Wenn Sie in Ihrem Team hinter das Sichtbare und Offensichtliche blicken – was für andere Formen von Diversität können Sie da wohl noch entdecken? Das ist eine interessante und lohnende Aufgabe für jedes Team. Je mehr Sie über Ihre Teammitglieder wissen, desto besser werden Sie in der Lage sein, deren Verhaltensweisen zu verstehen und das, was sie antreibt.
Während demografische Diversität oft sichtbarer und offensichtlicher ist, kann kognitive Diversität die größere Herausforderung darstellen, sich dafür aber auch stärker auszahlen. Kognitive Diversität hat mit unterschiedlichen Denkweisen, Perspektiven und Fertigkeiten zu tun. Dazu gehört auch die kulturelle Intelligenz – das heißt die Fähigkeit, in unterschiedlichen kulturellen Kontexten zurechtzukommen.
Eine Priorität bei der Arbeit in der Antarktis ist die Notwendigkeit, mit Vertretern anderer Nationen zusammenzuarbeiten. Genau wie in multikulturellen Gemeinschaften oder multinationalen Unternehmen ist die Fähigkeit entscheidend, Empathie und Verständnis für kulturelle Unterschiede aufzubringen. Wenn Sie da Zweifel haben oder unsicher sind: einfach fragen. Es ist viel besser, zu fragen, wenn Sie kulturelle Anspielungen, Reaktionen oder Riten nicht verstehen, und damit Respekt zu zeigen, als wenn Sie nur so tun, als wären Sie im Bilde, weil Sie eine oberflächliche Harmonie wahren wollen, denn dann zeigen Sie echtes Interesse.
Als ich bei der australischen Haushaltswarenkette Bunnings arbeitete, lernte ich einen Teamleiter kennen, der von einem bestimmten Teammitglied hoch geschätzt wurde. Warum? Weil er sich die Zeit genommen hatte, die richtige Aussprache ihres (nicht angelsächsischen) Namens zu lernen, während andere das nicht getan hatten. Respekt geht über Harmonie.
Was ist der Unterschied? Ich stelle es mir gern so vor, als wäre Diversität die Summe der Zutaten für ein Kuchenrezept, also all der verschiedenen Elemente, die zusammenkommen; sie ist der Mix. Inklusion dagegen ist das fertige Produkt; sie ist der Kuchen.
Der richtige Mix Ihres Teams ergibt zwar ein viel besseres Ergebnis, erfordert aber auch ein Verständnis unbewusster Vorurteile – der Einstellungen, Perspektiven und Stereotypen, die wir aufgrund unserer Lebenserfahrung gesammelt haben und die unsere Entscheidungen beeinflussen können, besonders wenn wir unter Druck stehen. Dieser Druck kann zum Beispiel durch eine unklare Situation hervorgerufen werden, durch Übermüdung oder durch einen Mangel (oder aber ein Übermaß) an Information. Unser Denken muss schnell sein, daher greifen wir auf unsere unbewussten Vorurteile zurück, die uns oft zu einer unzutreffenden Einschätzung führen, die auf fehlerhaftem Denken beruht.
Unbewusste Vorurteile führen oft dazu, dass nur eine kleine Gruppe von Kandidaten für eine Stelle interviewt oder in gehobene Positionen befördert wird. Sie beschränken Diversität und Inklusion am Arbeitsplatz, was wiederum Innovationen bremst.
Da wir nicht alle Informationen, die uns erreichen, gleichzeitig verarbeiten können, funktionieren unbewusste Vorurteile wie ein Reflex, aufgrund dessen wir zu raschen Urteilen und vorschnellen Einschätzungen neigen.
Der erste Schritt zum Umgang mit diesen verborgenen Einflussnehmern besteht darin, die verbreitetsten Typen von Vorurteilen zu erkennen (die sogenannten kognitiven Verzerrungen).
1. Bevorzugung der eigenen Gruppe (Affinity Bias)
Das Affinitäts‐Vorurteil bringt uns dazu, Menschen zu bevorzugen, mit denen wir etwas gemeinsam zu haben meinen, die uns also kompatibel erscheinen. Zum Beispiel haben wir für das gleiche Unternehmen gearbeitet, waren an derselben Unis, mögen die gleiche Art Musik. Die Person erinnert uns an uns selbst oder an eine andere Person, die wir kennen und mögen.
Interaktionen mit Menschen, zu denen wir eine Affinität empfinden, unterscheiden sich von Interaktionen mit Menschen, zu denen wir weniger Verbindung verspüren. So sind wir bei Gruppenarbeiten an der Schule oder der Universität gegenüber Teilnehmern, die ihren Beitrag nicht leisten, viel nachsichtiger, wenn wir eine Affinität zu ihnen verspüren, wenn wir also etwas gemeinsam haben, als wenn das nicht der Fall ist.
Ähnlich besteht auch in ehrenamtlichen Organisationen die Erwartung, dass an den wöchentlichen Übungen zur Bedienung der Ausrüstung oder zur Entwicklung der Teamfertigkeiten alle teilnehmen. Das gehört zum Engagement dazu. Manchmal sind wir aber einfach verhindert. Wenn nun jemand regelmäßig die Trainingseinheiten versäumt, dann sind wir viel geneigter, dieses Verhalten zu entschuldigen, wenn wir eine Affinität zu dieser Person verspüren. Wenn es aber eine Person ist, mit der wir nichts gemeinsam haben, dann ist es leichter, die Nichtteilnahme auf mangelndes Engagement oder Faulheit zurückzuführen.
2. Heiligenschein‐Effekt (Halo‐Effekt)
Der Heiligenschein‐Effekt kommt ins Spiel, wenn wir an einer Person etwas Tolles wahrnehmen und dieser goldene Glanz dann auch auf alles andere abfärbt, was wir von dieser Person halten.
Hat eine Person zum Beispiel in ihrer Branche einen angesehenen Preis gewonnen, neigen wir dazu, diese Leistung auch unser allgemeines Urteil über sie beeinflussen zu lassen. Sie hat eine hohe Branchenauszeichnung erhalten, also muss sie auch gut sein.
3. Teufelshörner‐Effekt (Horn‐Effekt)
Wenn unsere Wahrnehmung einer Person dagegen umgekehrt über Gebühr durch einen Umstand beeinflusst wird, den wir als negativen Zug empfinden, dann übernimmt der Teufelshörner‐Effekt die Regie.
Wenn wir es zum Beispiel nicht gut finden, dass eine Person in Jeans und T‐Shirt zur Arbeit erscheint, gelangen wir leicht zu der Vermutung, dass sie auch ganz allgemein nachlässig und unprofessionell wäre, obwohl Professionalität und Kompetenz ziemlich wenig mit der Kleidung zu tun haben, die wir tragen.
4. Attributionsfehler (Zuschreibungsfehler)
Der Attributionsfehler beeinflusst, wie wir andere Menschen und ihre Leistung bewerten. Das kann sich besonders bei Personaleinstellungen auswirken.
Wenn wir uns selbst beurteilen, schreiben wir unsere Leistungen in der Regel fleißiger Arbeit und persönlichen Qualitäten zu, während wir unser Scheitern auf externe Faktoren zurückführen, bis hin zur Behinderung durch andere.
Wenn wir dagegen andere Menschen zu beurteilen haben, kommen wir oft zum entgegengesetzten Ergebnis. Hier ist es wahrscheinlicher, dass wir die Leistungen als Ergebnis von Glück oder ungerechten Vorteilen betrachten und Schwächen als Ergebnis mangelnden Engagements oder persönlicher Eigenschaften.
Der Bestätigungsfehler ist die Neigung, Informationen so zu suchen, zu interpretieren, zu gewichten und zu erinnern, dass sie zu unserer vorgefassten Meinung passen. Es wird bestätigt, was wir ohnehin schon denken.
Wir suchen unbewusst nach Belegen, die unsere eigene Meinung stützen oder zeigen, dass wir in Bezug auf eine Person recht haben.
In der Antarktis bestand meine einzige Personalentscheidung darin, dass ich aus den Reihen meiner Wintergruppe einen stellvertretenden Stationsleiter zu bestimmen hatte. Meine natürliche Neigung war, hier eine Person auszuwählen, mit der ich viel gemeinsam hatte und bei der ich das Gefühl hatte, ich könnte gut mit ihr zusammenarbeiten (Affinitäts‐Vorurteil). Wir mochten die gleiche Musik, wir waren im gleichen Alter, hatten also ähnliche Kindheitserinnerungen, und wir hatten bei der Ausbildung viel zusammen gelacht.
Das wäre aber nicht die beste Entscheidung für das Team gewesen. Warum? Weil wir einander so ähnlich waren, dass er keine wirklich alternative Sichtweise gegenüber der meinen geboten hätte. Ich hatte das Gefühl, wenn die Leute sich einmal nicht dabei wohlfühlen sollten, etwas mit mir zu besprechen, dann müssten sie die Möglichkeit haben, sich auch an jemand anders wenden zu können. Und da ich eine junge Frau mit Hochschulausbildung war, erschien es mir hier sinnvoll, einen älteren Mann auszuwählen, der Berufspraktiker war.
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