Warum aber wurde Kevin getötet? Hatte Annika sich gewehrt, als er sie mit Gewalt auf die gelben Matten zerren wollte? Oder war sie zwar zunächst seinem Charme erlegen, hatte dann aber genug von ihm gehabt? Wollte er sie erpressen, hatte er gedroht, sie bei ihrem Freund anzuschwärzen? Gründe genug, und der Druckluftnagler war immer zur Hand.
Vielleicht aber war auch der freundliche Marco heimlich in Annika verliebt gewesen. Zu schüchtern, um etwas zu sagen, hatte er sich aufs Gucken beschränkt, hatte die beiden überrascht und war ausgerastet. Zack, zwanzig Nägel.
Oder gar der fette Harms. Ja was denn, auch dicke Dachdecker waren zu Seitensprüngen fähig. Oder mochten sich zumindest welche wünschen. Und jähzornig sein konnten sie bestimmt auch.
Verdammt, alles war möglich. Nach wie vor kam jeder der drei überlebenden Handwerker als Täter in Frage.
»Alle drei«, grummelte Stahnke vor sich hin. »Mist. Warum denn nicht mal einfach nur einer?«
Er drehte sich langsam um, schlurfte weg von der Fensteröffnung, zurück zum Treppendurchbruch, zurück zu Kramer und dem ungelösten Fall, die dort unten auf ihn warteten.
Sein Fuß stieß gegen etwas, das zwischen all dem herumliegenden Dreck kaum zu identifizieren war. Erneut bückte er sich.
Eine Streifbandzeitung. Ganz neu, von heute, ungeöffnet. Der Ostfriesische Kurier. Name und Anschrift des Abonnenten waren aufgedruckt.
Er kniff die Augen zusammen und korrigierte sich: Name und Anschrift der Abonnentin.
»Sie ist noch ein zweites Mal gekommen, wie jeden Tag«, erklärte Stahnke, als alles bereits erledigt war. »Eher als sonst, denn die Post war ungewöhnlich früh dran, und sie ist sofort los, weil sie noch einkaufen wollte. Und weil sie Kevin am Morgen pfeifen gehört hatte. Schließlich kannte sie ihn ja gut genug – ihn und den Song. Männer wechseln selten ihre Vorlieben. Wie auch immer. Harms und Marco waren oben auf den Balken, Dachlatten annageln. Kevin war in seinem Liebesnest, den Werkzeuggürtel noch nicht wieder angelegt. Vögelchen Annika war vermutlich schon wieder ausgeflogen, aber der CD-Player lief noch. Paint it black, der Song, den Kevin immer vor sich hin gepfiffen hat. Für Gaby war die Situation eindeutig. Tja.« Er nickte versonnen. »Bei all der Ballerei ringsumher fiel ihre Extra-Nagelsalve nicht weiter auf.«
»Woher wusste sie denn, wie so ein Druckluftnagler zu bedienen ist?«, fragte Kramer, als gäbe es noch etwas zu klären.
Stahnke machte eine wegwerfende Bewegung: »Handwerkerfrauen wissen so etwas. Außerdem hat sie gestanden, also, was willst du?«
»Die anderen drei sind also unschuldig. Da hast du ihnen ja ganz schön unrecht getan.«
»Beinahe unrecht, bitteschön. Beinahe. Das ist ein Unterschied.« Im Wohlgefühl seines Triumphs nahm Stahnke die Stichelei seines Kollegen gelassen hin. »Obwohl, wäre ja ganz schön gewesen, wenn der dicke Harms der Mörder wäre. Der ist mir irgendwie unsympathisch. Außerdem – vielleicht unterschlägt der ja wirklich Baumaterial. Mein Baumaterial!«
Kramer zuckte die Schultern: »Ach was. Der dicke Dachdecker deckt dir doch dein Dach. Drum dank doch dem dicken Dachdecker, dass der dicke Dachdecker dir dein Dach deckt.« Sprach’s, wandte sich um und schlenderte davon.
Stirnrunzelnd blickte Stahnke ihm nach. Auch als Kramer längst außer Sicht war, wollte das Gefühl, gründlich veräppelt worden zu sein, einfach nicht abklingen.
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