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In Zürich fand ich nächst nur Selma. Gustav hatte die letzte, schon kalte Herbstsonne benutzt, um noch für zwei Tage in die Berge zu gehen. Das Mädchen kannte mich noch und ließ mich ohne weiteres eintreten. Die Künstlerin stand halbseits mit dem Rücken gegen die Tür, dass ich sie zuerst im Profil erblickte; sie neckte sich zärtlich mit einem Kinde, das sie auf einen Bücherschrank gesetzt hatte, von wo es lachend und strampelnd nach ihr hinstrebte. Ein Mops beteiligte sich durch Emporspringen und Bellen an diesem Spiel. Sie schien mir größer geworden, was auf Rechnung einer fast asketischen Schlankheit kam.
Als sie mich erkannte, stieß sie einen Schrei aus, riss das Kind auf den Arm und stürzte mir mit einem Ungestüm entgegen, worin ich ganz die alte Selma erkannte.
Der Mohikaner! Endlich! endlich! O nun wird alles gut. Sie Böser, wo haben Sie so lange gesteckt?
Dieser Empfang verriet, wie verloren sie sich beide in der Fremde fühlten trotz Selmas Erfolgen, von denen man uns schon im Gasthof erzählt hatte.
Es brach auch gleich mit der alten Aufrichtigkeit aus ihr heraus:
Lieber, lieber Freund! Sie glauben nicht, wie mir Ihr Anblick wohl tut. Wir frieren hier an Leib und Seele. Das heißt: ich, setzte sie schnell mit wehmütiger Schalkheit hinzu, denn Er will es nicht Wort haben. Ich müsste ja dankbar sein, weil es uns äußerlich wohl geht, aber in unsrem guten Schwabenland wehte doch eine andere Luft.
Ich hielt das Kind, das sie während des Sprechens immerzu hätschelte, für ihr eigenes, da brach sie in Tränen aus.
Es ist ein Nachbarskind, das ich mir herüberhole, wenn Gustav fort ist. Ich darf ja kein eigenes haben. Ach, und ich wäre eine gute Mutter gewesen; dies eine Lob darf ich mir geben, es ist das höchste für eine Frau. Aber auf mich kommt es nicht an, er kann den Kinderlärm nicht ertragen.
Kaum hatte sie diese Worte herausgesprudelt, als sie sich erschrocken über ihre Offenherzigkeit in der ersten Minute des Wiedersehens auf den Mund schlug.
Nun erzählen Sie mir, Selma, sagte ich ablenkend, was denn eigentlich mit der entwendeten Handschrift geschah. Ich möchte gern eingeweiht sein, bevor ich Gustav spreche. Es ist mir von der Sache erzählt worden, doch konnte ich nichts Bestimmtes erfahren.
Dieser Schurke, dieser Berka! rief sie, rasch die Augen trocknend. Welchen Giftwurm haben wir uns da herangezogen. Sie durchschauten ihn ja gleich, ich weiß es noch wohl. Aber wir beide waren ganz von ihm eingenommen. Er überredete Gustav, ihm die Niederschrift der Trilogie zu überlassen, damit er sie auf das neugegründete Theater bringe, und wusste ihm einzureden, dass Gustavs Name zunächst nicht genannt werden dürfe. Es könnte doch nach der Persönlichkeit geforscht werden und herauskommen, wer hinter dem Gustav Borck stecke. Das sollte erst nach einem großen Sieg enthüllt werden. Unterdessen sollte die Dichtung Berkas Namen tragen. O welche Hoffnungen habe ich auf die Aufführung gesetzt. Ich glaubte, danach würde der Verfasser ins Vaterland zurückgerufen werden und alles verstanden und verziehen sein. Er glaubte es auch, wenn er gleich nicht davon sprach, sein Schiff ging auf den höchsten Wogen. Aber in Berlin meinten sie, wegen sachlicher Schwierigkeiten eine Aufführung des Ganzen zunächst nicht wagen zu können. Man wollte es fürs erste mit dem Mittelstück, der Varusschlacht, die auch für sich bestehen könne, versuchen. Und an dieser sollten noch Änderungen angebracht werden. Gustav willigte in alles, er war so nachgiebig, so zugänglich in seiner Freude. Nun gab es ein beständiges Hin- und Herfahren des bewussten Herrn, versteht sich, auf Gustavs Kosten, bis alles so weit war. Das letztemal fuhr er selber mit und wohnte unerkannt der Aufführung bei. Im Theater geriet er fast von Sinnen. Über seinen Kopf hinweg hatten sie Striche gemacht, die ihm sein ganzes Stück verhunzten. Auch so, verstümmelt und fast entmannt, hätte es noch einen starken Eindruck machen müssen, wäre nur eine Hörerschaft da gewesen, die starker Eindrücke fähig ist. Aber was bringt sattes Großstadtpublikum der hohen Kunst entgegen? Eine höfliche Langeweile, wenn sich’s um bekannte Größen handelt, bei unbekannten ein offenes Gähnen. Freilich, es gab auch feinere Geister, die hingerissen waren, und es wurden Worte geschrieben, die ihn wohl hätten über die Gleichgültigkeit des Haufens trösten können, wenn er damals irgendeinem Lichtstrahl zugänglich gewesen wäre. Aber es muss wohl auf jener Reise noch ein anderes Unheil ihn ereilt haben, denn er blieb danach lange Zeit in einer Art von Erstarrung, die allen auffiel.
Was könnte das für ein Unheil gewesen sein? forschte ich.
Ich weiß es nicht, irgendeine böse Entdeckung, er spricht nicht darüber. Aber es hat ihn furchtbar geschüttelt, er hatte bei seiner Rückkehr keinen Blutstropfen mehr im Gesicht und hat auch die frühere frische Farbe nie zurückbekommen. Er ging dann in die Berge und war wochenlang verschollen. Ach, was habe ich gelitten! Als er wiederkam, war’s wie nach einem Kampf mit Höllengeistern. Sein Gesicht war zerfallen, er hatte weiße Haare. Aber es ging vorüber, er stürzte sich in neue Arbeit, die riss ihn heraus, die rettete ihn. Und als es sich zeigte, dass er sein Vertrauen einem Betrüger geschenkt hatte, der nach allerlei Schurkereien mit seinem Werk verduftete, da nahm er den neuen Schlag merkwürdigerweise ganz gelassen.
Er hat ohne Zweifel eine Abschrift zurückbehalten.
Ich weiß es nicht genau. Das alles wird er Ihnen ja selber sagen. Welch ein Labsal für ihn, dass Sie da sind. Ihr Stillschweigen hat ihn mehr gequält, als er gestehen mochte; er glaubte, Sie hätten ihn absichtlich fallen lassen.
Wie konnte ich denn schreiben, wenn ich nicht wusste, wohin? antwortete ich. Ein Brief nach Heiden kam als unbestellbar zurück.
Ich sagte immer: Der Mohikaner lässt nicht von dir; wenn er nicht schreibt, so ist es, weil er nicht schreiben kann. Gib acht, er taucht eines Tages plötzlich auf und wird dann ganz der Alte sein.
Und hier ist er, um zu beweisen, dass Sie recht hatten, sagte ich. Aber jetzt muss ich aufbrechen, denn ich werde im Gasthof erwartet.
Als sie erfuhr, dass ich nicht mehr allein sei, sondern ihr eine Freundin und Schwester mitgebracht habe, blickte sie zuerst betreten. Sie schien zu fürchten, dass Gustav dabei einen Verlust erleide. Aber schnell besiegte sie die Anwandlung und sagte, meine Hände fassend:
Gott segne Sie und mache Sie so glücklich, wie Ihre Freundschaft für uns es verdient. Es war an der Zeit, dass Sie endlich auch an das eigene Glück dachten, statt einzig für das der Freunde zu sorgen. Also Angela heißt sie? Ein lieber Name. Aber warum haben Sie sie nicht mitgebracht? Holen Sie sie nur gleich. Nein, warten Sie, wir gehen zusammen. Sie müssen beide heut abend meine Gäste sein. Meine , wohlverstanden, denn morgen wird Gustav seine Rechte an Sie geltend machen, da habe ich mich auszulöschen, aber heute bin auch ich ein Mensch.
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