„Du magst Mädchen nicht mal.“
Entrüstet sagte sie: „Natürlich mag ich Mädchen!“
„Ich bin mir sehr sicher, dass du keines der Mädchen mochtest, das ich nach Hause mitgebracht habe.“
„Keines dieser Mädchen war die Richtige für dich, Adrien.“
Da hatte sie Recht.
Ich dachte mir, dass ich zumindest diese Abmachung einhalten müsste. Sobald ich es verantworten konnte, schloss ich den Laden, duschte, rasierte mich und holte in einer Art archäologischer Ausgrabung meinen dunkelgrauen Hugo-Boss-Anzug aus den Tiefen meines Schrankes. Das letzte Mal hatte ich ihn auf der Beerdigung von Robert Hersey getragen. Meine Stimmung war jetzt auch nicht unbedingt fröhlicher.
Die Fahrt mit dem Forester verbesserte meine Laune etwas. Es geht doch nichts über ein neues Spielzeug. Während ich auf die Autobahn abbog, führte ich eine Art innerlichen Fahrer-und-Auto-Monolog: bester Fahrkomfort mit ordentlicher Beschleunigung … leichte aber reaktionsstarke Lenkung … Die Gedanken an den Kampf gegen das Böse nahmen vorübergehend auf dem Rücksitz Platz.
Wir waren beim Pacific Dining Car an der West 6th Street in Los Angeles verabredet. Ursprünglich war dieses 1921 gegründete und legendäre, familiengeführte Restaurant ein auf einem gemieteten Parkplatz stehender Speisewagen gewesen. Hier brachen heute die hohen Tiere der Stadt, die Politiker, Juristen und Geschäftsleute von Los Angeles miteinander das Brot, hier schlossen sie ihre Geschäfte. Das Essen (und die Weinkarte) waren exzellent. Es war teuer, aber unprätentiös. Ich hielt es für ein gutes Zeichen, dass wir dort zu Abend essen würden und nicht in irgendeinem überteuerten, hippen Lokal.
Die anderen saßen schon am Tisch, als ich das Restaurant betrat, aber Lisa kam mir entgegen. Sie strahlte in einem Hauch von blau mit Perlen. Ihre Augen glänzten, sie hatte rote Wangen und sah nicht einen Tag älter als vierzig aus.
„Oh Liebling, du siehst so gut aus!“, flüsterte sie mir zu, bevor sie mich mit sich zog, um die Vierergang kennenzulernen.
Dauten erhob sich von seinem Platz am Kopf des Tisches, um mich zu begrüßen. Ich muss zugeben, dass er ganz anders war, als ich ihn mir vorgestellt hatte.
„Adrien.“ Er nickte mir kurz zu, aber sein Handschlag war durchaus herzlich. Er war groß, sogar noch größer als Jake, aber in der Mitte etwas schwammig. Groß und kahl. Seine Augen blitzten in einem jungenhaften Blau und leuchteten in seinem braun gebrannten Gesicht. Wahrscheinlich hatte er noch niemals wirklich gut ausgesehen, und ich hatte nicht den Eindruck, dass er viel Zeit darauf verschwendete, charmant zu sein. Aber ihn umgab Autorität. Die Aura von Macht. Es wäre schwer gewesen, jemanden zu finden, der meinem schlanken, kultivierten Vater weniger ähnelte.
„Sir.“ Ich versuchte, seinen Handschlag mit genau dem richtigen Gegendruck zu erwidern. Wussten diese Leute, dass ich schwul war? Würde das ein Problem sein? Nicht, dass es mich einen feuchten Dreck scherte, was sie davon hielten, aber wenn Lisa ihr Herz hieran gehängt hatte, wollte ich todsicher nicht das K.o.-Kriterium sein.
„Nenn mich Bill.“
Gott sei Dank, denn Pop würde ich diesen Typ niemals nennen.
„Und hier sind die Mädchen“, flötete Lisa, und klang dabei nervös.
Es schien eine ganze Horde zu sein. Lisa hatte Recht, sie waren reizend. Kurz war ich wie von einem Schmetterlingsschwarm umhüllt. Parfümierte Brüste und lange Beine und seidiges Haar überall, während die Mädchen sich um mich und sich selbst herum manövrierten, umarmten und Wangenküsse verteilten, sich bedeutungsvoll anlächelten und aus irgendeinem unerfindlichen Grund die Plätze tauschten.
Als wir endlich alle saßen, begriff ich, dass es nur drei waren. Die älteste, Lauren, war ungefähr so alt wie ich. Sie trug einen Ehering, obwohl weit und breit kein Ehemann zu sehen war. Die jüngste, Emma, war zwölf.
Ihre Getränke wurden gebracht. Meine Bestellung eines doppelten Drinks wurde von einem sympathisch aussehenden Kellner entgegengenommen. Dann redeten alle gleichzeitig los.
„Adrien schreibt Kriminalgeschichten und ist Inhaber einer Buchhandlung“, erklärte Lisa Dauten. Ich fragte mich, ob sie bis fünf Minuten vor dem Abendessen gewartet hatte, um die Neuigkeit zu verkünden, dass sie einen erwachsenen Sohn hatte. „Sie sind furchtbar clever und schrecklich bösartig, was sehr überraschend ist, denn er war immer der sanfteste kleine Junge.“
„Ihr Akzent ist so bezaubernd“, sagte Lauren über meine in England geborene Mutter und störte damit gnädigerweise meine Konzentration auf Lisas Monolog. „Ich liebe es einfach, sie reden zu hören.“
„Oh, ich auch“, sagte ich. „Besonders jetzt gerade.“
Das Kind zu meiner Rechten, Emma, kicherte. Ich grinste sie an.
Lauren und das mittlere Mädchen (wie zur Hölle war noch ihr Name?) waren große, gertenschlanke Blondinen, die auf eine typisch amerikanische Weise gut aussahen, wie lebendig gewordene Ralph-Lauren-Werbung. Die Kleine war dünn und schlaksig mit glänzendem schwarzem Haar und rosigen Wangen. Sie hatte die gleichen blauen Augen wie die anderen Familienmitglieder geerbt, die zusammen mit ihrem dunklen Haar sehr auffallend waren. Sie sah Lisa sehr ähnlich. Sie hätte als ihre Tochter durchgehen können – oder als meine Schwester.
„Wir lieben Lisa“, versicherte die Mittlere (Nancy? Natasha?) mir. „Sie ist so gut für Papa. Er vergöttert sie.“
Ich sah, wie Dauten Lisas Hand mit seiner gigantischen Pfote tätschelte, während sie weiter plapperte. Er trug einen goldenen Siegelring auf dem kleinen Finger. Schwarze Haare bedeckten seine Handrücken. Dankbar ergriff ich den doppelten Whisky, den der Kellner mir brachte und stürzte die Hälfte in einem Schluck hinunter.
„War der Verkehr sehr schlimm?“, fragte Lauren teilnahmsvoll.
„Wir werden alle zu deinem Buchladen kommen“, sagte die Mittlere. „Ich liebe Krimis! Ich lese sie nur. Wir werden es allen erzählen. Wir werden allen unseren Freunden sagen, dass sie auch kommen sollen. Weißt du, ich wollte schon immer in einem Buchladen arbeiten.“
Die Kleine, Emma, die mich nicht aus den Augen gelassen hatte, sagte plötzlich: „Du siehst aus wie jemand … ich weiß! Du siehst aus wie der Schauspieler aus dem Film. Red River.“
„John Wayne?“
Sie kicherte. Ja, sie war eine Süße.
Die Mittlere, Natalie – Natalie – sagte stolz: „Emma mag Schwarz-weiß-Filme“, als ob das junge Gemüse schon längst immatrikuliert wäre.
„Welche Filme gefallen dir?“, fragte ich Emma.
Ihre Antwort konnte ich nicht mehr hören, denn in dem Moment lehnte sich Lauren über den Tisch und flüsterte wie eine Geheimagentin im Dienst: „Also – was denkst du über ihren Plan, an Silvester zu heiraten, Adrien?“
„Äh …“
„Das lässt uns kaum Zeit!“ fiel Natalie ein, ebenso verschwörerisch. „Wir müssen sie hinhalten!“
„Wir müssen uns auch noch auf Weihnachten vorbereiten“, sagte Lauren zu mir. „Ach übrigens, du bist dieses Jahr Weihnachten bei uns, hat Lisa es dir schon gesagt?“
„Ich werde Brautjungfer!“, piepte Emma neben mir.
„Und du wirst die Braut zum Altar führen“, sagte Natalie zu mir.
Ich bestellte noch einen Drink.
* * * * *
Wir verabschiedeten uns auf dem Parkplatz, Lisa und die Mädchen quetschten sich in Dautens Jaguar, als es gerade anfing zu regnen. Der Jaguar schoss an mir vorbei, im Vorbeifahren sah ich verschwommen winkende Hände und lächelnde Gesichter. Ich nahm meine Krawatte ab und warf sie auf den Beifahrersitz.
Der Nieselregen wurde noch stärker, als ich auf die Autobahn fuhr. Ich legte eine CD in den neuen Spieler ein: Patty Griffins 1000 Kisses. Die ersten melancholischen Klänge erfüllten das stille Auto und schienen sich dem Takt der Scheibenwischer anzupassen.
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