Sie ging an meinem Arm die Bahnhofstraße hinunter. Im Freilicht erkannte ich, dass ihre Schönheit viel von dem lockenden Reiz verloren hatte, dafür aber feiner, geistiger geworden war. Die ehrerbietigen Grüße, die ihr zuteil wurden, und die Blicke, die ihr folgten, sagten mir, wie ihr Name gefeiert war. Dass sie einen Zeugen ihrer künstlerischen Geltung neben sich hatte, mochte ihr wohltun, da Gustav augenscheinlich keine Kenntnis davon nahm.
Aber als ich sie vor mir her ins Gasthofzimmer schob, blickte die bewunderte Künstlerin unter ihrem Prachtut verschüchtert auf die vornehme Einfachheit des Grafenkindes. Doch kaum hatte sie den ersten Laut von ihren Lippen vernommen, als sie auch schon an ihrem Halse lag.
Mit einer solchen Stimme kann man nur sein, was der holdselige Name sagt.
Die Beiden küssten sich schwesterlich und schlossen von Stund an Freundschaft. Wir verbrachten einen frohen Abend, wobei in Selma die alte Glücksnatur wieder durchbrach, die sie ihrem ernsten Gefährten zuliebe bis zum Verlöschen abgedämpft hatte. Als wir heimgingen, zog ein spätes Gestirn mit wunderbar farbigen Strahlen gerade über der Spitze ihres Daches auf. Ich meinte in hoffnungsvoller Verblendung, dass es vielleicht doch noch einen Glücksstern für den verfemten Mann und seine mittragende Gefährtin gebe. Aber Angela, die beim Durchschreiten der Wohnung die weitgetrennten Räume gesehen hatte, wo die beiden jetzt hausten, sagte beklommen:
Dies ist kein Haus des Glücks. Dein Freund ist wieder Junggeselle geworden, ein einsamer, verbitterter, und Selma trägt schwer an ihrer Witwenschaft; sie bricht ihr langsam das Herz. Auch ist die Arme ja lungenkrank und sollte sobald wie möglich in ein besseres Klima verpflanzt werden. Hast du das Gehüstel nicht bemerkt und die jähen Hitzen? Ihr Mann muss ein Nachtwandler sein, wenn er daneben hinlebt, ohne zu sehen und zu hören.
Gustavs Anblick, als wir uns wiedersahen, zerschnitt mir das Herz, dass ich ihm nicht böse sein konnte für das, was er Selma antat. So hatte ich sein Aussehen nicht erwartet. Sein Gesicht war ganz starr, beinahe maskenhaft, wie von jähem Schrecken versteinert, und durch das schöne dichte Haar zogen sich Silberfäden. Am meisten ergriff mich seine freudige Rührung über meinen Besuch, die er kaum zu beherrschen wusste, sie bewies mehr als alles seine tiefe Vereinsamung. Aber er kam erfrischt aus den Bergen und trug sich, wie ich sah, mit neuen großen Plänen.
Diesmal hab’ ich meine Flügel von Pella bis nach Babylon und an den Indus ausgespannt.
Ich erschrak. Ein Alexanderdrama. Das war wieder ein Stoff, um die halbe Welt hineinzustopfen, und ich zweifelte nicht, dass er schon einen Grundriss angelegt hatte, wo Orient und Okzident mit Waffen und mit Geistern aufeinanderprallen konnten. Aber würde der gewaltige Wurf je den Tag der Vollendung sehen? Der Dichter war so erfüllt von der neuzuströmenden Erfindung, dass er mir gleich die großartige und tiefsinnige Szene vorlas, worin der Brahmane vor Alexanders Herrschersitz und dem versammelten Heere allen Vorstellungen und selbst der Bitte des Königs zum Trotz den Scheiterhaufen besteigt, um durch freiwilligen Feuertod den Wert aller irdischen Macht wie Asche zu zerblasen.
Der alte Geisterbeschwörer berauschte mich wiederum ganz und gar, und wir saßen bis zum Abend über seinen neuen Papieren, bevor ich zagend nach dem Schicksal des »Befreiers« fragte.
Er blieb ganz ruhig.
Ich glaube nicht, dass Berka von Anfang an die Absicht hatte, mir das Werk zu stehlen. Er wollte es nur als Sprungbrett in die Öffentlichkeit benützen und hätte später gern oder ungern den wahren Verfasser genannt. Doch nachdem er in einen Prozess wegen Plagiats, begangen an einem wenig bekannten verstorbenen Schriftsteller, verwickelt worden war und die Sache einen für ihn schmählichen Ausgang zu nehmen drohte, verschwand er plötzlich und nahm meine Dichtung mit.
Aber diese ist doch gerettet? Du hattest eine Abschrift?
Ja und nein. Ich konnte sie aus Zetteln wiederherstellen, aber nicht in der alten Fassung, denn ich besaß nur eine fertige Niederschrift.
Welche Unvorsichtigkeit! fuhr ich heraus.
Du hast recht, aber die Sache eilte, und damals regte sich schon ungeduldig der Alexander in mir.
Was wirst du jetzt mit der neuen Fassung anfangen? beharrte ich.
Er lachte bitter: Warten, bis sie in Deutschland das Große ertragen lernen und unterdessen erfolglos weiterschaffen, wie es alle Starken, Einsamen gemußt haben.
Die Berliner Aufführung ist zur Unzeit gekommen, tröstete ich. Vor dem Krieg wäre die Dichtung verstanden worden, sie wird später verstanden werden, wenn die Geister sich beruhigt haben.
Eine hohe Kunst wird bei uns immer zur Unzeit kommen, entgegnete er schneidend. Wäre es um das deutsche Selbstgefühl, so wollte ich mich gar nicht beschweren. Aber hindert das deutsche Selbstgefühl die Berliner, Abend für Abend dem jämmerlichsten französischen Trödel nachzulaufen? Höhnen sie nicht als rückständig jeden, der den armen Flitter verachtet und von echter deutscher Dichtung überhaupt spricht? – Sie lehnten meinen »Befreier« ab, angeblich weil ich zu menschlich mit den Römern verfuhr. Sie werden ebenso meinen Alexander ablehnen, ich sehe es kommen, weil ihre Gehirne für solche Maße überhaupt nicht eingerichtet sind.
Schilt mir nicht die Deutschen, sagte ich, als ob es anderwärts besser wäre. Bei ihnen macht das Große langsam seinen Weg, es macht ihn doch. Anderwärts können Werke von solchem Tiefgang nicht einmal entstehen.
Unglücklicherweise setzte sich dieses Gespräch an Gustavs Stammtisch, wohin er mich führte, fast ohne mein Zutun fort.
Ich bringe dich jetzt unter Menschen, für die dein Freund nicht nur der Gatte Selma Hanuschs ist, sondern auch selber etwas gilt – nämlich als Bergsteiger, hatte er mir unterwegs mit bitterer Selbstironie gesagt. – Ja, staune nur, so weit habe ich es im Leben gebracht, ich könnte jeden Tag ein Führerzeugnis erlangen, und solche Vorzüge weiß man hier zu schätzen.
Es war ein literarischer Zirkel, der sich wöchentlich einmal beim Weine traf, zum großen Teil Landsleute, die sich von der inneren Entwicklung des Reiches unbefriedigt ins Ausland begeben hatten, wo sie sich nun gegenseitig in ihrem Missmut bestärkten. Gustav trat herb und hochfahrend auf, wie immer, wenn er sich unterschätzt fühlte, und war doch auf diesen Verkehr angewiesen, wollte er nicht ganz erstarren. Er hielt alle im Abstand, und man konnte wohl sehen, dass er mehr gefürchtet als beliebt war. Kein Wunder, man kannte ihn nur als witzigen und spitzigen Kritiker, der für eine Reihe von großen Blättern Literaturberichte schrieb, von seinen schöpferischen Kräften schienen die wenigsten der Anwesenden zu wissen.
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