Ich scheuere den Bottich für Tine und mich, ganz gründlich, damit sie sich wohlfühlt. Tine setzt in der Küche Wassertöpfe auf den Herd, um uns ein Bad einlassen zu können. Aber unser Bad muss getrennt konsumiert werden, weil der Bottich zu klein für uns beide ist. Dafür hat man beim Sitzen im Wasser einen schönen Blick in die Welt hinein, die hier aus Tal und Berg und Burg besteht.
Als der Bottich sauber ist, dämmert es langsam und eine kleine Brise kommt auf. Ich versuche mich als Prometheus im Wohnzimmer, um noch mehr Wasser heiß zu bekommen. Wir kippen die ganze Wanne voller Wasser, dann stell ich ihr noch ein paar Töpfe daneben, rechts die mit warmem, links die mit kaltem Wasser. Dann muss ich ins Haus und eine viertel Stunde die Bohnensuppe umrühren, während Tine wannt. Wenn ich aus dem Fenster sehe, legt sie mich übers Knie, weil sich das für ein Kind in meinem Alter nicht gehöre, sagt sie.
Dann bade ich, aus Platzgründen mit angewinkelten Beinen. Das Wasser ist schon feuchte Seife und meine Haare werden struppig. Eine Mückenleiche treibt durch die Chemie. Ich schnipse sie über die Terrasse. Ruhe sanft im Gras!
Weil es jetzt wirklich langsam frischlich wird und die Sonne in einem lila Wolkenbrei verschwindet, husche ich ins Haus, wo Tine mir am Handtuch zupft und kichert. Sie hat so schön den Tisch gedeckt, dass mir ganz romantisch ums Herz wird. Da sind zwei Teller mit dampfender Suppe, ein Brotbrett und ein paar angegraute Kerzenstumpen, die auf die Tischplatte tropfen. Wir bröckeln Brotscheiben in die Suppe und stoßen mit Wein aus Plastikbechern an.
„Jetzt sind wir Besitzer eines Hauses ohne fließend Wasser und Strom“, proste ich Tine zu.
„Und von einem Schuppen“, ergänzt sie, weil sie sich alles merkt.
„Also, auf den Schuppen!“
„Und auf uns, Kindchen.“
Wir kommen aus dem Essen und Weinen gar nicht mehr raus, bis wir bei der Schokolade angelangt sind. Im Ofen knacken die Scheite und kleine Funken hupsen auf das Eisenblech vor der Luke. Wir versuchen Karten zu spielen, aber von der Hitze um uns und vom Weinbechern wird uns ganz schummrig. Auch haben wir eigentlich gar keine Lust, jetzt an Canasta zu denken und Punkte zu zählen.
Draußen heult irgendein Vogel. „Biste dolle böse, wenn ich jetz schon ma die Oochn zumache?“, flüstert mich Tine an und ich küsse ihre Nasenspitze. „Wollen wir hochgehen?“, frag ich zurück und denke kurz an die drei Matratzen, die da auf uns warten.
„Nee, lass ma“, gähnt Tine ab. „Da oben is keen Ofen.“ Sie schmiegt sich an mich und ich halte sie ganz nah an meiner Brust. Da merk ich, wie ihr Herz gegen die Außenwände pocht, ganz ruhig und verhalten. Und dann schläft sie auch schon ein, halb auf mir und halb neben mir und ich spüre, dass sie mir eine große Welt bedeutet. Warum kann das nicht immer so sein, frage ich mich. Man hat doch viel zu wenig Zeit füreinander allein. Da komm ich mir ziemlich altklug vor für einen Moment und muss ein bisschen über mich lächeln. Ich rutsche vorsichtig auf den Deckenstapel zurück, ganz langsam, dass Tine mir nicht aufwacht. Das Rückenliegen mag ich nicht so, aber heute ist es schön, weil sie bei mir liegt und träumt. Und ich mag sie, ich mag sie sehr, weil sie so eine Wucht ist. Und weil sie mich auch so lieb hat. Obwohl sie mich kennt.
Wir frühstücken in aller Ruhe auf der Terrasse, mit Blick in die Weite. Die Sonne guckt uns an und blendet etwas. Wenn die weiter so am Ball bleibt, wird es wohl ein ziemlich ballernd heißer Tag werden.
Tine kaut ein Marmeladenbrot und reibt ihre Füße an meinem Bein. Wir haben bestens geschlafen, wir sind beide der Meinung, dass das von der wilden Luft kommt. Oder vom Wein, den Tine sonst nicht so süffelt.
„So. Erster Tag im Freien“, stellt sie jetzt ganz richtig fest. „Dann üben wir das mal mit der Liebe. Und wehe, du strengst dich nicht an!“
„Was wollen wir zuerst machen?“, frage ich, worauf Tine augenblicklich die Stirn in Falten schlägt und dann auch schon etwas weiß: „Wir gehen erst mal baden, irgendwo da unten. Und dann machen wir gar nichts.“ Ich finde den Vorschlag genial, und weil wir aufgegessen haben und das Brot eh alle ist, ziehen wir uns die Badesachen an. „Immer nackt man hier rum mit dir“, meckert Tine dabei aus der Dachetage. „So schnell kann ich mich gar nicht hübsch für dich machen, wie ich mich wieder umziehen soll. Du bist ein richtiger Leuteschinder.“
„Und trotzdem hast du mich lieb“, rufe ich nach oben, wo ich durch die Luke ihre Beine rumlaufen sehen kann.
„Da bild dir ma nüschd droff ein, Kindchen“, rumpelt Tine und hüpft in ihren Mini. „Das ist zum größten Teil mein Verdienst.“
Wir machen uns auf den Weg. Mit den Resten von Wasser medium und ein paar Handtüchern im Rucksack schließen wir Haus und Gartentür ab und schlendern Hand in Hand den Weg entlang. Wir kommen uns schon richtig einheimisch vor in dieser Gegend: Da verschluckt uns der Wald, da kommt dann die Sonne durch, ein Stück Weizenfeld, dann wieder Wald und dort träumt Freibach im Tal. Die Unstrut gluckert lauter und Tine fragt mich, ob wir darin baden können, was ich nicht weiß. Auf der Karte hatte ich einen Badesee gesehen, den suchen wir jetzt und finden stattdessen den Lebensmittelladen, in dem ich schon am Abend zuvor war. Wir sind ja nicht auf den Kopf gefallen: Wir kaufen nur das Nötigste, was Schokoladenkekse, Orangensaft und ein neues Magazin für Tine ist. Den richtig großen Haufen holen wir erst auf dem Heimweg ab, den schleppen wir nicht durch den Tag. Tine erkundigt sich beim Bezahlen bei der Verkäuferin, die mehr als nur Preise weiß, nach dem See: Da die Straße runter, dann links, hinten dort da lang und schon sind Sie da. Können Sie gar nicht verfehlen. Viel Spaß. Danke, bis später.
Am See gähnt herrschende Leere. Nicht einmal niemand ist da. Scheinbar, weil es noch vor Mittag ist und alle anderen einen Alltag haben. Und wer freihat, ist nicht in Freibach, sondern weg.
Wir schlüpfen aus den Sachen und rennen in das kühle Wasser. Es spritzt uns an, wir tauchen ab. Tine zieht mich zu sich heran und gibt mir einen U-Boot-Kuss. Als ich wieder auftauche, spuckt sie mir einen großen Teil vom See ins Gesicht und lacht. Dann haschen und bewellen wir uns, bis ihr die Arme schwer werden. „Ich will ja keinen Muskelkater haben“, erklärt sie, als sie in Richtung Ufer rudert. Eine Gänsehaut und blaue Lippen hat sie schon, trotz der Hitze, weshalb sie zurück zum Handtuch möchte. Außerdem interessiert sie sich für die kranken Bekannten in dem neuen Magazin.
Ich drehe meine Kreise, tauche nach glitschigen Steinen – und manchmal bin ich mir sicher, dass das keine Algen sind, die mir um die Knöchel streifen. Wenn man nur wüsste, wie man so einen Fisch richtig ausnimmt und ob ihn Tine überhaupt essen würde … Weil es aber im Wasser ohne sie bald ziemlich alleinsam ist, tauche ich noch ein paar Mal ab und klettere dann auch aus dem See, um mich brav neben Tine zu legen.
Eincremen, lachen, kitzeln und ein gekichertes „Lass das“: Daraus besteht unsere aktuelle Haut- und Beziehungspflege. Dann feuert die Sonne eine schläfrige Stille zu unseren beiden Handtüchern runter, auf denen wir etwas halbschattig liegen. Nichts passiert. Ich habe die Augen geschlossen, die Sonnenstrahlen betasten meinen nackten Rücken. Manchmal schlägt Tine eine Seite ihres Magazins um und löst damit jedes Mal einen Urknall in dieser zirpenden Graslandschaft aus. Wir halten uns aus, das ist schön. Selbst wenn wir nichts sagen, spüren wir uns, ohne dass es stört. Wir schaffen das mit uns, wir sind ja schon groß und werden bald erwachsen. Gott, bin ich heute romantisch angeknackst! Um mich wieder in Schuss zu bringen, denke ich gleich mal ein bisschen an das Institut, mein geliebtes Büro Nummer 305, den Schimmel im Keller, die kaltschnäuzige Sekretärin – und heute kann mich das alles mal aus der Ferne grüßen.
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