1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Der krönende Abschluss dieses Abends wäre es natürlich, in eine Alkoholkontrolle zu geraten, also fuhr ich besonders vorsichtig nach Hause. Vorsichtig und deprimiert. Ich glaube, die aufgeregten Planungen der anstehenden Weihnachtsfeiertage hatten meine Gefühle in diese Abwärtsspirale trudeln lassen.
Ich mag Weihnachten. Nicht so sehr wie als Kind, aber ich habe wirklich Freude daran. Ja, ich weiß: es ist billig geworden, kitschig und kommerziell, aber das ändert nichts an der Grundlage dieses Festes. Und – natürlich – ist es die absolut beste Zeit des Jahres für die Cloak and Dagger Buchhandlung.
Das Problem, das ich mit Weihnachten habe, ist das gleiche, das die meisten Alleinstehenden damit haben – nämlich, dass es für Singles auch gleichzeitig die absolut einsamste Zeit des Jahres ist.
Es wären noch viel einsamere Aussichten gewesen, wenn ich nicht Lisa und eine Handvoll guter Freunde gehabt hätte. Und dieses Jahr hatte ich Jake. Irgendwie.
Natürlich wollte ich Weihnachten am liebsten mit Jake verbringen, aber mir war klar, dass das eher unwahrscheinlich war. Er würde bei seiner Familie sein, die anscheinend auch nach vierzig Jahren noch absolut keine Ahnung hatte, wie sehr James Patrick Riordan Männer mochte. Trotz der Tatsache, dass er wöchentlich mehrfach in meinem Bett und unter meinem Dach übernachtete, würde Jake sie auf gar keinen Fall aufklären (im wahrsten Sinne, sozusagen).
Ebenso unwahrscheinlich würde er Weihnachten in meinem Revier verbringen. Er war nicht gerade begeistert von der Tatsache, dass meine Mutter und Chan, sein Partner bei der Polizei, wussten, dass wir eine Beziehung hatten. Fügte man dieser Mischung vier weitere neue Unbekannte hinzu, würde ich ihn wahrscheinlich nie wiedersehen.
Bald hatte Jake Urlaub – er stand immer kurz vor dem Urlaub, denn er war ein Workaholic – und eine Zeitlang hatte ich mit dem Gedanken gespielt, zu versuchen, ihn zu einem Kurztrip zu überreden. Ich hatte gedacht, dass er sich auf neutralem Boden, wo niemand uns kannte, vielleicht wieder entspannen würde, und wir uns wieder so nah sein könnten wie im letzten Frühling. Aber ich war bis jetzt nicht dazu gekommen, ihn zu fragen, vermutlich auch, weil ich ziemlich sicher war, dass er nein sagen würde.
Ein paar verlorene Weihnachtslichter leuchteten entlang des Wegs, als ich den Colorado Boulevard entlangfuhr. Die Stechpalmenzweige an den Laternenpfählen sahen windzerrupft aus und passten in diese Geisterstadt. Ich bog in meine ruhige Seitenstraße ab. Die meisten Geschäfte waren dunkel und geschlossen.
Ich wohnte über der Buchhandlung. Das Haus war ursprünglich ein in den dreißiger Jahren errichtetes kleines Hotel gewesen. Ich hatte es gekauft, kurz nachdem ich einen ziemlichen Batzen Geld von meiner Großmutter väterlicherseits geerbt hatte. Ich hatte Stanford mit einem Abschluss in Literatur und der vagen Idee verlassen, dass das Betreiben eines Buchladens ein guter Nebenjob für einen Schriftsteller wäre. Zehn Jahre später hatte sich herausgestellt, dass Schreiben kein schlechter Nebenjob für einen Typen war, der einen Buchladen führte.
Nachts war in der Altstadt viel los, aber nicht in meiner Gegend. Hier leerte es sich gegen acht Uhr abends. Normalerweise mochte ich diese Zurückgezogenheit. An diesem Abend fühlte es sich einsam an.
Ich fragte mich, ob Jake eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte, aber ich wusste, dass das unwahrscheinlich war. Ich würde ihn heute Abend nicht sehen, nicht an zwei Abenden nacheinander. Die CD begann von vorn. Ich lauschte kurz den süßen, traurigen Akkorden von „Rain“, dann schaltete ich den Player aus.
Als ich in die Gasse hinter dem Laden bog, glitten meine Scheinwerfer über die Steinmauer auf der Rückseite des Gebäudes. Ich nahm einen Schimmer wahr, wie von Augen, die in der Dunkelheit aufleuchteten. Verschwommen erhaschte ich ein Bild von etwas Beunruhigendem, von Absätzen, die gerade so eben aus dem Scheinwerferlicht meines Autos verschwanden. Ich trat auf die Bremse.
Hatte ich es mir nur eingebildet?
Ich wartete, den Motor im Leerlauf, den Fuß immer noch auf der Bremse, und die Scheibenwischer quietschten über die Frontscheibe.
Keine Bewegung im Schatten.
Eine Katze, dachte ich.
Eine wirklich große Katze.
Eine wirklich große Katze mit Turnschuhen.
Ich nahm den Fuß von der Bremse und rollte leise auf meinen Parkplatz. Ich zögerte kurz, dann machte ich den Motor aus.
Ein Windstoß wirbelte einen leeren Milchkarton über den Asphalt. Das war das einzige Geräusch, die einzige Bewegung in der Straße.
Ich stieg aus dem SUV und ging ins Haus.
* * * * *
Am nächsten Morgen sah alles nicht mehr so düster aus, aber das lag eher an dem Sonnenschein, der sich durch die bleierne Wolkendecke schob, als an irgendeiner emotionalen Erleuchtung meinerseits.
Ich hatte bei der Zeitarbeitsagentur nach einer Fachverkäuferin als Ersatz angefragt. Und sie hatten mir Mrs. Tum geschickt. Mrs. T war eine winzige, ältliche Dame, die praktisch kein Wort Englisch sprach, was mir einen Einblick darüber verschaffte, wie die Agentur meine Arbeit wahrnahm.
Mrs. Tum schien außerdem von leicht erregbarer Natur. Das stellte ich fest, als sie mir zu erklären versuchte, welches Graffiti sich auf der untersten Treppenstufe vor meiner Tür befand.
Als ich schließlich immer noch nicht „vere-stand“, packte mich Mrs. T mit ihrer puppenhaften Hand und zog mich mit sich nach draußen, so dass ich persönlich und aus allernächster Nähe einen Blick auf meine Schwelle und damit auf etwas werfen konnte, was wie ein mit Blut gezeichnetes Pentagramm aussah.
„Glaubst du immer noch, dass das nur ein harmloser Spaß ist?“, erkundigte sich Jake, nachdem ich meine Anzeige zusammen mit dem uniformierten Streifenpolizisten, der meinen Anruf entgegengenommen hatte, ausgefüllt hatte.
„Hilf mir auf die Sprünge. Wann habe ich jemals gesagt, dass ich diese Scheiße nicht ernst nehme?“
„Ruhig“, murmelte er, denn der Officer kam nach einem kurzen Gespräch mit seinem Kollegen zurück.
„Es ist kein Blut“, informierte mich Officer Hinojosa. „Der Farbton trifft es ziemlich genau, aber es ist Farbe.“
Kein Blut war gut. Sehr gut. Ich stieß die Luft aus, die ich schätzungsweise seit einer Stunde angehalten hatte.
„Kein Blut? Nur … ganz gewöhnliche Farbe, was? Ist es denn in Ordnung, wenn ich den Beweis wegwische? Das Geschmiere zerstört mir irgendwie den Weihnachtsvibe.“ Mit meiner Digitalkamera hatte ich schon mehrere Fotos von dem Kunstwerk gemacht. Obwohl ich nicht davon ausging, dass sie in der nächsten Zeit jemanden finden würden, den man dafür vor Gericht zerren könnte.
Hinojosa schüttelte bedauernd den Kopf. „Das ist Lackfarbe. Schnell trocknend. Ich glaube nicht, dass Sie das abwaschen können. Sie werden es übermalen müssen.“
„Och, mit Farblöser bekommt man das weg“, sagte der andere Uniformierte und gesellte sich zu uns.
„Nicht, wenn es getrocknet ist.“
„Doch, wenn man es noch mit ein bisschen Armschmalz bearbeitet.“
„Nein. Aber vielleicht kann man es mit Betonfarbe übermalen.“
„Oder Sie könnten es mit dem ganz harten Zeug versuchen.“
Es war wie bei Hör mal wer da hämmert (mit Waffen). Nach ein oder zwei Minuten hatte Jake genug und ging in den Laden. Ich wartete noch, bis die beiden fertig waren. Schließlich einigten sie sich auf ein Unentschieden, wünschten mir noch einen schönen Tag, gingen zurück zu ihrem Wagen und fuhren davon.
Ich entdeckte Jake bei der Kaffeemaschine, in die Enge getrieben von Mrs. T.
Ganz sicher war ich mir nicht, warum oder wie Jake auf der Bildfläche erschienen war – schließlich war das hier nur eine Beschwerde wegen Vandalismus – aber ich war froh gewesen, ihn zu sehen. Auf Mrs. T dagegen schien sich diese beruhigende Wirkung nicht zu erstrecken. Ihre Puppenarme fuchtelten durch die Luft, als sei der Knopf ihrer Fernbedienung eingedrückt und festgestellt. Von durchschnittlich zehn Worten ihrer Maschinengewehrsalven konnte ich eins verstehen.
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