»Jamie Collister, ich habe dich gewarnt«, keifte sie.
Jamie hob die Augenbrauen. »Ich wünsche dir auch einen wunderbaren Tag, meine Liebe.«
Sie hob den Finger. »Das ist nicht lustig, hör auf, hier wieder den Klassenclown zu spielen! Die Zeiten sind vorbei.«
Er seufzte. »Okay, was ist los?«
»Dein Sohn Mason hat meine Tochter Danielle geküsst!« Sie betonte jedes Wort.
»Ach?« Und deswegen bestellte sie ihn hierher? Er hatte sich nach den letzten Ereignissen schon weiß Gott was überlegt, was sie von ihm wollte.
Shannon fing an, sich in Rage zu reden. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
»Die sind sechzehn, siebzehn, Herrgott noch mal. Vom Küssen kriegt man noch keine Kinder«, flachste er.
Doch irgendwie schien er damit in einen Fettnapf getreten zu sein, denn sie wurde zuerst blass, dann rot. »Wie kannst du darüber Scherze machen?«, hauchte sie.
»Hm? Was meinst du?« Verblüfft schaute er sie an.
Über Shannons Gesicht liefen widersprüchliche Empfindungen, doch sie ging nicht darauf ein, sondern schien sich wieder auf den Grund ihres Treffens zu besinnen. »Ich habe dir gesagt, er soll die Finger von ihr lassen. Er ist kein Umgang für sie.« Ihre Stimme überschlug sich fast.
Jamie merkte, wie er langsam wütend wurde. Er packte Shannon am Arm und zog sie ganz dicht vor sich. In ihren sorgfältig geschminkten Augen konnte er kleine rote Äderchen sehen. Auch den scharfen Geruch nach Alkohol, vermischt mit Pfefferminz, nahm er wahr. Keine Falte verunzierte ihre gelifteten Augen – alles war eine starre Maske.
Sie versuchte, sich von ihm loszureißen und schimpfte in einem fort, doch er zog sie nur näher an sich heran, dass ihre Körper sich fast berührten. Einen kurzen Augenblick schoss die Erinnerung an sie durch ihn. Wie sie sich an ihn geschmiegt hatte. Was war nur aus der Shannon von früher geworden?
Verärgert über die plötzlichen Gefühle, die ihn übermannten, war seine Stimme lauter als beabsichtigt, er brüllte fast. »Jetzt tu nicht so, als sei mein Sohn irgendein … Asozialer! Sag mir endlich, was eigentlich los ist! Dauernd diese obskuren Andeutungen, seit Jahren schon.«
Shannon zuckte zusammen und starrte ihn erschrocken an. Einen kurzen Augenblick zitterte ihre Unterlippe, sie blinzelte, dann hatte sie sich wieder im Griff.
»Lass mich sofort los!«, kreischte sie. Sie schlug nach ihm und er packte auch noch ihre freie Hand.
»Nein, erst sagst du mir, was hier eigentlich gespielt wird.« Er schnaubte. »Du lieber Himmel, unsere beiden fast erwachsenen Kinder küssen sich. Na und? Deswegen flippst du gleich aus?«
»Ich will ganz bestimmt nicht, dass es ihr so ergeht wie mir!«, fauchte Shannon.
Jamie zuckte kurz zurück. Meinte sie ihre Beziehung? Das hatte gesessen. Er schluckte.
»Was hab ich dir denn getan? Du hast mich damals verlassen, hast du das schon vergessen? Ohne mir einen Grund zu nennen!«
Sie schüttelte nur den Kopf.
Um Himmel willen, was war bloß passiert? Gut, er war damals vielleicht ein bisschen … wild gewesen, ja, und vielleicht auch nicht übermäßig sensibel, doch er hatte sie niemals betrogen oder schlecht behandelt. Oder hatte es nicht direkt mit ihm zu tun? Damals hatte sie sich auf einmal um 180 Grad gedreht. Warum war sie so … ja, richtiggehend panisch?
Shannon presste die Lippen zusammen und blickte auf den Boden, drückte mit der Sohle Muster in das vermooste Holz.
Seine Wut verrauchte und er lockerte seinen Griff. Auch Shannon schien in sich zusammengesunken zu sein. Unwillkürlich erwachte in ihm der Drang, sie in seine Arme zu ziehen, sie wirkte für einen Augenblick überhaupt nicht mehr wie die arrogante, neureiche Mrs. Holt, sondern wie die Shannon von damals. Er versuchte die Erinnerung abzuschütteln und trat einen Schritt zurück.
»Ich meine es ganz ernst«, sagte sie leise. »Sag deinem Sohn, dass er meine Tochter in Ruhe lassen soll!«
»Warum wendest du dich nicht an deine Danielle?«
»Ich habe ihr schon drei Wochen Hausarrest gegeben, aber ich kann sie doch nicht dauernd wegsperren! Ich hätte sie ja sowieso in ein Internat gebracht, aber ihre Granny …« Sie presste die Lippen zusammen und verstummte.
»Shannon, sei doch vernünftig. Was glaubst du, was passiert, wenn wir unseren Kindern verbieten, sich zu treffen? Ganz wegsperren kannst du niemanden. Das Verbotene macht doch doppelt Spaß. Und wenn sie etwas füreinander empfinden, dann kann man nichts dagegen machen.«
»Was spielt denn das für eine Rolle?«, stieß sie verbittert hervor.
Jamie packte sie wieder. »Jetzt sag mir endlich, verdammt noch mal, was eigentlich mit dir nicht stimmt!« Am liebsten hätte er sie geschüttelt.
Die nackte Angst in ihren Augen traf ihn wie ein Faustschlag in den Magen.
Sie zitterte. »Du hast doch keine Ahnung, Jamie Collister«, flüsterte sie fast tonlos, dann riss sie sich los und floh zu ihrem Wagen.
Jamie war so verblüfft, dass er erst reagierte, als sie mit aufheulendem Motor und schlammspritzenden Reifen davonschoss. Langsam ließ er den Kopf in den Nacken sinken. Die grauen Wolken am Himmel ballten sich immer dichter zusammen, doch Jamie hatte den Eindruck, dass das nicht das einzige war, was sich hier zusammenbraute. Und dieses Andere war wesentlich düsterer und äußerst bedrohlich.
*
Bei Randy zu Hause
Ein Dienstag, nach der Schule
Randy steckte den Schlüssel ins Schloss und rüttelte. Was war denn los, warum ließ der sich heute so schwer drehen, klemmte das Schloss? Er stellte seine Sporttasche mit den Klamotten, die er für die Übernachtung bei Mason dabei gehabt hatte, ab und zog mit einer Hand die Tür am Knauf zu sich, während er mit der anderen nochmals am Schlüssel drehte. Endlich sprang die Tür auf. Er würde nachher mal einen Tropfen Feinöl ins Schloss träufeln, nicht dass seine Tante Barbara dann vor verschlossener Tür stehen musste, wenn sie von ihrer zweitägigen Fortbildung zurückkam. Pfeifend ging er direkt ins Bad, um die gebrauchte Wäsche wegzubringen. Der Wäschekorb lag umgeworfen da, die schmutzige Kleidung auf dem Boden verteilt. War die Nachbarskatze wieder heimlich zur Tür hineingeschlüpft? Doch sie war nicht zu sehen.
An der Küchentür blieb er wie angewurzelt stehen. Sämtliche Schranktüren und Schubladen waren aufgerissen, Cornflakes lagen auf dem Boden verstreut, der Küchenstuhl war umgekippt. Eine eisige Kälte kroch in ihm hoch. Er überwand die Starre und hastete weiter. Auch im Wohnzimmer lag alles kreuz und quer – der Sessel war umgeworfen. Randy raste, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben in sein Zimmer.
Der Anblick traf ihn wie ein Hieb mit einem Baseballschläger. Kreuz und quer lagen die Elektronikteile über sein Zimmer verstreut, sein Flachbildschirm war umgekippt. Er stöhnte. Unter seinem Schreibtisch klaffte eine riesige Lücke. Sein Tower fehlte!
Er hielt sich am Türrahmen fest, seine Knie drohten nachzugeben. Atme, Randy! Tief holte er Luft und tastete sich vorsichtig voran, um auf nichts zu treten. Er musste den Schaden überblicken. Ein altes Notebook war weg, aber das war kein großer Verlust. Shit! Vincents Laptop, den er auseinander gebaut hatte, um den Lüfter zu montieren, lag auf dem Boden. Der Bildschirm war aus der Halterung gerissen und hatte einen großen Sprung. Randy wurde schlecht.
Irgendwo klackte es. Er zuckte zusammen. Fuck! Was, wenn der Einbrecher noch im Haus war? Vorsichtig schob er die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen. Mit zittrigen Händen fischte er sein Smartphone aus der Hosentasche. Polizei rufen? Damit womöglich Sheriff Bruker, ihr alter Widersacher, hier in seinen Sachen wühlte? Auf gar keinen Fall!
Randy wählte Masons Anschluss.
Geh schon ran, Mason, du Schwachkopf!, feuerte er ihn in Gedanken nach dem sechsten Läuten an. Mailbox. Randy legte auf und ließ es wieder läuten. Mensch, Mason! Nach dreimaligem Läuten ging er ran.
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