Normalerweise achte man nicht auf unbedeutende Details, weil man einer großen Idee nachlaufe, aber auch eine große Idee setze sich nur aus unbedeutenden Details zusammen, und wenn man auf diese Details nicht achte, dann habe man sich über kurz oder lang verfahren und komme weder vor noch zurück. Wenn man immer nur mit großen Ideen herumlaufe, oder sich wahlweise von Leuten einspannen lasse, die mit großen Ideen herumliefen, dann ende alles früher oder später in einem Desaster. Es liefen nämlich nicht allein wurschtige Leute herum, die als Erstbeste anderen in ihren Verhältnissen verketteten Menschen Ratschläge geben, sondern es liefen auch genügend Leute mit einer großen Idee herum, die auf nichts anderes aus seien, als andere Menschen für ihre Idee einzuspannen. Eine Idee habe ja das Gute und fast Unüberwindbare, daß man sich nach Belieben hinter dieser Idee verstecken könne, und daß man dabei immer so tun könne, als ginge es allein um die Idee. Und weil man sich so gut hinter Ideen verstecken könne, hätten diese Ideen auch bald entsprechende Bürokomplexe und Aufsichtsräte, hinter denen ein Verstecken dann noch bequemer sei. Je mehr etwas aufgeblasen werde, desto besser könne man sich dahinter verstecken. Natürlich genüge umgekehrt immer weniger, dieses bis zum Zerreißen Aufgespannte zum Platzen zu bringen.
Dieses Zerplatzen habe seine Ursache in dem von ihm schon zuvor benannten transhorizontalen Wertesystem, welches das Metaphysische, und damit die Idee und das Verstecken hinter dieser Idee, erst ermögliche. Denn wenn es auf der einen Seite darum gehe, den Horizont mit aufgeblasenen Bürokomplexen zuzubauen, so gehe es auf der anderen Seite darum, gerade diesen metaphysischen Horizont, den man sich mitsamt den auf ihm befindlichen Bürokomplexen selbst errichtet habe, zu überwinden. Wenn bei einer solchen Überwindung jedoch eine Idee und die aus dieser Idee entstandenen Bürokomplexe zerplatzten, so sei dies lediglich ein Zeichen der Selbstregulierung des Marktes und nicht weiter tragisch. Der Horizont verlagere sich quasi ein Stück nach hinten, und die dort errichteten Bürokomplexe seien noch prächtiger und spiegelten sich mit ihren Glaskuppeln zauberhaft in der untergehenden Sonne.
Man könne natürlich versuchen, auf Kleinigkeiten zu achten und sich vor Ideen zu hüten und Leuten, die mit Ideen hausieren gingen, genauso wie vor wurschtigen Leuten, doch oft seien die mit den Ideen und die Wurschtigen nicht zu unterscheiden, weshalb man sich am besten überhaupt in acht nehmen solle, wenn jemand das Wort an einen richte, denn wenn jemand das Wort an einen richte, dann habe er garantiert etwas vor, und ehe man sich versehe, überweise man Unsummen auf Konten, nur um an einer Idee und dem Versteckspiel um diese Idee Anteil zu haben. Und dies alles habe seinen Ursprung allein in der Angst, daß einem ein anderer zuvorkommen könne. Schon kaufe man sich einen Recorder und ein Rückflugticket und betreibe damit eine Art Vorfinanzierung, obwohl er sich schon vor Jahren geschworen habe, keine Art von Vorfinanzierung mehr zu betreiben. Da mache man sich immer über die Leute lustig, die auf irgendwelche suspekten Konten Unsummen Geld überwiesen, um dann eine Heimarbeit vermittelt zu bekommen, dabei mache man es selbst nicht viel anders. Was um alles in der Welt aber solle heute noch Heimarbeit sein? Wer brauche denn noch jemanden, der etwas für ihn in Heimarbeit erledige? Was könne das sein? Adressen schreiben? Karteikarten sortieren? Das seien Märchen, die sich aus den fünfziger Jahren gehalten hätten und weiter nichts. Begriffe hielten sich nun einmal im allgemeinen länger als das, was hinter den Begriffen stehe.
Zum Beispiel der Begriff Revolution, dieser Begriff hielte sich auch, obwohl es das, was hinter diesem Begriff stehe, schon längst nicht mehr gebe. Unter dem Begriff Revolution verberge sich heute entweder Wurschtigkeit, Ausbeutung oder Heimarbeit. Gleichzeitig habe man entsprechende Bilder aus dem bolivianischen Dschungel im Kopf. Und mit diesen Bildern im Kopf betreibe man dann seine Wurschtigkeit, Ausbeutung oder Heimarbeit. Es sei bestimmt lohnend, einmal zu untersuchen, ob mit dem Auftauchen des Begriffs Revolution nicht das Ende der Revolution eingeläutet worden sei und Wurschtigkeit, Ausbeutung und Heimarbeit ihren Anfang genommen hätten. Es würde ihn wundern, wenn es anders sei. Aber wenn man über Revolution spreche, tauchten Wurschtigkeit, Ausbeutung und Heimarbeit niemals auf. Manchmal tauche der Begriff der Ausbeutung auf, dann etwa, wenn eine Revolution fehlgeschlagen sei, aber auch dieser Begriff komme aus dem abgefingerten Fundus der Diskussionsrunden und habe keinen anderen Sinn und Zweck als den Mantel des Vergessens über Wurschtigkeit und Heimarbeit zu legen. Mit Diskussionsrunden und Arbeitskreisen zum Thema Wurschtigkeit und Heimarbeit komme man unter Umständen, wenn man sich nicht verzettele und die eigene Nase immer wieder auf diese beiden Begriffe stoße, auf einen neuen Begriff der Revolution und vielleicht sogar darauf, was tatsächlich zu revolutionieren sei. Dann könne man seine Bilder vom bolivianischen Dschungel ad acta legen, denn solange das Bild der Revolution immer ein Bild der Entfernung sei, solange erhalte die Revolution ihren Wert allein durch das Zurücklegen dieser Entfernung. Dann reise man mit einem Mal mit einem Bus durch Bolivien und betrachte sich die Orte der Revolution. Oder man fahre in andere Länder Süd- oder Mittelamerikas, was einem völligen Eingeständnis des Scheiterns jeglicher Revolution gleichkomme. Weil die Bilder der Revolution vom bolivianischen Dschungel langsam und zu recht ihre Kraft einbüßten, da sich hinter diesen Bildern nur noch Wurschtigkeit, Ausbeutung und Heimarbeit versteckten, fahre man dorthin, um die Bilder vor Ort abzugleichen und zu meinen, jetzt wisse man endlich wieder, was Revolution sei und worum es bei einer Revolution gehe, obwohl man mit einer solchen Reise nichts anderes mache, als das Scheitern der Revolution zu zementieren, denn eine Revolution, die sich außerhalb befinde, eine Revolution, zu der man erst hinreisen müsse, das sei keine Revolution, sondern schlicht und einfach Imperialismus. Revolutionsimperialismus. Zu Hause versteckten sich Wurschtigkeit, Ausbeutung und Heimarbeit hinter der Revolution, und weil man genau das nicht ertrage, reise man zu den Stätten der Revolution, die man mit derselben Ehrfurcht betrachte wie früher die alten Säulen auf der Via Appia. Dies aber heiße nichts anderes, als die Revolution zur touristischen Kategorie zu entbeinen, die in den azurblauen Bänden der Reisebüros neben dem Frühstücksbuffet und der Treckingtour firmiere. Da fräßen die Kinder die Revolution dann gleich zum Frühstück. Zu Hause gebärde man sich wie wild, schreibe über seine Erlebnisse im bolivianischen Dschungel und jage das Geschriebene mit Verve über einen der Sender, die einem die Reise zu den schönsten Stätten der Weltrevolution mitfinanziert hätten.
Man könne überhaupt machen, was man wolle, sich auf den Kopf stellen und zuhause nur CDs laufen lassen, auf denen bolivianische Revolutionäre bolivianische Revolutionslieder sängen, es helfe nichts, es sei nichts weiter als der Kolonialismus der Väter, den man sich daheim aus den Poren schwitze. Und so wie sich der Kolonialismus der Väter mit der Industrialisierung verbunden habe, so habe sich die Revolution mit der Heimarbeit verbunden. Die Heimarbeit nämlich sei ein Märchen, das sich aus derselben Zeit gehalten habe wie die Revolution. Es sei ein Märchen, das sich gehalten habe, um Leute auszunehmen. Alles, was man nicht mehr gebrauchen könne, alles, was schon seit Jahrzehnten überholt sei, das könne man noch einmal unter dem Begriff Heimarbeit verkaufen, und so sei es eben mit der Revolution.
Er wolle an einem letzten Beispiel, bevor er sein erstes Dokument präsentiere, noch einmal den Begriff der Heimarbeit, und damit gleichzeitig den Begriff der Revolution verdeutlichen. Vor dreißig Jahren habe es etwas gegeben, das Prägemaschine geheißen habe. Diese Maschine sei etwa handtellergroß gewesen und keineswegs billig. Wenn er es sich recht überlege, habe diese Prägemaschine wie ein Revolver ausgesehen, zumindest so ähnlich wie ein Revolver. Dort, wo man bei einem Revolver die Munition hineintue, habe man bei der Prägemaschine einen zusammengerollten Plastikstreifen hineingeschoben. Dort, wo beim Revolver also die Trommel gewesen sei, habe sich bei der Prägemaschine der zusammengerollte Plastikstreifen befunden, und über diesem Plastikstreifen sei ein Rad gewesen mit den Buchstaben des Alphabets. Dieses Rad sei beweglich gewesen, so daß man mit diesem Rad immer einen Buchstaben nach oben habe drehen können. Wenn man auf den Abzug der Prägemaschine gedrückt habe, dann sei der obenstehende Buchstabe in den Plastikstreifen geprägt worden. So habe man ganze Wörter und Sätze prägen können. Auf den Straßen hätten Hausierer gestanden und ihre Dienste mit einer solchen Prägemaschine angeboten und wer es sich hätte leisten können, habe sich eine solche Prägemaschine zugelegt. Türschilder habe man sich mit einer solchen Prägemaschine prägen können und immer, wenn etwas ordentlich zu beschriften gewesen sei, habe diese Prägemaschine wertvolle Dienste geleistet. Dennoch sei die Prägemaschine in seinen Augen ein Symbol der verendenden Revolution gewesen. Der Revolver habe sich quasi zähmen und zu einer Prägemaschine umfunktionieren lassen. Statt der Kugeln seien nur noch Worte aus dieser Maschine gekommen. Und der einzige Sinn dieser Worte sei es gewesen, daß sie ordentlich ausgesehen hätten und überall aufzukleben gewesen seien. Man habe also zwei überflüssige Dinge zusammengeführt, nämlich das ordentliche Aussehen und die Haftbarkeit, und habe daraus etwas Neues kreiert. Da es nichts Neues mehr gebe, da es auch nichts mehr gebe, was Leute herstellen könnten, und da die Schlüsselindustrien und überhaupt alles besetzt sei, könne man nur noch Geld verdienen, indem man zwei überflüssige Sachen miteinander verbinde. Und genau das müsse man sich einfach eingestehen. Wenn man morgens aufstehe, müsse man sich das als allererstes eingestehen. Und bevor man abends ins Bett gehe, müsse man sich das als allerletztes ein weiteres Mal eingestehen, und dies jeden Tag aufs neue. Auf diese Art erliege man nicht länger den Illusionen über den Sinn des Lebens und die Entwicklung des Menschen und die Notwendigkeit der Revolution. Dies alles sei insgesamt Unsinn und werde nur noch von einfältigen Geistern hervorgebracht, die sich an ihre Illusionen und Notwendigkeiten klammerten, gleichzeitig genauso wie alle anderen unter dem Joch der Ausbeutung gebückt gingen, ob nun in der Fabrik oder in Heimarbeit, und den Feierabend und die Reise in die Ferien herbeisehnten, um Bilder abzugleichen und sich damit am Leben zu erhalten. Das, was man in der Wissenschaft nämlich unter Regenerationsfähigkeit des menschlichen Körpers verstehe, sei in Wirklichkeit nichts anderes als ein erneutes Abgleichen von Bildern. Die Regenerationsfähigkeit des menschlichen Körpers bestehe darin, sich nach überstandener Arbeitszeit unter dem Joch der Ausbeutung zurückzuziehen und mühsam und oft nur mit Hilfe eines halben Kasten Bieres wieder ein Bild abzugleichen, nämlich das Bild, das der Mensch sich von seinem Leben gemacht habe, und das ihm irgendwie abhanden gekommen sei und das er deshalb wieder herstelle nach Feierabend und im Urlaub. Dann sage er sich, daß es eigentlich ein anderer sei, der da tagsüber unter dem Joch der Ausbeutung einhergehe und daß er sich eines Tages von dem Joch befreien werde oder wenn nicht er, dann eben seine Kinder, oder wenn er keine Kinder habe, dann eben alle, die nach ihm kämen, aber solange es eben noch nicht so sei, pelle er die Wurst wie alle anderen, schlage mit dem Feuerzeug den Kronkorken vom Bier und rede nicht von Revolution und Ausbeutung und Heimarbeit, sondern von Dingen, da das Reden von Dingen umgehend Vertrauen erwecke, denn wenn ein Mensch immer nur Dinge herstelle und sich durch Dinge bestimme, dann könne er auch nach Feierabend nur noch über Dinge reden, und selbst wenn er nicht über Dinge rede, sondern über Ausbeutung oder Revolution, so spreche er davon, als handele es sich dabei um Dinge. Deshalb scheitere auch alles, weil man über alles nur wie über Dinge rede. Veränderungen gebe es deshalb schon lange nicht mehr, denn die Veränderungen seien zu Dingen verkommen, sie seien zu Eingaben und Präambeln verkommen und diejenigen, die diese Eingaben und Präambeln einreichten, meinten tatsächlich, sie bewegten sich, aber dies seien alles Scheinbewegungen. So wie ein Sarg in ein Grab gesenkt werde, das sei schließlich auch eine Bewegung, so sei das mit den Eingaben und mit den Präambeln.
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