Livia Bitton-Jackson
Eine Reise in die Freiheit
Aus dem amerikanischen Englisch
von Dieter Fuchs
Gewidmet den Vereinigten Staaten von Amerika sowie all den jungen Frauen und Männern, die dazu beitragen, dieses mächtige Bollwerk der Demokratie und des Anstands zu schützen.
Livia Bitton-Jackson, 2005 (unter der Präsidentschaft George W. Bushs)
Vorwort Vorwort Ich habe Hunderte von Briefen erhalten, in denen junge Leserinnen und Leser den Wunsch äußerten, mehr von meinem Leben in Amerika zu erfahren. Was mich hier an intelligenten Fragen, wissbegierigem Eifer und rührender Anteilnahme erreichte, hat mir als Anregung zu diesem dritten Teil meiner Lebensgeschichte gedient. Für das großzügige Geschenk, das diese Briefe darstellen, möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Herzlicher Dank geht gleichermaßen an Brenda Bowen, Vizepräsidentin von Simon & Schuster, meine Lektorin Alyssa Eisner sowie meine frühere Lektorin Jessica Schulte, die mich alle nicht nur wunderbar und engagiert begleitet, sondern immer wieder auch ermutigt haben.
Der New Yorker Hafen, 1951
Mein erster Tag in Amerika
Der Broadway
Können Märchen wahr werden?
Vorbereitungen für Pessach
Amerikaner in meinem Alter
Mrs. Ryder
Mein erster Job
Bin ich verliebt?
Thunfisch, Milkshake, Bagels und »Lox«
Picknick im Wohnzimmer
Mutters Operation
Ich bin Arzthelferin
Das Ende des Märchens?
Was ist das für eine Nummer?
Mutter findet eine Arbeit
Urlaub in den Catskills
Ein »Blind Date«
Alex ist wieder da
Unser neues Zuhause
Der Umzug
Die Poconos
Camp Massad
Yishai
Kulturschock
Eine Zufallsbegegnung
Mein amerikanisches Highschool-Diplom
Anhang
Ich habe Hunderte von Briefen erhalten, in denen junge Leserinnen und Leser den Wunsch äußerten, mehr von meinem Leben in Amerika zu erfahren. Was mich hier an intelligenten Fragen, wissbegierigem Eifer und rührender Anteilnahme erreichte, hat mir als Anregung zu diesem dritten Teil meiner Lebensgeschichte gedient. Für das großzügige Geschenk, das diese Briefe darstellen, möchte ich mich ganz herzlich bedanken.
Herzlicher Dank geht gleichermaßen an Brenda Bowen, Vizepräsidentin von Simon & Schuster, meine Lektorin Alyssa Eisner sowie meine frühere Lektorin Jessica Schulte, die mich alle nicht nur wunderbar und engagiert begleitet, sondern immer wieder auch ermutigt haben.
Der New Yorker Hafen, 1951
Es dämmert schon, als die USS General Stewart den Nebel zerteilt und auf den New Yorker Hafen zusteuert. Mit angehaltenem Atem sehe ich die Küste näherkommen. Ein feuchter Wind klatscht mir die Haare gegen die Wangen, und meine Finger fühlen sich ganz taub an, so fest umklammere ich die Reling – und damit die Realität. Träume ich? Oder stehe ich wirklich auf dem Oberdeck dieses Schiffes, das sich immer näher an Amerika heranschiebt? Heute ist Sabbat, genau wie bei unserer Abfahrt vor acht Tagen. Wir haben unsere Reise am heiligen Sabbat begonnen und beenden sie auch am Sabbat. Ist das eine göttliche Botschaft? Ein Omen?
Die See hier vor der Küste ist ruhig, und ich fühle mich großartig. Ich bin nicht mehr seekrank. Der aufgewühlte Ozean mit seiner unendlichen Majestät liegt hinter uns, aufgespannt über dem Abgrund zwischen Vergangenheit und Zukunft. Zwischen unserer Heimatlosigkeit in Europa und der Verheißung einer Heimat in Amerika.
Amerika, wirst du mir ein Zuhause werden? Wirst du mich empfangen wie eine Tochter, die ihren Platz finden und gleichberechtigt dazugehören will? Oder muss ich für immer die Fremde bleiben, die ich auf der anderen Seite dieses Meeres war? Wirst du mir meinen innigsten Wunsch erfüllen, nämlich den, wieder studieren zu dürfen? Wirst du es mir ermöglichen, tatsächlich Lehrerin zu werden?
Oder sind das nur wilde Fantasien?
Elli, meine kleine Schwester … immer ganz ungestüm … immer am Träumen … mit dem Kopf in den Wolken .
Das ist die Stimme meines Bruders. Ich höre sie, als würde er direkt neben mir stehen. Mein Bruder Bubi! Ich kann es kaum erwarten, ihn zu sehen! Wann ist es denn endlich so weit?
Der Hafen ist jetzt schon recht nah, und ich sehe, wie sich der Umriss eines Monuments aus dem Nebel schält. Die Freiheitsstatue! Kein Zweifel. Während das Schiff auf unser Kai zusteuert, taucht sie in voller Pracht aus dem Dunst auf. Wie schön sie ist! Ich kann sie jetzt klar erkennen. Ich sehe ihre rechte Hand, in der sie die berühmte Fackel hält – die Fackel der Freiheit.
»Mami, schau! Dort! Dort am Horizont. Siehst du sie? Die Freiheitsstatue! Ach, Mami! Hast du gedacht, dass wir sie wirklich einmal erblicken?«
»Ja«, sagt Mami leise und etwas verhalten. »Ich sehe sie … Fast nicht zu glauben. Und doch ist es wahr. Gott sei Dank dürfen wir diesen Moment erleben.«
Ich umarme sie.
»Ach, Mami. Unfassbar, dass wir es doch geschafft haben!«
Auch andere haben die Statue erblickt, und aus den Reihen der herandrängenden Flüchtlinge erhebt sich freudiges Geschrei. Etliche Männer reißen sich die Mütze vom Kopf, jemand fängt an zu singen, und das Geschrei verwandelt sich in viele verschiedene Lieder, viele verschiedene Hymnen – ein bunter Strauß an Melodien, die in den Dunst über uns aufsteigen.
»Die amerikanische Hymne!«, rufe ich. »Wer kann die amerikanische Hymne?«
Aber niemand hört auf mich. Niemand kennt die Hymne unserer neuen Heimat. In ganz verschiedenen Sprachen singen die Flüchtlinge weiterhin die Hymnen, die sie im Herzen tragen – eine Kakophonie der Zungen. Das Oberdeck ist jetzt voller Menschen. Männer, Frauen, Kinder … alle singen, die Gesichter gerötet vom Wind und voller Tränen. Es ist ein einziges Lied, das da erklingt – das Lied von Flüchtlingen, die endlich nach Hause kommen.
»Oh, Mami. Ich kann nicht glauben, dass wir es geschafft haben!«
»Noch nicht. Noch nicht ganz.« Vorsichtig befreit sie sich aus meiner Umarmung. »Lass uns gehen und unsere Sachen holen, Elli«, sagt sie fröhlich. »Wir sollten uns beeilen und nicht als Letzte an Land gehen.«
Ich nicke.
»Wir sollten uns beeilen und unter den Ersten sein!«
Wir gehen nach unten, um unsere Sachen zu packen, und als wir die Koffer dann Richtung Oberdeck manövrieren, wird Mami von einer Welle aus Menschen erfasst, die sie Richtung Landungsbrücke zieht.
»Warte, Mami! Ich kann noch nicht gehen. Ich kann hier nicht weg, ohne mich von Captain McGregor und Obersteward McDonald zu verabschieden.« Gegen die Strömung ankämpfend, gelingt es Mami und mir, zur Offiziersmesse vorzudringen. Aber dort sind die beiden nicht. Als wir die Koffer Richtung Mannschaftsdeck schleppen, erklingt aus dem Gedränge eine bekannte Stimme.
»Da sind Sie ja! Gut sehen Sie aus! Wieder ganz die Alte.« Die Augen des Kapitäns sprühen vor schalkhafter Freude. »Bäckchen wie ein Pfirsich und abmarschbereit!«
»Ja, ich fühl’ mich wirklich besser. Die Seekrankheit hat aufgehört, als wir fürs Anlegen langsamer wurden.«
»Ich weiß, ich weiß. Liegt in der Natur der Sache. Und wo geht es jetzt hin?«
»Wir haben Verwandte in Brooklyn.«
»Brooklyn? Haben Sie denn einen Pass? Sie müssen über eine Brücke, um dorthin zu gelangen, und dafür brauchen Sie einen speziellen Ausweis. Brooklyn ist schließlich Ausland.«
»Oh, nein! Pässe haben wir keine. Wir sind ja alle ›staatenlos‹. Keiner der Flüchtlinge hier hat einen Pass!«
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