Möglich, dass ich fast den ganzen Rückweg vor mich hingrummelte.
Ich ritt Shelby im Schritttempo zurück und war gerade dabei, sie abzusatteln, als Ma mich fand.
Und damit meine ich: sie fand mich wie ein zorniger Piranha einen blutenden Schwimmer findet.
Ich konnte ihr am Gesicht ablesen, dass sie stocksauer war. »Hey, was gibt's?«, sagte ich lahm.
Ma drohte mir mit dem Zeigefinger. »Du bist ohne Wasser und Telefon losgeritten. Das war dumm, Charlie. Du weißt es verdammt noch mal besser. Du weißt es besser, seit du vier Jahre alt warst. Wenn du dich den ganzen verdammten Tag in der Wüste verstecken willst, dann mach das, aber du sagst jemandem Bescheid, wohin du gehst, und du nimmst die notwendigen Sachen mit.«
Mann, sie war stocksauer. Ihr Zorn war ein wenig überraschend, dann fiel mir ein, dass sie sich nicht gut gefühlt hatte. »Es tut mir leid«, sagte ich zu ihr. »Und ich wollte mich nicht verstecken…«
Sie hob eine Augenbraue. »Strafst du ihn mit Schweigen?«, fragte sie.
»Er hat angefangen.«
Japp, das sagte ich. Ich war offiziell wieder acht Jahre alt.
Ma machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten. Stattdessen schnaubte sie. »Charlie, ich liebe dich von Herzen.« Sie machte eine Pause und sah mich an. »Aber du musst endlich mal erwachsen werden.«
Ich bin sicher, dass mir die Überraschung ins Gesicht geschrieben stand, denn sie seufzte schicksalsergeben. »Er hat sich Sorgen um dich gemacht.«
»Ich brauchte etwas Zeit zum Nachdenken.«
»Das habe ich ihm auch gesagt.«
»Ich wollte nicht, dass sich jemand Sorgen macht. Ich hätte Bescheid sagen sollen, wohin ich reite. Du hast recht. Ich weiß es besser, als einfach so zu verschwinden. Tut mir leid.«
Ma schwieg eine Weile. »Streite dich nicht über Kleinigkeiten, Liebes«, sagte sie schließlich sanfter. »Aber ich schlage vor, du gehst zu ihm, bevor eine große Sache daraus wird.«
Ich nickte und wusste, was ich zu tun hatte. Ich nahm den Sattel vom Zaun herunter. »Ich bringe das eben weg, dann suche ich ihn.«
Ich musste nicht weit gehen. Ich brachte Shelbys Sattel weg, dann trieb ich Travis im Haus auf. Er hängte gerade einen meiner alten Pullover an die Klinke der Wohnzimmertür. Als ich näher hinsah, guckte ein recht verdächtiger Känguruschwanz daraus hervor. Ach Mann, er benutzte einen Pullover als Beutel für das verdammte Kängurubaby und hängte ihn an der verfluchten Tür auf.
Er ließ mich mit einer Art Schulterzucken stehen und als er an mir vorbeiging, murmelte er: »Ich muss mir die Hände waschen.« Ich folgte ihm den Korridor hinunter zum Badezimmer. Dann stand ich im Türrahmen, während er am Waschbecken zugange war.
Als er fertig war, drehte er sich um, lehnte sich gegen den Waschtisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Haltung war genauso defensiv wie sein Tonfall. »Sag es einfach, Charlie.«
Ich öffnete den Mund und… schloss ihn wieder. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Ich will nicht, dass du sauer auf mich bist.«
»Aber ich kann sie trotzdem nicht behalten?«
Ich wollte mich nicht schon wieder über ein Känguru streiten. Aber ich fand keine Worte. Ich schüttelte den Kopf. »Travis…«
»Ist das jetzt Charlie, mein fester Freund, oder Charlie, mein Boss, mit dem ich gerade rede?«
»Das ist nicht fair.«
Er stieß sich vom Waschtisch ab und richtete sich auf. »Tja, ich frage dich nicht. Ich sage es dir. Ich gebe sie nicht weg. Sie ist vollkommen hilflos. Wenn ich sie einfach irgendwo aussetze, dann stirbt sie auf jeden Fall, und ich kann – ich werde – das nicht tun.«
Ich hob die Hände und drückte sie gegen seine Brust, um ihn zu stoppen, als er versuchte, an mir vorbeizugehen. »Es geht nicht um das Känguru.«
Er sah mich prüfend an. »Nicht? Warum bist du dann sauer auf mich? Du hast mich heute Morgen abblitzen lassen und bist einfach weggeritten, ohne jemandem zu sagen, wohin. George sagte, du wärst nicht zur Lagune unterwegs, weil du nach Norden geritten bist, nicht nach Osten.«
Ich zuckte die Achseln. »Na ja, zuerst ging es um das Känguru, aber dann nicht mehr. Ich weiß nicht, warum. Ich brauchte nur etwas Zeit oder so.« Ich hatte nun meine Hände in sein Hemd gekrallt, damit er nicht wegkonnte. Oder ich. Ich war mir nicht sicher. »Aber ich bin zurückgekommen…«
»Du bist zurückgekommen…«, wiederholte Travis auffordernd meinen unvollendeten Satz.
»Shelby dachte, es wäre eine gute Idee.« Ich hätte mir am liebsten gegen die Stirn geschlagen, weil ich das laut ausgesprochen hatte, entschied mich aber, auf cool zu machen.
»Tatsächlich?«
»Ja, sie meinte, ich hätte wahrscheinlich überreagiert.« Ich ließ sein Hemd los, aber keiner von uns bewegte sich.
»Sie ist ein kluges Pferd.«
»Sie meinte, du hättest ebenfalls überreagiert.«
Travis versuchte nun, nicht zu grinsen. »Meinte sie?«
»Jepp. Aber sie meinte auch, dass der Ritt durch den Arthur Creek helfen würde, meinen Kopf klar zu kriegen, und dass ich wohl besser zurückkommen und mich entschuldigen sollte.«
»Sie ist wirklich ein kluges Pferd.«
Ich nickte und atmete tief ein. Dann sah ich zwischen uns auf den Boden. »Sie wollte wissen, warum du letzte Nacht nicht ins Bett gekommen bist…«
Und da war er. Der wahre Grund.
Travis strich mit seiner Hand über meine Brust zu meinem Hals, bevor er mein Kinn anhob, sodass ich ihn ansehen musste. »Ich hatte zu Abend gegessen und als ich dann Matilda fütterte, muss ich eingeschlafen sein. Charlie, es war keine Absicht. Es tut mir leid.«
»Matilda?«
»Das Junge.«
»Du hast ihr einen Namen gegeben?«
»Aber natürlich.«
»Matilda?«
»Ja. Kennst du den australischen Song Waltzing Matilda?«
»Ich kenne ihn«, antwortete ich. »Ich frage mich nur, wieso du ihn kennst.«
»Google.«
»Natürlich.«
»Warst du wirklich sauer, weil ich nicht ins Bett gekommen bin?« Es schien ihn zu amüsieren. »Ich dachte, es wäre wegen Matilda.«
»War jetzt kein Riesending. Tat nur weh, das ist alles«, gab ich zu. »Und ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte, falls du nicht mit mir sprechen wolltest, deshalb bin ich abgehauen, bevor du mir sagen konntest, dass du nicht mit mir sprechen willst, weil, es zu denken, ist eine Sache, aber es zu hören, ist was ganz anderes…«
Travis beugte sich vor und küsste mich. Wahrscheinlich, damit ich die Klappe hielt, aber das war mir egal. Es war, glaube ich, der wärmste Ich bin zu Hause-Kuss, den wir je geteilt hatten.
Travis beendete langsam den Kuss, dann rieb er seine Nase an meiner, um mich zum Lächeln zu bringen. »Und du bist heute Morgen gegangen, ohne mit mir zu reden«, flüsterte er. »Und du hast heute Morgen deinen Fuß unter dem Tisch weggezogen.«
»Tut mir leid, dass ich das gemacht habe. Dein Füßeln ist eines meiner liebsten Dinge«, sagte ich leise.
»Füßeln?«
Ich nickte. »Füßeln und Naserubbeln. Das machst du.«
Travis lachte und küsste mich noch einmal.
Ich lehnte mich etwas zurück, sodass ich sein Gesicht sehen konnte. »Ich, äh… ich bin nicht so gut in dieser Über Dinge reden-Sache.«
»Ich bin auch kein Experte«, sagte er. Dann lächelte er, als wäre er ebenso erleichtert wie ich. »Aber können wir uns darauf einigen, dass keiner von uns allein in die Wüste reitet?«
Ich verdrehte die Augen. »Ich reite schon seit zwanzig Jahren allein in die Wüste.«
Er ignorierte mich. »Und keiner von uns geht allein ins Bett. Das sollte eine feste Regel werden. Keiner schläft auf der Couch.«
»Das gefällt mir schon besser.«
»Nicht, dass du mir gefehlt hast. Die Couch ist nur wirklich nicht besonders bequem.«
Ich lächelte und atmete seine Wärme ein, seinen Geruch. »Ich mag es nicht, mit dir zu streiten.«
Читать дальше