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Seit ich dich kenne ...
Roman
Jascha Alena Nell
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Lektorat: Melanie Wittmann
Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM: www.literaturredaktion.de
Titelbild: unter Verwendung von Bildern von © Artem Furman + © KatyaKatya - lizenziert Adobe Stock
Songs zitiert nach: I‘ll stand by you von The Pretenders + Almost lover von A Fine Frenzy
ISBN: 978-3-86196-724-8 - Taschenbuch
ISBN: 978-3-96074-217-3 - E-Book
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Prolog
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
Epilog
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Abiturfeier, Sommer 2002
Edda: Irgendein Typ stieß mich an und um ein Haar kippte ich mir meinen Sekt über das teure orangegoldene Abendkleid, das ich unbedingt hatte haben wollen und auf das ich so lange gespart hatte.
„Hey, Idiot, pass doch auf!“, fauchte ich verärgert und drehte mich um, um zu sehen, welche Flachzange mich da so unsanft angerempelt hatte.
Ich kannte den Typen flüchtig vom Sehen, irgendein Idiot aus der Parallelklasse. Also, aus der Parallelklasse, die unsere Klasse auf den Tod nicht ausstehen konnte ‒ die verhasste 13c. Das waren alles Angeber, Rassisten oder arrogante Schnösel, die sich für was Besseres hielten und andere Leute gerne runtermachten. Mit denen hatte ich absolut nichts am Hut, zumal einige von ihnen zu meinem Leidwesen mit mir den Spanischunterricht besucht hatten.
Der hier war nicht in meinem Kurs gewesen, ich kannte ihn aber trotzdem. Sein Ruf eilte ihm voraus, er war nicht nur auf unserer Schule, sondern weit darüber hinaus an sämtlichen anderen Bildungsanstalten der Gegend berühmt-berüchtigt ‒ als Herzensbrecher, Frauenheld, arroganter Fiesling, eingebildeter Macho, Gangführer, Rebell. Wie der sein Abitur geschafft hatte, war mir schleierhaft. Vermutlich hatte er die Lehrer irgendwie bestochen, Geld genug hatte er ja. Oder besser gesagt, sein Vater hatte genug Geld. Ob er ihm das allerdings geben würde, wagte ich zu bezweifeln. Es war kein Geheimnis, dass Vater und Sohn nicht die beste Beziehung hatten. Kein Wunder, wenn man sich die Kreise ansah, in denen der Junior sich bewegte.
Christopher Waldoff, genannt Chris, nahm Drogen, trank und kiffte, schlief jede Woche mit einem anderen Mädchen, klaute, obwohl er genug Kohle hatte, um sich alles kaufen zu können, und behandelte alle außer seinen komischen Freunden von oben herab, als wären sie sein Personal. Er war ein total ätzender Kotzbrocken, zugegeben, ein ziemlich gut aussehender, aber nichtsdestotrotz ein Kotzbrocken.
„Sorry“, sagte er jetzt und musterte mich von oben bis unten. „Eh, bist du nicht so ’ne spießige Streberin aus der 13a? Einserabschluss oder was?“
„Eh ist schon mal gar nicht“, entgegnete ich angewidert und machte einen Schritt zurück, da er beim Sprechen kleine Spucketröpfchen auf mich abfeuerte. Keine Ahnung, ob das Absicht oder er schon so besoffen war, dass er das gar nicht mehr mitbekam.
Er legte den Kopf etwas schief, seine großen schokoladenbraunen Augen verharrten unverschämt lange auf meinem weit ausgeschnittenen Dekolleté und eine dunkle Stirnlocke fiel ihm in die Augen. „Ziemlich großes Mundwerk, Kleine“, merkte er an und grinste dreckig. „Wie heißt’n?“
„Das geht dich einen feuchten Dreck an“, zischte ich und machte einen weiteren Schritt nach hinten.
Er zuckte unbekümmert die Achseln. „Interessiert mich eigentlich auch nicht“, ließ er mich wissen, „ich wollte nur nett sein. Dachte, du freust dich vielleicht, wenn mal ’n Kerl mit dir redet.“
Pah! Vor Empörung schnappte ich nach Luft. Wie selbstgefällig und arrogant konnte man eigentlich sein? Als ob ich mein Leben lang darauf gewartet hätte, dass ein Arschloch wie er mich ansprach!
„Tja, weißt du, wenn der Kerl, der mich anquatscht, wenigstens einen höheren IQ als eine Banane hätte, würde ich mich vielleicht wirklich freuen“, verkündete ich mit schneidender Stimme. „Aber ich fürchte, da bin ich bei dir an der falschen Adresse.“
„Eh, du gehst mir ganz schön aufn Sack mit deiner vorlauten Klappe, Kleine“, sagte er und sah mit einem Mal echt angepisst aus. Wahrscheinlich war er total stoned.
Sicherheitshalber wich ich einen weiteren Schritt zurück, obwohl ich keine Angst vor ihm hatte. Was sollte er mir schon groß antun, schließlich waren wir von zahlreichen Menschen umringt. Alle waren bester Stimmung, in Feierlaune, und das war ja auch vollkommen logisch. Mann, wir hatten das Abi in der Tasche, alle Türen standen uns offen, eine goldene Zukunft lag vor uns, wir konnten alle Wege gehen, die wir gehen wollten. Jetzt begann das wahre Leben und ich war mehr als bereit dazu. Nicht umsonst hatte ich die vergangenen Jahre gelernt wie eine Irre, besonders in diesem Jahr hatte ich mich richtig reingehängt, um eine Eins vorm Komma zu haben. Und ich hatte es geschafft, mit einem Abischnitt von 1,4 konnte mir eigentlich nicht viel passieren.
Ich sollte glücklich sein, tanzen und Luftsprünge machen, mit meinen Freunden zusammen sein und mich endlich mal wieder betrinken, das hatte ich schon lange nicht mehr gemacht. Stattdessen stritt ich mich hier mit diesem hohlen Schönling herum, es war nicht zu fassen. Was hatte der mir schon zu sagen außer vielleicht „Eh“?
Chris registrierte wohl, dass ich auf Abstand zu ihm ging, und sein Grinsen wurde breiter. „Hast wohl doch Angst gekriegt, hä? Musste aber nicht, Baby, ich schlag keine Frauen ... Obwohl man bei dir echt zweimal hinschauen muss, hm?“ Er lachte gemein, während ich zornig die Fäuste ballte.
Dieser Dreckskerl! Damit spielte er bestimmt auf meine etwas zu klein geratenen Brüste an. Mein Hintern war leider auch eher ... zierlich. Überhaupt war ich eher knochig, nicht üppig und kurvig, wie das den meisten Männern gefiel. Mein langes, von Natur aus rotes Haar trug auch nicht gerade dazu bei, mich attraktiver wirken zu lassen, genauso wenig wie meine für Rothaarige typische schneeweiße Haut und die unzähligen Sommersprossen, die meinen Körper bedeckten. Höchstens meine strahlenden blauen Augen brachten mir Punkte bei den Männern ein, ach ja, und mein Charakter. Aber auf so was achteten Typen wie Chris wohl eher nicht. Deshalb hatten schöne Frauen es immer leichter bei Männern ‒ weil Letztere besser glotzen als denken konnten.
„Hey, Chris, Baby!“
Oh nein! Verdammt, warum hatte ich mich nicht längst aus dem Staub gemacht? Jetzt hatte ich die auch noch an der Backe!
Olivia Muster, schön, sexy und blond, mit Brüsten so groß wie Wassermelonen und einem ausladenden Hintern tauchte plötzlich an Christophers Seite auf, schlang ihm einen Arm um die Taille und küsste ihn auf die Wange. „Baby, wo steckst du denn? Wir warten alle auf dich. Wir wollten doch auf diese total coole Party, weißt du nicht mehr? Von deinem Kumpel ... Simon? Du hast versprochen, mich mitzunehmen.“ Sie zog einen Schmollmund, was, zugegebenermaßen, recht niedlich aussah. Doch das täuschte, Olivia war kein Stück niedlich.
Jetzt hatte sie mich entdeckt und sofort stahl sich dieser abfällige Ausdruck auf ihr Gesicht, sie wetzte schon die Messer und bleckte die Zähne wie eine Hyäne, um auf mich loszugehen.
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