»Ist ja toll«, kommentierte Lennox. »Wir haben es also nicht nur mit den Wachen zu tun, sondern auch noch mit diesem Abschaum.« Lennox überlegte. »Wie viele Leute hat er?«
»Alles in allem fünfzig oder sechzig. Aber die Anzahl ist nicht das Problem.«
»Sondern?«
»Die Angst, die sie bei den anderen auslösen. Wer sich verweigert oder aus der Reihe tanzt, den machen sie zuerst fertig. Der Rest mutiert zu einer gehorsamen Schafherde. Fügsam und ganz nach Renards Vorstellungen.«
Lennox ließ niedergeschlagen die Schultern sacken. »Hab ich sonst noch was verpasst?«
»Das war es im Prinzip. Ich wurde auch befragt, sogar ziemlich intensiv. Immer die gleichen Fragen: Wo sind die Skulls ? Was ist euer Plan? Wie stark seid ihr im Moment?« Er zuckte die Achseln. »Ständig dasselbe Zeug. Aber dann schienen sie fürs Erste das Interesse an mir zu verlieren und ich kam hierher.« Sein Blick glitt in Richtung Jankovics, der ungeniert zu ihnen herüberstarrte. »Bisher haben sich Jankovics Jungs noch nicht an mich herangetraut.«
»Oder sie haben noch kein grünes Licht bekommen«, gab Lennox zu bedenken.
Ein junger Mann mit Sommersprossen und wirrem roten Haar setzte sich ungefragt zu ihnen an den Tisch und grinste die beiden Marines über das ganze Gesicht an, als wäre es das Natürlichste der Welt.
Lennox runzelte die Stirn und warf Barrera einen fragenden Blick zu. Dieser winkte lediglich ab. »Verschwinde, Maus.«
Der Mann mit dem Spitznamen Maus grinste, machte aber keine Anstalten, der Aufforderung Folge zu leisten. Stattdessen nickte er in einer knappen Geste in Lennox’ Richtung. »Dein Freund sieht ziemlich fertig aus.« Maus hob sein T-Shirt und darunter kamen, mit Klebeband an seinem Bauch befestigt, allerhand Döschen zum Vorschein. In jeder davon befanden sich Pillen in unterschiedlichen Farben und Größen. »Vielleicht braucht er eine Kleinigkeit, um wieder hochzukommen.«
Lennox sah sich hektisch nach den Wachen um. »Verdammt, nimm das T-Shirt wieder runter! Willst du uns alle ins Loch bringen?«
Zu seiner Verblüffung zeigte weder Maus noch Barrera irgendwelche Anzeichen von Besorgnis. Der Gunny schnaubte lediglich. »Ist schon in Ordnung. Maus ist einer von Jankovics lizenzierten Kleindealern. Die Wachen sehen weg, weil sie ihren Anteil daran bekommen. Allen voran der miese Leuteschinder Walsh.«
Lennox verzog die Miene. »Hübsches, kleines System, das die sich hier aufgebaut haben.«
»Allerdings«, stimmte Barrera zu. Er warf erneut einen warnenden Blick in Richtung des Dealers. »Verschwinde, Maus. Ich sag es dir nicht noch einmal. Bring deine Waren woanders an den Mann.«
»Schon gut, schon gut«, erklärte Maus und zog etwas beleidigt sein T-Shirt wieder herunter. Ein Schatten fiel auf die drei Gefangenen. Sie alle blickten auf. Über ihnen stand Walsh, der Chef der Wachmannschaft, und sah sie mit bösartigem Lächeln an.
»Hast du nicht gehört, Maus? Die zwei wollen nichts von dir kaufen. Mach dich vom Acker!«
Maus zog kleinlaut den Kopf zwischen die Schultern. »Ja, Boss«, hauchte er verschüchtert und schlich sich davon wie ein geprügelter Hund.
Walsh musterte die beiden Marines einen unendlich scheinenden Moment lang. Schließlich nickte er in Jankovics Richtung. »Wenn ihr dachtet, es wäre bisher schlimm, dann wartet mal ab, was euch ab jetzt erwartet. Jankovic hat gerade die Freigabe von Renard bekommen. Ab jetzt werdet ihr jeden Tag kämpfen. Euer Aufenthalt hier wird zum Spießrutenlauf und zum ständigen Kampf ums Überleben. Und zwar so lange, bis ihr vernünftig seid und ein paar Fragen beantwortet.«
Lennox lag eigentlich schon eine passende Antwort auf der Zunge. Er hätte dem Kerl nur zu gern seine Drohungen in eine seiner Körperöffnungen gerammt. Aber er hielt sich zurück. Er war noch schwach und er würde seine Kraft wohl noch dringend brauchen.
Der Terror seiner Gegenspieler hatte Methode, das musste er ihnen zugestehen. Folter war eine Sache, doch ein ständiger Überlebenskampf mit der Ungewissheit, dem Adrenalin und dem andauernden Über-die-Schulter-Sehen, das besaß eine ganz andere Qualität. Damit wollten sie die Marines also nun kleinkriegen.
Walsh schlenderte davon, aber nicht, ohne vorher noch Jankovic einen kurzen Wink zu geben. Dieser wiederum nickte. Ein Dutzend seiner Schergen standen drohend auf und kamen zu ihnen herüber. Barrera erhob sich. Ein Muskelberg, der – einmal von der Leine gelassen – nicht mehr zu stoppen war. Die zwölf Schläger zögerten. Dann bellte ihr Anführer sie auf Russisch an und sie beeilten sich, dem Befehl nachzukommen. In vorsichtiger Kampfhaltung gingen sie auf Barrera los. Lennox erhob sich ebenfalls, obwohl er wusste, er würde keine große Hilfe sein. Die beiden Marines wehrten sich nach Leibeskräften. Vor allem Barrera teilte kräftig aus und drei Angreifer gingen unter seinen linken Haken zu Boden. Barrera kämpfte nicht gerade fair. Einen packte er am Genitalbereich und drückte so lange zu, bis dieser nur noch ein winselndes Bündel am Boden war. Ein anderer kassierte zwei üble Schläge in die Niere. Lennox wäre nicht überrascht, wenn der Kerl in absehbarer Zeit nur noch Blut pisste. Dennoch konnte auch ein Hüne wie Barrera eine solche Meute nicht ewig alleine zurückhalten. Bereits nach wenigen Augenblicken gingen die beiden zu Boden und wurden mit Schlägen und Tritten traktiert.
13 
MacTavish fühlte sich nicht so recht wohl dabei. Ihm blieb aber keine andere Wahl, als Kilgannon zu folgen. Der Pionier führte ihn zu einer größeren Wohnsiedlung in Kopenhagen, die ausschließlich aus anonymen, grauen Wohnblöcken bestand. Jedes der Hochhäuser bestand aus fünfhundert Wohneinheiten. Es war ein deprimierender Anblick. Diese Gebilde dienten als Unterkunft für die Ärmsten der Armen.
»Und hier wohnt deine Reporterin?«
Kilgannon nickte, während er MacTavish durch ein Labyrinth verschachtelter kleiner Gassen zwischen den einzelnen Hochhäusern führte. »Sie ist gut in ihrem Job, aber nicht erfolgreich. Ironischerweise gerade deswegen, weil sie gut ist und ihren Job ernst nimmt. Sie ist nicht linientreu, sondern lässt sich lieber von ihrem Instinkt und ihrem Berufsethos zu einer Story führen. Das passt vielen nicht. Sie hat sich einige Feinde geschaffen.«
Gegen seinen Willen war MacTavish ein klein wenig beeindruckt. Wenn ihre Erfolglosigkeit parallel zu ihrem Können und ihrer Sturheit verlief, dann war Catherine Shaw genau die Frau, die sie jetzt brauchten.
Kilgannon begab sich in den dritten Stock und hielt vor einer Tür. Der Mann atmete einmal tief durch und betätigte die Klingel. Kilgannon und MacTavish warteten. Zunächst geschah gar nichts. Doch dann öffnete eine junge, recht attraktive Frau mit brünetter Löwenmähne. Sobald sie Kilgannon erblickte, erstarrte sie zur unbeweglichen Säule.
Unbehagliches Schweigen dehnte sich schier unerträglich in die Länge. Schließlich grinste Kilgannon, breitete die Arme aus und sagte: »Schatz! Ich bin zu Hause.«
MacTavish war nie ein großer Frauenkenner gewesen. Aber selbst ihm war klar, dass von allen möglichen Anfängen einer Konversation sein Begleiter sich ausgerechnet für die schlimmste entschieden hatte. Die Reaktion erfolgte auf dem Fuße. Catherine Shaws Augen wurden groß, ihre Miene verzerrte sich und Kilgannon bekam prompt ihre Faust mit solcher Wucht ins Gesicht, dass er mit glasigen Augen rücklings umkippte.
Читать дальше