Auf dem Nürnberger Reichsparteitag am 15. September 1935 verkündete Adolf Hitler die Nürnberger Rassengesetze, die den Rassenwahn der Nationalsozialisten juristisch untermauerten. Es handelte sich um das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ (auch „Blutschutzgesetz“ genannt) sowie das „Reichsbürgergesetz“.
Das „Blutschutzgesetz“ stellte die Ehe sowie außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen Ariern und Nichtariern unter Strafe. Verstöße gegen das Gesetz wurden als „Rassenschande“ geahndet und mit schweren Gefängnis- oder Zuchthausstrafen bestraft. In weiteren Gesetzeskommentaren wurde genauestens ausgeführt, wer Volljude (mindestens drei jüdische Großeltern) und wer „Mischling“ war und welche Rechte Volljuden, Halb-, Viertel- und Achteljuden im Einzelnen hatten. Halbjuden wurde es beispielsweise verboten, Nichtjuden oder „Vierteljuden“ zu heiraten. Der Personenkreis, der zwecks „Reinerhaltung der deutschen Rasse“ nicht geheiratet werden durfte, wurde von Juden auf „Zigeuner, Neger und ihre Bastarde“ ausgeweitet.
Das Gesetz bot fruchtbaren Boden für Denunziationen, häufig handelte es sich um falsche Anschuldigungen, auf die sich die Gestapo stützte. Die Definition für Geschlechtsverkehr wurde sehr breit ausgelegt, und in der Folge wurden mehr als 2.000 Bürger zu Zuchthausstrafen verurteilt. Obwohl Frauen per Gesetz straffrei blieben, da sie zwangsläufig für die Überführung gebraucht wurden, handelte die Gestapo oft eigenmächtig und überstellte weibliche „Rasseschänder“, jedenfalls wenn es sich um Jüdinnen handelte, an Konzentrationslager.
Das Reichsbürgergesetz schuf den Status des „Reichsbürgers“ für Arier, verbunden mit allen bürgerlichen Rechten. Juden dagegen wurden zu „Staatsbürgern“ erklärt und verloren als solche die vollen Rechte als gleichberechtigte Bürger. Damit war die Grundlage für die weitere Ausgrenzung und Entrechtung der Juden geschaffen. Diverse Zusatzverordnungen hoben die Zulassungen für jüdische Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Rechtsanwälte und Notare auf. Jüdische Gewerbebetriebe und jüdisches Vermögen wurden meldepflichtig, jüdische Kinder wurden ab November 1938 vom Besuch staatlicher Schulen ausgeschlossen, Kulturstätten, öffentliche Plätze, Badeanstalten konnten gesperrt werden, der Zugang zu Bibliotheken wurde verboten, der Führerschein von Staatsbürgern eingezogen. Die antijüdische Wirtschaftskampagne gipfelte in den von der NSDAP organisierten Pogromen am 9. und 10. November 1938, in deren Verlauf Tausende von jüdischen Geschäften, Wohnungen und Friedhöfen verwüstet, Hunderte von Synagogen in Brand gesteckt, etwa einhundert Menschen getötet und 30.000 jüdische Männer in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verbracht wurden. Am 12. November wurde die Einstellung sämtlicher jüdischer Geschäftstätigkeit verordnet, die „Arisierung“ der noch verbliebenen jüdischen Betriebe begann: Alle im Reich lebenden Juden wurden gezwungen, ihre Unternehmen zu verkaufen. Jüdischer Grundbesitz, Aktien, Juwelen und Kunstwerke mussten veräußert werden. Arbeitslose Juden wurden zu Zwangsarbeit verpflichtet, Juden durften „entmietet“ und in sogenannten „Judenhäusern“ untergebracht werden.
Ab 1. September 1941 wurde im Großdeutschen Reich – also dem „Altreich“, der „Ostmark“, dem Sudetenland, Böhmen, dem Memelgebiet, Danzig und Westpreußen, Schlesien, Elsass-Lothringen und Deutsch-Belgien – die Pflicht für alle Juden ab dem sechsten Lebensjahr eingeführt, einen gelben Judenstern sichtbar an der Kleidung zu tragen. Ab Oktober war Juden die Auswanderung aus dem Deutschen Reich verboten. Das war genau der Zeitpunkt, an dem die Deportationen von deutschen, österreichischen und tschechischen Juden begannen. Die Transporte gingen zunächst von Wien, Prag, Berlin und Frankfurt, später von Breslau, Hamburg, Köln, Düsseldorf, Dortmund, München, Stuttgart, Nürnberg, Hannover und Dresden ab. Sie führten in die Ghettos von Łódź, Minsk, Kaunas und Riga in den von den Deutschen besetzten Gebieten in Polen und in der Sowjetunion. Massenermordungen von Juden in den Ostgebieten waren zu dieser Zeit bereits in vollem Gange. Bis zum Januar 1942 wurden knapp 50.000 Juden aus dem Deutschen Reich deportiert, Tausende wurden sofort nach der Ankunft erschossen. Bis zum Ende des Krieges wurden weitere 123.000 deutsche Juden deportiert. Etwa 315.000 deutschen Juden gelang die Ausreise oder die Flucht, zwischen 10.000 und 15.000 gingen in die Illegalität. Schätzungen zufolge überlebten 6.000 Juden in den Lagern, und 5.000 im Untergrund.
Im November 1941 ließ Reinhard Heydrich in seiner Eigenschaft als Stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren die etwa 70 Kilometer nordöstlich von Prag gelegene Festung Theresienstadt – auf Tschechisch: Terezin – zu einem Konzentrationslager umfunktionieren. Die festungsartige Anlage mit Gefängnisanlagen, Baracken und hohen Schutzwällen schien ideal für die Zwecke der Nazis: Sie siedelten die dort wohnenden tschechischen Einwohner um und richteten – zunächst für die 88.000 tschechischen Juden aus Böhmen und Mähren – ein Sammel- und Durchgangslager ein. Die Deportationen der tschechischen Frauen, Männer und Kinder nach Theresienstadt begannen noch im November. Bereits zwei Monate später erfolgte der erste Weitertransport der Häftlinge in den Osten.
Im Rahmen der „Endlösung der Judenfrage“ auf der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 erklärte der Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes Reinhard Heydrich, dass unter der Federführung der SS nunmehr die Deportationen aller europäischen Juden nach Osteuropa stattfinden würden: Man rechnete mit elf Millionen. Um „die vielen Interventionen“ auszuschalten, so laut Protokoll, sollten alle Juden über 65, schwerkriegsbeschädigte Juden und Juden mit Kriegsauszeichnungen aus dem ersten Weltkrieg nicht „evakuiert“, sondern in das „Altersghetto“ Theresienstadt „überstellt“ werden.
Im Sommer 1942 begannen die Transporte der deutschen Juden nach Theresienstadt – unter ihnen auch viele einstige Prominente aus Wirtschaft, Politik und Kultur. Noch vor der Deportation wurden die Juden bedrängt, sogenannte „Heimeinkaufsverträge“ abzuschließen, in denen ihnen eine lebenslange kostenfreie Unterbringung, Verpflegung und Krankenversorgung in einem Altersheim zugesichert wurde: ein letzter infamer Betrug an den Juden, durch den sich die Nazis auch noch deren restliches Vermögen einverleibten.
Weil das Lager Theresienstadt unter jüdische Selbstverwaltung gestellt wurde und sich die Inhaftierten relativ frei bewegen konnten, wurde Theresienstadt oft auch als Ghetto bezeichnet. Die Lebensbedingungen unterschieden sich jedoch nicht wesentlich von denen in einem Konzentrationslager. Statt eines altersgerechten Domizils fanden die Ankömmlinge überfüllte, verlauste und verwanzte Unterkünfte mit katastrophalen sanitären Anlagen vor. Die Essensrationen waren völlig unzureichend. Diejenigen, die noch arbeitsfähig waren, wurden zu schwerer Zwangsarbeit eingeteilt. Der von der SS installierte Ältestenrat beschloss, Kindern und Arbeitenden größere Essensrationen als Alten und Kranken zu geben. In der Folge verhungerten die alten und nicht arbeitsfähigen Häftlinge – das waren im Wesentlichen die deutschen und österreichischen Juden. Krankheiten und Seuchen taten ihr Übriges. Allein im Jahr 1942 starben knapp 16.000 Menschen – die Hälfte der dort lebenden Juden. Aufgrund der hohen Sterbeziffer war die SS gezwungen, ein Krematorium zu bauen.
Während ein steter Strom von neuen Häftlingen nach Theresienstadt kam, gingen permanent Transporte mit Juden in den Osten ab: in die Ghettos von Warschau, Łódź, Riga und Bialystok oder direkt in die Vernichtungslager von Auschwitz, Majdanek und Treblinka.
Читать дальше