufsteigen, der das Siegel des lebendigen Gottes hat; und er ruft mit lauter Stimme den vier Engeln zu, denen es gegeben worden ist, die Erde und das Meer zu beschädigen, und sagt: Beschädigt nicht die Erde noch das Meer, noch die Bäume, bis wir die Knechte unseres Gottes an ihren Stirnen versiegelt haben.
Und ich höre die Zahl der Versiegelten: 144.000 Versiegelte, aus jedem Stamm der Söhne Israels.
Aus dem Stamm Juda 12.000 Versiegelte, aus dem Stamm Ruben 12.000, aus dem Stamm Gad 12.000, aus dem Stamm Aser 12.000, aus dem Stamm Naphtali 12.000, aus dem Stamm Manasse 12.000, aus dem Stamm Simeon 12.000, aus dem Stamm Levi 12.000, aus dem Stamm Issaschar 12.000, aus dem Stamm Sebulon 12.000, aus dem Stamm Joseph 12.000, aus dem Stamm Benjamin 12.000 Versiegelte.
Und ich sehe die heilige Stadt, das neue Jerusalem, aus dem Himmel herabkommen von Gott, bereitet wie eine für ihren Mann geschmückte Braut.
7. Die Königin (Fortsetzung der Szene 5)
Im Nebel erscheint eine weibliche Kreatur, sie lässt ihren durchsichtigen Schleier auf den Boden fallen und steigt - ausschließlich mit ihrer hüftlangen roten Haarmähne bedeckt – in den Springbrunnen mitten auf dem Domplatz. Mit ihrem seherischen Blick nimmt sie van Leiden und Knipperdolling nicht wahr.
JAN VAN LEIDEN
Wer ist sie?
KNIPPERDOLLING
Divara, Matthys’ Frau, eine Prophetin.
DIVARA
(hebt die Augen und die Hände zum Himmel empor) Seht nach oben, liebe Brüder und Schwestern, seht hinauf und hebet den Kopf hoch! Ich sehe Gott in seiner Glorie in den Wolken leuchten und die Siegesfahne in der Rechten tragen.
(Eine Flüchtlingskolonne zieht am Marktplatz vorbei.)
Weh euch, Gottlosen, die ihr hartnäckig im Bösen seid. Bekehrt euch! Ich sehe den himmlischen Vater mit vielen tausend Engeln in der Höhe, wie er euch Schlimmes droht. Wehe, wehe euch Gottlosen. Bekehrt euch! Jener große und schreckliche Tag des Herrn ist da. Bekehrt euch! Wenn ihr der Strafe Gottes entgehen wollt, nehmt das Zeichen des Bundes!
Aus der Ferne sind die Stimmen der Flüchtlinge zu hören.
FLÜCHTLINGE
Reicht es euch nicht, dass ihr uns unsere Häuser genommen, unsere Vorräte geplündert, Geld und Schmuck eingezogen habt. Jetzt giert ihr auch noch nach unseren Seelen!
FLÜCHTLINGE
Du redest mit ihnen, als ob das vernünftige Menschen wären! Das sind Besessene!
FLÜCHTLINGE
Der Teufel hat sie dahin gebracht, dass sie alles tun und wollen, was der Teufel selbst tut und will.
FLÜCHTLINGE
Lasst uns nicht aufhalten. Nichts wie weg hier.
DIVARA
Kommt alle her und hört die Stimmen der Heiligen! (Divara dreht sich immer ekstatischer um ihre eigene Achse herum.)
FLÜCHTLINGE
Das ist die Satansstimme, die aus euren Mündern spricht.
FLÜCHTLINGE
Gottlose Sekte!
Ein älterer Herr, Schmied Mollenheck, eilt von der Seite des Kreuztores herbei.
MOLLENHECK
Halt! Bleibt hier! Draußen wird geschossen! Alle Torausgänge sind verbarrikadiert. Der Bischof hat die Schlinge zugezogen. Die Stadt ist ringsum dicht.
FLÜCHTLINGE
Ach, rette, rette, rette!
FLÜCHTLINGE
Ist niemand da oben, der uns retten kann!
FLÜCHTLINGE
Kommt, lasst uns doch versuchen.
FLÜCHTLINGE
Es hieß, bis zum Sonnenaufgang dürfen alle, die nicht wiedergetauft sind, die Stadt heil verlassen.
FLÜCHTLINGE
Die Sonne ist noch nicht voll aufgegangen. Kommt, wir versuchen’s!
FLÜCHTLINGE
Wir sind viele, sie werden nicht gleich auf uns alle schießen.
Man hört mehrere Schüsse aus der Richtung des Kreuztores.
Читать дальше