Christian begab sich schweigend zu seinem Platz und nickte jedem der Anwesenden nur einmal knapp zu. Sein Blick kreuzte den Dexters und die beiden hielten den Blickkontakt eine Sekunde länger, als nötig gewesen wäre. Ein stilles Versprechen, dass der Waffenstillstand immer noch hielt und sie gemeinsam herausfinden würden, wer Christians Männer auf Tessa umgebracht und Dexters Leben dadurch zerstört hatte. Seit Dooleys Tod in der letzten Schlacht auf Condor hatte Christian notgedrungen das Kommando über die Reste von Marines und Infanterie gleichermaßen übernommen.
Als Letzte erschien Konteradmiral Irina Necheyev – und das auch noch mit gleich zwei Adjutanten. Ein bemerkenswert unnötiger Auftritt und für Dexters Dafürhalten viel zu großspurig. Er hatte bereits den Eindruck, dass sie viel zu viel von sich selbst hielt, und ihr Erscheinen mit diesem Gefolge bestätigte seinen Ersteindruck.
Nachdem alle Platz genommen hatten, räusperte Oscar sich und schaute die Leute reihum an. Er räusperte sich abermals, bevor er begann. Dexter war gelinde gesagt schockiert. Der Mann wirkte um Jahre gealtert. Auf Condor war dieser noch voller Elan und Tatendrang gewesen. Das war erst wenige Wochen her. Nun wirkten Mimik und Körperhaltung des Admirals eingefallen und farblos.
Oscar Sorenson lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich muss wohl nicht näher darauf eingehen, wie verfahren unsere Situation ist«, begann er. »Wir sind Geächtete und vogelfrei. Jeder, der uns begegnet, stark genug ist und Bock darauf hat, kann uns erledigen. Straflos! Vermutlich wird er sogar noch dafür gefeiert. Wir gelten als Verbrecher und Königsmörder, und ich sehe nicht, wie wir derzeit unsere Unschuld beweisen können. Darüber hinaus kontrolliert nun der Zirkel das Königreich über Prinz Calvin, den älteren Sohn des verstorbenen Königs. Und dieser wird in den nächsten Wochen zum König des Vereinigten Kolonialen Königreichs gekrönt. Habe ich irgendetwas vergessen?«
Alle sahen betreten nach unten. Oscars Analyse war von bestechender Klarheit, um nicht zu sagen, schlichtweg niederschmetternd.
Oscar seufzte. »Damit bleibt nur eine Frage: Was tun wir jetzt?« Der Admiral sah sich abermals unter den Anwesenden um. »Vorschläge?«
Necheyev sah auf. »Es gibt eine Frage, die wir zuvor klären sollten.«
Oscar runzelte die Stirn. »Welche wäre?«
»Die Frage des Oberkommandos.«
Allgemeines unbehagliches Raunen wurde rund um den Tisch laut. Dexter hatte bereits erwartet, dass es damit Probleme geben würde. Oscars Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Auch er hatte schon damit gerechnet, dass dies zur Sprache kommen würde.
»Das Kommando liegt bei mir«, erklärte der Admiral im Brustton der Überzeugung. Ein Quäntchen seiner alten Kraft schien für einen Moment zurückzukehren, als er die condorianische Admiralin intensiv fixierte.
»Darüber sollten wir doch mal diskutieren«, erwiderte Necheyev. Sie ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Dexter wusste nicht, ob er das in der jetzigen Situation gut oder schlecht finden sollte. »Das Oberkommando sollte bei der Einheit mit der taktischen Überlegenheit liegen. Die Anzahl meiner Einheiten übersteigt die der Skulls deutlich.«
Dexter sah ruckartig auf. »Darf ich das als Drohung verstehen?«
Necheyev wandte sich ihm mit starrer Miene zu. »Keineswegs. Nur als Tatsache. Wie gesagt, liegt die taktische Überlegenheit bei uns Condorianern. Darüber hinaus hat Präsident Saizew einen Kontrakt mit den Skulls geschlossen. Als rechtlicher Nachfolger werde ich diesen Kontrakt übernehmen, was Ihre Söldnereinheit immer noch zu einem Vertragspartner und Angestellten der Freien Republik Condor macht.«
Lennox Christian schnaubte, ersparte sich jedoch einen Kommentar. Oscar Sorenson war nicht so höflich. »Eine Nation, die nicht länger existiert. Mit der FRC sind auch alle Verbindlichkeiten und Kontrakte erloschen. Ich sehe mich an den Vertrag nicht länger gebunden.«
Necheyev stand aggressiv von ihrem Stuhl auf und stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte. »Solange auch nur noch ein Condorianer aufrecht steht, existiert die FRC noch. Wagen Sie es ja nicht, etwas anderes anzudeuten!«
Oscar hob versöhnlich beide Hände mit den Handflächen nach außen. »Nichts liegt mir ferner, als Sie zu beleidigen, Admiral. Aber unsere Heimat wurde okkupiert und die Menschen dort wissen es noch nicht einmal. Vor wenigen Tagen wurden wir von königlichen Schiffen gejagt und beschossen.«
Necheyev setzte sich. Ihr Gesicht zeigte ein Grinsen, das man eigentlich nur mit Gehässigkeit umschreiben konnte. »Daran erinnere ich mich noch gut«, meinte sie.
Jeder der Anwesenden wusste, worauf sie anspielte. Die condorianische Admiralin hatte zwei königliche Schiffe zerstört, was streng genommen nicht notwendig gewesen wäre. Diese zwei Besatzungen waren für das gestorben, was Condor angetan worden war. Es war Necheyev egal, ob die Royal Navy sich dessen bewusst war oder nicht. Es genügte ihr völlig, dass sie selbst es wusste. Ihr Grinsen verblasste etwas. »Warum sollte mich kümmern, was mit dem Königreich aktuell passiert?«
»Weil dieselben Menschen, die das Königreich jetzt kontrollieren, für den Untergang Condors verantwortlich sind«, sprang Melanie helfend ein. »Das sollte auch Ihnen genug sein.«
Die Spitze traf und Necheyev senkte nachdenklich das Haupt. »Gutes Argument«, gab sie schließlich zu. »Das erklärt aber immer noch nicht, warum Sorenson den Oberbefehl innehaben sollte und nicht ich.«
»Ganz einfach«, meinte Dexter, »die Skulls sind gut vernetzt, besitzen Kontakte und ein Netzwerk von Informanten im Königreich.«
Necheyev zog eine Augenbraue hoch. »Das hoffen Sie. Wir wissen nicht, wie viel von diesen Kontakten noch aktiv sind. Auf der Jagd nach dem Mörder des Königs hat der RIS sicherlich ganze Arbeit geleistet. Und was die von Ihren Netzwerken übrig gelassen haben, wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Zirkel eliminiert.«
Dexter biss sich leicht auf die Unterlippe. Die Frau hatte wirklich auf alles eine Antwort. Das Schlimme war, ihre Argumentation war leider nicht von der Hand zu weisen.
Es war schließlich Clayton Redburn, der den Ausschlag gab. Der uneheliche Sohn Saizews musterte Necheyev eindringlich. »Aber wir kennen die ganzen Hintergründe nicht. Wir wissen nicht, wie alles zusammenhängt. Die Vernichtung unserer Nation ist nur ein kleines Puzzleteil eines viel größeren Spiels um die Macht. Die Skulls sind darin bereits länger involviert als wir. Deshalb sollten sie auch eine Führungsrolle übernehmen.«
Necheyev rümpfte die Nase. »Sie sind nur der uneheliche Sohn meines toten Präsidenten. Von Ihnen nehme ich keine Befehle entgegen.«
Red blieb auch angesichts dieses offensichtlichen Angriffs gelassen. »Das war kein Befehl, sondern nur meine Meinung. Es hat keinen Sinn, die Führung zu beanspruchen, wenn man nicht weiß, wohin die Reise gehen soll. Wenn wir den Untergang Condors irgendwann rächen wollen, dann müssen wir den Skulls vertrauen und ihnen auf ihrem Weg folgen. So einfach ist das. Falls Sie mit dem Gedanken spielen, sich von den Söldnern zu trennen, dann ist das die beste Methode, uns alle in den Abgrund zu schicken. Wir können nur überleben, wenn wir zusammenhalten.«
Necheyev überlegte angestrengt. Sie suchte verzweifelt ein Argument, das ihr half, ihren Anspruch auf das Oberkommando durchzusetzen.
Oscar räusperte sich. »Wir müssen diese leidige Diskussion zu einem Ende bringen, um uns den wirklich wichtigen Dingen zu widmen. Falls Sie sich damit besser fühlen, dann wäre ich mit einem gemeinsamen Oberkommando einverstanden. Solange Sie einwilligen, dass im Zweifelsfall mein Wort vor Ihrem gilt und Ihre Leute bereitwillig meinen Befehlen folgen. Ist das akzeptabel?«
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