»Am liebsten würde ich denen die Fresse einschlagen«, sagte Blake.
»Allen?«, fragte Grace.
»Die haben echt Nerven.«
»Wer sind die eigentlich genau?«
»Rechte Versager«, erwiderte Miriam. »Die meinen, dass Amerikaner weiß sein müssen und Frauen in die Küche gehören – du verstehst schon.«
»Was hatten die auf der Gedenkfeier zu suchen?« Grace war selbst nur gezwungenermaßen hingegangen, dabei hielt sie den Tod des Jungen durchaus für eine Tragödie. Wie konnte man beim Tod eines Teenagers kein Mitleid empfinden? Wie konnte man losziehen, um Trauernde zu belästigen? Die Western Boys erinnerten sie an diese irren Gott hasst Schwule-Typen – diese wütenden, dummen weißen Menschen, die Beerdigungen von Homosexuellen heimsuchten.
»Weil das zu ihren Versagertaktiken gehört. Die kreuzen überall auf, wo sie denken, Linke provozieren zu können. Das reicht ihnen schon.« Miriam trank ihr Glas aus und stand auf. »Ich sage dem Türsteher Bescheid.«
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch sah Grace ihrer Schwester nach. »Warte«, sagte sie. »Ich komme mit.« Sie sprang auf und ließ Blake mit seiner Wut allein am Tisch zurück.
Der Türsteher hatte braune Haut, war Latino oder vielleicht Filipino und so muskelbepackt, dass er beinahe fett aussah. Bei Miriams Anblick leuchteten seine Augen auf.
»Was geht?«, fragte er, als würden sie sich kennen. Grace fiel ein, dass es schon beim Einlass ein bisschen Geflirte gegeben hatte. Wahrscheinlich war er verknallt in sie.
»Hey«, sagte Miriam. »Die Typen, die gerade reingekommen sind – ist dir klar, wer das ist?«
»Ich habe die Mützen gesehen«, sagte er achselzuckend. »Aber wegen Mützen kann ich niemanden abweisen.«
»Das ist eine Hassgruppe. Das Southern Poverty Law Center hat sie auf der schwarzen Liste.«
»Das Southern was?«
Grace berührte Miriams Arm. Ihre Schwester würde den Türsteher nicht überreden können, zahlende Gäste rauszuwerfen, nur weil sie auf einer Liste standen, von der noch niemand gehört hatte.
Miriam machte trotzdem weiter. »Die sind nicht bloß zum Trinken hier, verstehst du? Die wollen Ärger machen. Das ist schon die dritte Bar auf ihrer Tour.«
»Sie scheinen mir aber nur Drinks zu bestellen und dabei alberne Uniformen zu tragen.« Er klang inzwischen ein wenig sauer. Das passierte Miriam öfter. Sie verhielt sich weniger niedlich, als sie aussah, und diese Diskrepanz war für andere irritierend.
»Kann ich den Manager sprechen?«
»Um ihm was zu sagen?«
»Ich finde, er sollte wissen, dass Nazis in der Bar sind. Was er dann macht, ist seine Sache.«
Er seufzte. »Mann, lass die doch einfach ihr kleines Treffen abhalten.«
»Ihr Nazitreffen.«
Sie sahen sich herausfordernd an. Dann schweifte der Blick des Türstehers ab. »Gehen Sie zu Ihren Freunden zurück«, sagte er.
Der Anführer der Western Boys stand auf einmal so dicht hinter Grace, dass sie einen Satz machte, als er zu reden begann. »Gibt es ein Problem?« Seine hoffnungsvolle Miene war widerwärtig.
Grace flehte ihre Schwester im Stillen an, den Mund zu halten.
Miriam zögerte keine Sekunde. »Ich bin nicht hergekommen, um mit der Simi-Valley-Hitlerjugend zu trinken.«
»Wir sind keine Nazis.« Sein Ton ließ Grace vermuten, dass er diesen Vorwurf häufiger abwehren musste.
»Ich hab noch nie klarstellen müssen, dass ich kein Nazi bin«, sagte Miriam.
»Halten Sie uns, wofür Sie wollen. Wir trinken hier nur was. Und Sie wollen uns rausschmeißen lassen.« Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Tja, es ist nicht lange her, da wurden Leute wie Sie an der Tür abgewiesen. Da waren keine Schwarzen, keine Juden, keine Chinesen erlaubt.«
Sie schnaubte höhnisch. »Ihre Mütze können Sie ablegen, die Hautfarbe nicht. Sie sind sicher nach der vierten Klasse abgegangen, oder?«
»Ich habe in Berkeley studiert«, sagte er und verschränkte die Arme.
Grace spürte Miriams Überraschung. So etwas flößte ihr Respekt ein.
Der Türsteher mischte sich ein. »Genug jetzt. Sie«, sagte er zu dem Anführer, »geben Sie mir bloß keinen Grund, hier durchzugreifen.«
»Ich verteidige mich doch nur.« Er hob die Hände und wich mit übertriebener Ehrerbietung zurück.
»Du gibst denen genau, was sie wollen«, sagte der Türsteher zu Miriam. »Eine Frau wie du würde solche Typen sonst doch nicht mal anschauen.«
Sie ignorierte das Friedensangebot. »Der Manager sollte Bescheid wissen. Glaub mir. Der Typ ist nicht hergekommen, um in Ruhe was zu trinken.«
Als sie wieder am Tisch saßen, begann Blake sofort auf sie einzureden. Er ratterte geradezu manisch los und zeigte ihnen auf dem Handy einen Tweet mit einem körnigen Video der Western Boys, die an der Bar saßen und lachten. Im @TheCrookedTail mit @MiriamMPark, und wer kommt rein? Diese Faschisten. Gerade eben. Kommt her und macht denen klar, dass sie in unserem LA nicht erwünscht sind. #WesternBoysNightOut
»Das habe ich vor fünf Minuten gepostet, und es ist schon über dreißig Mal retweetet worden.« Blake hatte über zwanzigtausend Twitter-Follower, wie er Grace gegenüber mindestens fünfmal erwähnt hatte. »Vermutlich waren sie vorher im Bells & Whistles. Da läuft ein Hashtag. Sie sind weg, bevor sie dort rausgejagt wurden, aber es waren schon Leute auf dem Weg, um sie sich vorzuknöpfen. Die kommen jetzt hierher.«
Graces Schwips wurde von Furcht zerstäubt. »Ist das dein Ernst? Wer?«
Blake grinste vor Aufregung. »Alle möglichen. Die Leute von den Democratic Socialists of America, Aktivisten, wahrscheinlich auch ein paar Gaffer, die sich am Samstagabend langweilen. Auch ein paar Leute von der Gedenkfeier. Wir waren nicht die Einzigen, die die Arschlöcher da bemerkt haben.«
Grace stellte sich vor, was passieren würde, wenn nicht bloß ein paar auf Krawall gebürstete, selbstgerechte Weiße aufeinandertrafen, sondern auch noch angepisste Schwarze mit dazukämen.
»Verdammt, Blake«, sagte Miriam. »Ich weiß, dass das Schwachmaten sind, aber weiße Schwachmaten haben gern mal Schusswaffen dabei. Das könnte echt böse enden.«
Grace war erleichtert – wenigstens ihre Schwester zeigte ein bisschen Vernunft. »Wir gehen besser«, sagte sie.
»Was?« Blake war entrüstet. »Wir können nicht gehen. Wir müssen hier Widerstand leisten.«
Beide sahen Miriam an. Grace hoffte so sehr, ihre Schwester würde sich auf ihre Seite schlagen, dass sie das Gefühl hatte, der Raum würde sich drehen. Dann nahm Miriam Blakes Hand. »Diese Arschlöcher haben ihren Samstag damit verbracht, die Gedenkfeier für einen ermordeten Teenager zu stören«, sagte sie. »Ich lasse mich von denen nicht verjagen.«
Sie hatte sich entschieden. Grace wusste: Wenn Miriam eine Entscheidung getroffen hatte, konnte man sich auf den Kopf stellen – es würde nichts ändern.
»Gut, ich fahre nach Hause«, sagte sie.
»Du wolltest doch bei uns übernachten«, protestierte Miriam.
»Das war, bevor ihr beide einen Wildwest-Showdown angezettelt habt.«
»Kannst du überhaupt noch fahren?«
»Klar. Ich werde gerade wieder nüchtern.«
»Sicher? Du bist nicht sauer auf mich, oder?«
Miriam drückte ihre Hand, und Grace dachte an all die Gründe, die sie hatte, sauer auf ihre Schwester zu sein. Wegen eines idiotischen Revierkampfs ließ sie zu, dass Grace allein und betrunken die Bar verließ, womöglich ausgeraubt oder vergewaltigt wurde oder einen tödlichen Unfall baute. Sie hatte zugelassen, dass Blake ihren ersten gemeinsamen Abend seit Wochen versaute und ihnen die kostbare Zeit zu zweit mit Whisky und seiner Angeberei verdarb. Sie hatte den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen und die Familie gesprengt, und Grace verstand immer noch nicht, warum. Eine Woge aus konfusen, alkoholgetränkten Gefühlen schwappte über sie hinweg. Sie musste sich an Miriam festhalten, um nicht umzukippen, nicht zu weinen.
Читать дальше