Bacon drückte ihre Hand. »Wir waren nicht sicher, ob wir etwas sagen sollten. Wir wollten nicht, dass du uns sagst, es wäre nicht erlaubt oder dass einer von uns dann vielleicht gehen müsste.«
»Was?«, fragte ich. »Nein. Nein, das ist nicht… das würde ich nicht machen.« In Wahrheit aber hätte ich noch vor einem Jahr wahrscheinlich genau das getan. Aber jetzt, da ich mit meinem Freund zusammenlebte und -arbeitete, konnte ich es ihnen kaum vorwerfen, dass sie dasselbe taten. »Ich weiß, dass ihr nicht zulassen werdet, dass das eure Arbeit hier beeinträchtigt.« Meine zweite Warnung-Schrägstich-Beruhigung des Abends. Ich wurde langsam richtig gut darin.
Bacon schüttelte den Kopf. »Das wird es nicht.«
Trudy fügte eilig hinzu: »Bevor ich meinen Job hier verliere, verpasse ich lieber Bacon einen saftigen Arschtritt.«
Ich musste über Bacons Gesichtsausdruck lachen. »Ich habe kein Problem damit«, sagte ich. »Ehrlich gesagt tut es mir eher leid, dass ihr das Gefühl hattet, es mir nicht schon früher sagen zu können. Ich bin froh, dass ihr jetzt mit mir gesprochen habt.«
»Travis meinte, es würde dir nichts ausmachen«, sagte Bacon. Und dann bekam er sofort diesen Oh, Scheiße!-Gesichtsausdruck, und ich wusste, dass er das nicht hätte sagen sollen.
»Travis wusste Bescheid?«, fragte ich.
Trudy schluckte schwer. »Er hat letzte Woche mit uns zusammen draußen Zäune repariert«, sagte sie, als würde das alles erklären. »Er meinte, du würdest nichts dagegen haben. Hat uns nur geraten, ehrlich zu sein, das ist alles.«
»Hat er das?«
»Sei nicht sauer auf ihn«, fügte sie eilig hinzu. »Wir baten ihn, nichts zu sagen, und er stimmte zu, dass es das Beste wäre, wenn du es von uns selbst erfährst.«
»Wir wollten nur, dass du Bescheid weißt«, sagte Bacon. »Es ändert sich ja nichts. Was die Arbeit angeht, wird alles so sein wie immer.«
Ich nickte und schenkte ihnen ein Lächeln. »Das weiß ich. Und danke, dass ihr es mir gesagt habt.« Sie nahmen das als ihr Stichwort zum Aufbruch und als sie zur Tür gingen, stand ich auf und sagte: »Hey.« Trudy und Bacon blieben stehen und sahen mich an. »Äh, ich schätze, ich sollte euch ebenfalls danken. Dafür, dass es euch nichts ausmacht, dass ich… und Travis. Ich, äh, ich weiß es zu schätzen, dass ihr zu mir gestanden habt, auch wenn es bestimmt nicht so einfach war. Das bedeutet mir viel und ich hätte mich schon längst bedanken sollen.«
Ich geriet immer ins Faseln, wenn ich nervös war.
Sowohl Trudy als auch Bacon lächelten mich an. Wahrscheinlich hatte ich gerade die am wenigsten bossmäßige Rede aller Zeiten vor ihnen gehalten. »Er ist ein toller Kerl«, sagte Trudy. »Hyperaktiv oder so was – kann nicht einen Moment wirklich stillsitzen – aber ein toller Kerl.«
Ich lachte darüber und nachdem sie gegangen waren, setzte ich mich wieder auf die Couch und seufzte.
Tja, das war seltsam. Genau genommen war der ganze Abend schon seltsam gewesen.
Als Nächstes hörte ich die Ankunft der Bikes und Stimmen bei der Scheune. Als sich die Vordertür öffnete, erwartete ich Travis, aber es war George.
»Hey«, begrüßte ich ihn.
»Charlie«, sagte er mit einem Nicken.
»Ähm, nur dass du Bescheid weißt, Billys Cousine wird eine Weile bei uns leben. Wenn du also ein Kind hier rumlaufen siehst, dann ist sie das.«
»In Ordnung«, sagte er. George war nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Er sah mich von oben bis unten an. »Alles klar bei dir?«
»Seltsamer Tag«, antwortete ich kryptisch.
George lachte, so als wüsste er etwas, das ich nicht wusste, aber dann verschwand er ohne weiteres Wort in der Diele.
Ich lehnte mich auf der Couch zurück und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Was für ein verdammter Tag. Erst fühlte Ma sich nicht gut, dann Billy und seine Cousine, dann Trudy und Bacon… Gott. Ich fragte mich, ob irgendetwas diesen Tag noch schlimmer machen könnte, als ich Travis die Verandastufen heraufkommen hörte. Die Vordertür ging auf und er streckte seinen Kopf durch die Tür. Er wirkte aufgeregt und ein bisschen nervös.
»Trav?«
Er kam herein und erst da sah ich, dass er ein Bündel in den Armen hielt. Es war sein Hoodie, den seine Mom ihm geschickt hatte. Travis grinste und zog den Stoff zurück. Zwei große Ohren und zwei große, braune Augen kamen zum Vorschein.
Oh Scheiße, Travis hatte ein Riesenkänguru-Baby auf dem Arm.
Shitville. Einwohner: ich.
»Travis«, fragte ich leise. »Was soll das werden?«
Er grinste und trat ins Zimmer, das Bündel aus großen Ohren und neugierigen, braunen Augen immer noch auf dem Arm. »Na ja, ihre Mutter fand ein vorzeitiges Ende«, sagte er und seine Mundwinkel sanken herab. »Und als wir hingingen, um den Kadaver zu Hundefutter zu verarbeiten, war da das Junge.«
»Travis«, sagte ich kopfschüttelnd. »Wir können kein Känguru halten.«
»Warum nicht?«, fragte er.
»Weil Kängurus eine Plage sind. Sie vernichten die Weidepflanzen für unser Vieh. Ihr wart da draußen, um sie auszumerzen, nicht, um Haustiere daraus zu machen.«
Travis' Lächeln erstarb. »Aber es ist nur ein Baby. Ich habe keine Probleme damit, gegen Plagen vorzugehen, aber ich konnte doch nicht ein hilfloses Baby da draußen zurücklassen. Sie wäre entweder verhungert oder von Dingos gefressen worden.«
»Oder du hättest sie erschießen können. Es erschießen. Was auch immer. Du hättest es erschießen können.«
Travis klappte die Kinnlade herunter. Er sah… entsetzt aus. »Ich konnte sie doch nicht einfach erschießen!«
»Rote Riesenkängurus können einem erwachsenen Mann Brust und Bauch aufreißen, Trav. Ganz zu schweigen davon, was sie mit unseren Hirtenhunden machen.« Ich schüttelte den Kopf. »Du kannst sie nicht behalten.«
Travis betrachtete für eine lange Weile das Junge, das er in den Armen hielt. Und als er mich schließlich wieder ansah, hatte er diesen dickköpfigen, entschlossenen Ich kann verdammt noch mal tun, was ich will-Ausdruck in den Augen. »Tja, ich behalte sie aber. Zumindest, bis sie groß genug ist, um für sich selbst zu sorgen.«
»Travis«, fing ich an.
»Nein, Charlie«, sagte er rundheraus. »Nein.« Und damit drehte er sich um und ging in die Küche.
Ich stand im leeren Wohnzimmer und hatte keine Ahnung, in welches verdammte Paralleluniversum ich an diesem Tag geraten war. Mein langweiliges, ruhiges Leben, in dem nie irgendetwas passierte, wurde immer unlangweiliger. Ich kratzte mich am Kopf und zog in Betracht, Travis zu folgen, aber dann dachte ich, dass er etwas Zeit brauchte, um sich zu beruhigen und die Dinge in vernünftigerem Licht zu sehen. Sicher, Babykängurus waren niedlich und flauschig, so wie alle Tierbabys. Aber das galt auch für Babyfüchse, Babykaninchen und sogar Babyratten. Und von denen hielten wir auch keine auf dem Hof. Ganz sicher nicht.
Eine Plage war eine Plage.
Und aus kleinen Kängurus wurden große, ausgewachsene Kängurus, und Rote Riesenkängurus waren gefährlich. Sie waren dafür bekannt, dass sie Hirtenhunde und auch Menschen angriffen und ernsthaft verletzten oder gar töteten. Das würde ich nicht riskieren.
Und weil ich mich heute nicht mehr mit ihm streiten und stattdessen über alles nachdenken wollte, was an diesem Nachmittag passiert war, ging ich lieber ins Bett.
Ich blieb wach und wartete so lange auf Travis, wie ich die Augen offen halten konnte.
Als ich aufwachte, war ich allein.
Ich hörte Stimmen aus der Küche – sie klangen nach Travis und Ma – und angesichts der Tatsache, dass er mich offenbar nicht sehen wollte und ich keine besondere Lust hatte, mich zu unterhalten, oder schlimmer: ignoriert zu werden, schnappte ich mir meinen Hut vom Haken und ging zur Vordertür hinaus. Genau genommen ging ich Travis nicht wirklich aus dem Weg, aber ich musste vor dem Frühstück die Hunde füttern und Dinge erledigen.
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