Ein Brokatbett mit Vorhang, ein blau gekachelter Kamin, ein ovaler Spiegel über einer antiken Truhe. Das Bad war aus Marmor, das Licht dutzender Kerzen wurde von den Spiegeln zurückgeworfen. Das Wasser war lauwarm, aber neben dem Bett standen kupferne Eimer voll mit kochendem Wasser.
Die welligen alten Glasfenster und die gelben eingetrübten Spiegel verstärkten noch die Illusion eines Traums. Dolores verschwand aus dem Spiegel, aber ihre Stimme war noch da, weich, der Singsang der Huasos. »E’ una hora, ma’ o meno’«, antwortete sie auf die Frage, wann das Abendessen fertig sei. Sie packte Lauras Sachen aus und legte noch ein Scheit aufs Feuer. Sie stand abwartend da, bis Laura nickte. Gracias. Allein zurückgeblieben, zitterte Lauras Spiegelbild; eine alte Sepiafotografie, die im Flackern der Lichter schwankte.
Die anderen waren bereits im riesigen Wohnzimmer. Ein Feuer brannte. Teresa saß am Flügel und spielte Chopins »Regentropfen-Prélude«. Sie spielte es in diesen Tagen ständig. Wann immer Laura sich an Junquillos erinnerte, ging ihr die Melodie wieder und wieder durch den Kopf. Don Andrés reichte ihr ein Glas Sherry.
»Ich bin in dieses Haus verliebt, wie eine englische Gouvernante!«
»Geh nicht in den Ostflügel!« Xavier lächelte. Laura konnte ihn ein bisschen besser leiden, lächelte zurück.
»Ich habe es meinen Träumen entsprechend gebaut«, sagte Don Andrés, »wie in französischen und russischen Romanen. Das Land selbst ist der reinste Turgenjew.«
»… Die Leibeigenen, ja«, sagte Xavier.
»Keine Politik, Xavier. Laura, mein Sohn ist ein Sozialist, ein Möchtegern-Revolutionär. Ein typischer chilenischer Anarchist, redet von der Not der Massen, während ein Diener seinen Mantel bürstet.« Xavier sagte nichts, trank. Pepe blätterte die Noten am Klavier um.
»Laura, was meinst du, wie du dich erst in meine Kutschen verlieben wirst! Ich sammle sie. Du kannst Becky Sharpe, Emma, Madame Bovary spielen.«
»Ich kenne keine davon.«
»Eines Tages wirst du das. Und auf diese Weise wirst du das Buch sinken lassen und an meinen Landauer und mich denken.«
(Oh. Stimmt.)
Auch im Speisezimmer gab es Kamine. Zwei mozos bedienten sie, tauchten auf, von wo immer sie sich gerade aufhielten, und verschwanden in den Schatten des Raums.
Pepe war lebhaft und heiter. Seine Stute hatte gefohlt, es gab Dutzende junge Lämmer. Er und sein Vater sprachen über verschiedene Ereignisse auf dem Besitz … die Tiere, Vögel und Toten unter den Tagelöhnern.
Nach dem Essen spielten Xavier und Teresa im Wohnzimmer Backgammon, Pepe und Laura tranken mit Don Andrés im Arbeitszimmer Brandy und Kaffee. Ein kleines Feuer, das von einem mozo unterhalten wurde, der aus dem Flur hereinkam, sobald es anfing zu schwelen oder ein Scheit mit einem Funkenregen in sich zusammenstürzte.
Zu dritt lasen sie laut vor. Neruda. Ruben Daríos Sonatine »La princesa está triste. La princesa está pálida«.
»Lasst uns Turgenjews Erste Liebe lesen. Du fängst an, Pepe, aber mit mehr Gefühl. Du wirst ein perfekter Priester werden, so eintönig, wie du redest.«
Als Laura an der Reihe war, tauschte sie mit Pepe den Platz, um neben der Lampe zu sitzen. Während des Lesens schaute sie von Zeit zu Zeit zu den beiden Männern ihr gegenüber auf. Pepes graue Augen waren geschlossen, aber Don Andrés’ Augen schauten in ihre, als sie vorlas, wie Zoraida einen Wollfaden um die Hand des armen Vladimir wickelte.
Oh, ihr zarten Gefühle, ihr sanften Töne, du Herzensgüte, wenn die bewegte Seele zur Ruhe kommt und sich freudig den Aufwallungen erster Liebesregungen hingibt, wo seid ihr?
»Pepe schläft. Er hat das Beste verpasst.«
»Du schläfst auch gleich ein. Ich bringe dich in dein Zimmer.«
Er richtete den Docht der Laterne an ihrem Bett, küsste ihre Augenbraue. Kühle Lippen. »Buenas noches, mi princesa.«
Du dummes Ding, sagte Laura zu sich selbst. Er hat dich fast schwach werden lassen! Genau wie jemand aus Mamas Liebesromanen.
Laura lag im Bett, konnte nicht einschlafen. Dolores kam auf Zehenspitzen herein und machte das Fenster einige Zentimeter weit auf. Sie legte ein Scheit ins Feuer, löschte die Laterne. Nachdem Dolores gegangen war, stand Laura auf und ging ans Fenster, öffnete es weit hinein in den Duft nach Nadelbäumen und gelbem Aromo. Es hatte aufgehört zu regnen. Am aufgeklarten Himmel standen blendend hell die Sterne und beleuchteten die Felder und den Hof. Laura sah, wie Dolores den kopfsteingepflasterten Hof überquerte und durch eine Tür neben der Küche trat. Minuten später überquerte Xavier den Hof und klopfte an die Tür. Dolores öffnete lächelnd und zog ihn hinein, an sich.
Laura hörte, wie Teresas Fenster sacht geschlossen wurde. Laura ging zurück ins Bett. Sie versuchte, wach zu bleiben, nachzudenken, schlief aber ein.
Die Tage sind heller, wenn die Nächte nicht elektrisch beleuchtet sind. Die Sonne fiel warm ins Zimmer, fing sich in einem Brieföffner mit Perlengriff, im Kaminsims aus Messing, im geschliffenen Marmeladenglas auf dem Frühstückstablett. Vor dem Fenster gleißten die drei weißen Gipfel der Las Malqueridas vor dem klarblauen Himmel.
»Sie reiten schon«, sagte Dolores. »Don Pepe sagt, du sollst dich beeilen, er möchte, dass du das Fohlen siehst. Ich habe dir diese Reitsachen hier gebracht.«
»Ich wollte einfach diese Hosen anziehen …«
»Aber die hier werden viel schöner aussehen.«
In Reitkleidung, das Haar hochgesteckt, sah Laura in den dunklen Spiegeln wie das Gemälde eines Menschen aus einem anderen Jahrhundert aus. Dolores nahm das Frühstückstablett, trat zurück, um Teresa ins Zimmer zu lassen. Laura suchte in ihren Gesichtern nach irgendeinem Ausdruck – der Rivalität, Verachtung, Verlegenheit –, aber beide waren teilnahmslos.
»Meine Bettwäsche riecht muffig«, sagte Teresa. »Bitte wechsle oder lüfte sie.«
»Ich werde es deinem Dienstmädchen ausrichten.« Dolores ging an ihr vorbei hinaus, den Kopf erhoben. Teresa zog einen Flunsch, warf sich auf die Chaiselongue am Fenster.
»Ich wünschte, Tía Isabel wäre hier. Sie würde mich zu einem Spaziergang am See mitnehmen. Ich hasse Pferde. Du nicht auch?«
»Nein. Ich mag Pferde. Aber ich bin noch nie mit Sportsattel geritten.«
Auf dem Hof rief Pepe nach ihnen. Er ritt eine Fuchsstute, führte ein elegantes schwarzes Pferd am Zügel. Laura rief zu Pepe hinunter, dass sie gleich da wäre. Aber Teresa hörte nicht auf zu reden. Sie wollte bald heiraten. Die Heirat würde Xavier von seinen unüberlegten politischen Einstellungen heilen, ihn sesshaft werden lassen. Wie lange waren sie schon verlobt? Seit ihrer Geburt, sagte Teresa. Ihre Väter hatten das entschieden. Glücklicherweise hatten sie sich ineinander verliebt.
»Lass uns gehen. Es ist ein perfekter Tag«, sagte Laura, aber Teresa zog ihren Mantel aus. »Nein. Ich bleibe hier und stricke. Ich bin krank. Sag Xavier, er soll herkommen und mir Gesellschaft leisten.«
»Wenn ich ihn sehe. Schau mal, er und Don Andrés sind weit weg, in der Nähe der Gebirgsausläufer.«
Pepe half ihr beim Aufsitzen der schönen Stute Electra. Zuerst schauten sie sich das Fohlen an, dann ritten sie auf der Koppel neben dem Stall. Pepe sah zu, wie sie über Balken setzte, kleine Hürden übersprang. Sie lachten beide laut auf, weil der Tag so prächtig war, die Pferde sprühten vor Leben. Xavier und Andrés kamen auf sie zugaloppiert.
»Lass uns zu ihnen reiten. Schaffst du den Zaun?« Aber ehe sie antworten konnte, waren sie schon am Zaun.
»Kein schlechter Sprung«, sagte Don Andrés.
»Nicht schlecht? Es war großartig. Mein erster Sprung!«
»Mach es noch mal.«
Bevor sie wegritt, richtete Laura Xavier Teresas Botschaft aus.
Читать дальше