Ergebnisse der Forschungsarbeiten zur Relational Frame Theory erlauben es, diese Sprachprozesse nachzuvollziehen und Prinzipien für den Einsatz in der Therapie zu entwickeln. Ein typisches Experiment besteht zunächst darin, eine Beziehung zwischen zwei Stimuli herzustellen. Der Proband lernt, aus einer Auswahl an Stimuli (aaa, bbb und ccc) aaa zu wählen, immer wenn die Buchstabenreihe xxx gemeinsam mit dem kontextuellen Hinweisreiz »ist das Gleiche wie« präsentiert wird. So wird eine Äquivalenzbeziehung hergestellt (
Abb. 1.1). Im Laufe des Experimentes wird dem Probanden statt der Serie xxx nun die Buchstabenreihe aaa präsentiert, gekoppelt an den kontextuellen Hinweisreiz »ist das Gleiche wie«, während der Proband sich jetzt für einen der folgenden Stimuli entscheiden muss: xxx, bbb oder ccc (
Abb. 1.2). Anders ausgedrückt müssen die Probanden unmittelbar nachdem sie verinnerlicht haben, dass aaa das Gleiche ist wie xxx, die Frage beantworten: »xxx ist das Gleiche wie __________?« Das ist es genau das, was Sie als Leser in diesem Absatz vermittelt bekommen haben. Wir haben Ihnen gesagt, dass aaa das Gleiche ist wie xxx, aber wir haben Ihnen nicht gesagt was xxx entspricht. Nun, wie schwer ist es, diese Frage zu beantworten? Es ist wahrscheinlich sehr leicht. Und trotzdem verlangt diese einfache Frage, dass Sie sich entgegen der gelernten Richtung der Beziehung bewegen.
In der Relational Frame Theory wird dieses Prinzip wechselseitige Ableitung (Mutual Entailment) genannt; d. h., eine gelernte Beziehung zwischen einem Stimulus A und einem Stimulus B bedeutet, dass auch die umgekehrte Beziehung zwischen B und A gültig ist. Wenn A gleich B ist, dann leiten Sie intuitiv auch daraus ab, dass B gleich A ist. Wenn A das Gegenteil von B ist, dann können Sie ableiten, dass B das Gegenteil von A ist. Wenn A größer ist als B, dann können Sie ableiten, dass B kleiner ist als A, usw. Dank diesem Prinzip lernen Kinder schnell die Bedeutung neuer Worte, sobald kontextuelle Hinweisreize in ihrem verbalen Repertoire hinterlegt sind. Alles, was man ihnen sagen muss, ist, dass x gleich y ist. Dann können sie x in neuen Sätzen benutzen, wenn sie über y sprechen wollen. Wenn z. B. ein Kind fragt: »Was bedeutet hungrig?« und sein Vater ihm sagt: »Das ist, wenn du eine Weile lang
Abb. 1.1
Abb. 1.2
nicht gegessen hast und du spürst, dass du etwas zu Essen brauchst.« Dann kann das Kind sagen: »Ich bin hungrig«, wenn es das Beschriebene spürt. Die Beziehung hungrig sein = Essen benötigen führt zur Herleitung der wechselseitigen Bedingung Essen benötigen = hungrig sein.
Lassen Sie uns etwas weitergehen. Jetzt, da Sie durch die wechselseitige Bedingung wissen, dass aaa das Gleiche ist wie xxx und andersherum, stellen Sie sich vor, wir hätten Ihnen auch gesagt, dass xxx das Gleiche ist wie zzz. Was können Sie über die Beziehung zwischen aaa und zzz ableiten? Anders ausgedrückt, wenn A = B und B = C, wie ist dann die Beziehung zwischen A und C? Dank des Prinzips der Herleitung können Sie sagen, dass A = C und C = A, oder dass aaa das Gleiche ist wie zzz und zzz das Gleiche ist wie aaa (
Abb. 1.3) Die Herleitung »B ist das Gleiche wie A« erfolgte, nachdem Sie gelernt hatten, dass A das Gleiche ist wie B. Sie beruhte auf einer gegenseitigen Wechselwirkung. Jedoch gilt dieses Prinzip nicht bei der Aussage A ist das Gleiche wie C (und umgekehrt), weil kein kontextueller Hinweisreiz jemals diese beiden Stimuli direkt miteinander in Beziehung gebracht hat. Dies gilt ebenso für aaa ist das Gleiche wie zzz. Bevor wir Ihnen die Frage stellten, inwiefern diese miteinander in Beziehung stehen, wurden sie niemals gleichzeitig im selben Satz erwähnt. In der Relational Frame Theory heißt diese Art der Herleitung kombinatorische Ableitung (Combinatorial Entailment): Sie müssen zwei Beziehungen miteinander verknüpfen, um eine dritte abzuleiten. Anstatt sich der technischen Definition »wechselseitige und kombinatorische Bedingung« zu bedienen, ist es einfacher, sich zu merken, dass symbolische Beziehungen wechselseitig sind und sich zu Netzwerken verknüpfen. Das Erlernen von zwei Beziehungen zwischen drei Stimuli kann zur Ableitung von vier weiteren Beziehungen führen. Wie unser Kollege J. T. Blackledge sagt: »Kaufen Sie zwei, Sie bekommen vier gratis!« 4
Abb. 1.3
Die Netzwerke können die Funktionen der Dinge, die in ihnen enthalten sind, verändern. Lassen Sie uns zu den Katzen und den Panthern zurückkehren. Das Mädchen erzählte dem kleinen Jungen, dass Katzen gefährlich sind. Vorher wusste er nur, dass Panther wie große Katzen sind. Wenn wir diese beiden Sätze in Relational Frame Theory Begriffe übersetzen, dann wurde ihm erzählt, dass A = B (Katzen = gefährlich), und er wusste bereits, dass C = A (Panther = Katzen). Als er fragte: »Ist es wahr, dass Panther sehr gefährlich sind?« leitete er die Beziehung C = B durch die Anwendung einer kombinatorischen Ableitung her. Weil er dies auch hinsichtlich der Größe wusste – C > A 5 (Panther sind wie große Katzen) – konnte er sogar herleiten, dass Panther sehr gefährlich sind, obwohl ihm dies niemals gesagt wurde.
In der Relational Frame Theory basieren Sprache und Kognition 6 auf den Eigenschaften der Herstellung von Bezugsrahmen: Wechselseitige Beziehungen verknüpfen sich zu Netzwerken, die dann die Funktion von Ereignissen verändern. All dies wird durch den relationalen und funktionalen Kontext gesteuert. Dies macht das Denken beim Menschen aus.
1.6.8 Die Möglichkeit der Ableitung symbolischer Beziehungen erklärt die schöpferische Vielfalt der Sprache
Das Prinzip der Ableitung ist ein Grundstein des Zugangs der Relational Frame Theory zur Sprache. Es erklärt die schöpferische Vielseitigkeit, eine der entscheidenden Eigenschaften von Sprache. Dank Sprache können Menschen neue Netzwerke von Beziehungen erschaffen, einschließlich solcher Sätze und Schemata, die sie nie gelernt oder durch eigenes Erleben erfahren haben. Außerdem kann die Funktion von Stimuli durch die Ableitung neuer Beziehungen und der Präsentation geeigneter funktionaler Hinweisreize verändert werden. Wir verweisen hierzu auf das Beispiel des kleinen Mädchens. Weil es einen Bezug zwischen Panthern und Katzen hergestellt hat, denkt es nun, dass Panther sehr gefährlich sind. In den nächsten Kapiteln werden wir sehen, dass psychotherapeutische Interventionen effektiver angewandt werden, wenn die Therapeutin Kenntnisse über Ableitungsprozesse hat, die in den relationalen Netzwerken der Patienten aktiv sind.
Beachten Sie das folgende Beispiel eines unserer Patienten, eines Studenten, der unter Zwangsgedanken mit dem Thema Kontamination litt. In der ersten Therapiesitzung berichtete er von einem Dokumentarfilm im Fernsehen, der zu einer Verschlechterung seines Zustandes geführt hatte. Als er hörte, dass Cholera durch verschmutztes Wasser übertragen wird, führte dies dazu, dass er den Kontakt mit Wasser vermied. Er steckte nun in einer Zwickmühle: Sollte er duschen und riskieren, mit Cholera angesteckt zu werden? Oder sollte er dies unterlassen und riskieren, durch andere Bakterien krank zu werden? Um das Problem zu lösen, beschloss er, den ganzen Körper mit Händedesinfektionsmittel zu reinigen. Dies brachte ihm eine Zeit lang etwas Erleichterung. In seinem relationalen Netzwerk tauchte das Thema Wasser rasch immer wieder auf. Er konnte nicht weiter in seinem Chemiebuch lesen, wenn er die Buchstaben »H 2O« sah. Da dies die chemische Formel von Wasser ist, wurde er sehr nervös, schloss das Buch und beschloss, es nicht wieder zu öffnen. Bald wurde es für ihn unerträglich, in den Chemieunterricht zu gehen, weil er sich nicht dem Risiko aussetzen wollte, mit Wasser in Kontakt zu kommen – und sei es nur in seiner Vorstellung. An diesem Beispiel können wir sehen, dass der ursprüngliche Bezug zwischen Wasser und Ansteckung, der durch das Sehen einer Dokumentation hergestellt wurde, durch eine Erweiterung des symbolischen Netzwerks des Patienten zu der Herleitung einer neuen Beziehung zwischen dem Chemieunterricht und Ansteckung führte. Die ursprüngliche, ursächliche Beziehung zwischen Wasser und Cholera, dann die Äquivalenzbeziehung von Wasser und H 2O und schließlich eine hierarchische Beziehung zwischen H 2O und dem Chemieunterricht (H 2O ist eine der Formeln, die im Chemieunterricht verwendet werden) führte zu einer Transformation der Funktion des Chemieunterrichts. In den Chemieunterricht zu gehen stand nun in einer kausalen Beziehung dazu, sich mit Cholera anzustecken, obwohl keine unmittelbare Erfahrung oder eine unmittelbare Information jemals diese Verbindung hergestellt hat. Anstatt zu erleben, dass Cholera durch Wasser übertragen wird, hat unser Patient vielmehr erfahren, dass psychologische Funktionen wie Angst, Ekel und Vermeidung durch ein Netzwerk von Sprache übertragen werden.
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