Die Stimme einer Straßenverkäuferin musste kräftig sein, um über den Gesprächen und Schritten und Kirchenglocken, die sieben Uhr läuteten, gehört zu werden. Eliza füllte ihre Lunge und brüllte wieder: »Heiße Krapfen! Direkt aus dem Ofen! Nur einen Viertelpenny pro Stück!«
Ein Kerl hielt inne, kramte in seiner Tasche und gab ihr einen Penny. Die vier Krapfen, die Eliza ihm im Tausch überreichte, waren heiß gewesen, als sie ihre Ladung vor einer Stunde abgeholt hatte. Seither hatten sie nur ein wenig Wärme gehalten, weil sie dicht beieinander lagen. Aber das hier waren die Sekretäre, die tintenbefleckten Männer, die in den Geschäftshallen der Stadt viele Stunden für wenig Geld hart arbeiteten. Sie würden nicht über den Wahrheitsgehalt ihrer Werbung diskutieren. Zu dem Zeitpunkt, bis die wohlhabenden Höhergestellten zur Arbeit kamen, in drei Stunden oder so, würde sie ihre Ware verkauft und ihren Karren mit etwas anderem gefüllt haben.
Falls alles gut lief. Gute Tage waren diejenigen, an denen sie immer wieder die Straßen entlanglief, jede Runde mit neuen Waren: Schnürsenkel für Stiefel, Bänder für Strümpfe, Schwefelhölzer, selten sogar Zigaretten. An schlechten Tagen pries sie bei Sonnenuntergang noch kalte, zähe Krapfen an und hatte keinen Trost, außer dass sie an jenem Abend etwas zu essen haben würde. Und manchmal konnte sie den Betreiber eines Nachtasyls überreden, dass er einige im Tausch gegen einen Platz auf seiner Bank nahm.
Der heutige Tag fing gut an. Sogar ein Krapfen von nur mäßiger Wärme war an einem kalten Morgen wie diesem eine gewisse Annehmlichkeit. Aber kühles Wetter machte die Männer am Nachmittag und Abend mürrisch, wenn sie ihren Kragen hochklappten und ihre Hände in die Taschen schoben und nur an den Zug oder Omnibus oder langen Marsch dachten, der sie nach Hause bringen würde. Eliza wusste es besser, als anzunehmen, dass ihr Glück anhalten würde.
Zu dem Zeitpunkt, als sie Cheapside erreichte und der Menge aus Männern auf ihrem Weg zu den Bürogebäuden folgte, wurde das Gedränge auf den Straßen dünner. Jene, die noch draußen waren, hasteten weiter aus Angst, dass ihnen für eine Verspätung Lohn abgezogen würde. Eliza zählte ihre Münzen, steckte versuchsweise einen Finger zwischen die übrigen Krapfen und beschloss, dass sie kalt genug waren, dass sie einen für sich selbst entbehren konnte. Und Tom Granger war immer willens, sie für eine Weile bei ihm sitzen zu lassen.
Sie lenkte ihre Schritte zurück zur Ecke der Ivy Lane, wo Tom halbherzig Ausgaben der Times vor Passanten schwenkte. »Mit dieser faulen Hand wirst du sie nie verkaufen«, sagte Eliza und stellte ihren Karren neben ihm ab.
Sein Grinsen war so schief wie seine Schneidezähne. »Warte bis morgen. Bill sagt, dass wir dann aufregende Neuigkeiten haben.«
»Ach?« Eliza bot ihm einen Krapfen an, den er annahm. »Skandal, oder wie?«
»Besser. Es hat wieder eine Bombe gegeben.«
Sie hatte gerade einen großen Bissen genommen. Er verfing sich in ihrer Kehle, und für einen Moment befürchtete sie, dass sie ersticken würde. Dann rutschte er hinunter, und sie hoffte, dass Tom, falls er ihre Panik gesehen hatte, es dem zuschreiben würde. »Wo?«
Tom hatte sich bereits den halben Krapfen in den Mund gestopft. Seine Antwort war völlig unverständlich. Sie musste warten, bis er genug gekaut hatte, um zu schlucken. »Victoria Station«, sagte er, sobald er wieder deutlicher sprechen konnte. »Gleich heute früh. Hat den Fahrkartenschalter und alles halb bis zum Mond gepustet. Aber keiner verletzt – schade. Wir verkaufen mehr Zeitungen, wenn’s Tote gibt.«
»Wer hat das getan?«
Er zuckte mit den Schultern, dann wandte er sich ab, um einem Mann im Flanellmantel eines Tischlers eine Zeitung zu verkaufen. Als das erledigt war, sagte er: »Harry denkt, es war eine Gasleitung, die hochgegangen ist, aber ich schätze, das waren wieder die Fenier.« Er spuckte auf die Pflastersteine. »Verdammte Irenschweine. Sie verkaufen Zeitungen, das geb ich ja zu, aber die und ihre Drecksbomben, hm?«
»Die und ihre Drecksbomben«, wiederholte Eliza und starrte den Rest ihres Krapfens an, als würde er ihre Aufmerksamkeit brauchen. Jeglicher Appetit war ihr vergangen, aber sie zwang sich, trotzdem fertig zu essen. Ich habe es verpasst. Während ich an eine Bank gebunden geschlafen habe, war er hier, und ich habe meine Chance verpasst .
Tom schimpfte weiter über die Iren, gestand ihnen zu, dass sie verteufelt kräftige Kerle und gut für harte Arbeit seien, aber vor einigen Tagen sei ein Paddy dahergekommen, dreist ohne Ende, und hätte versucht, Zeitungen zum Verkaufen zu bekommen. »Bill und ich haben ihn ganz schnell verjagt«, sagte Tom.
Eliza teilte seine Genugtuung nicht im Geringsten. Während Tom sprach, suchte ihr Blick die Straße ab, als könnten hektische Versuche jetzt ihr Scheitern wiedergutmachen. Zu spät, und das weißt du. Was hättest du überhaupt getan, wenn du letzte Nacht hier gewesen wärst? Wärst du ihm wieder gefolgt? Das hat ja letztes Mal sehr gut geklappt. Aber du hast deine Gelegenheit verpasst, es besser zu machen . Sie war überrascht, als Tom seine Tirade unterbrach und sagte: »Drei Monate sind es jetzt, und ich verstehe dich immer noch nicht.«
Sie hoffte, dass ihr Blick nicht so offensichtlich verblüfft war, wie er sich anfühlte. »Was meinst du?«
Tom deutete auf sie und schien sowohl die zerlumpte Kleidung als auch die junge Frau, die diese trug, zu meinen. »Dich. Wer du bist und was du hier machst.«
Plötzlich war ihr viel kälter, als man mit der Morgenluft hätte erklären können. »Ich versuche, Krapfen zu verkaufen. Aber ich glaube, mit diesen hier bin ich so gut wie fertig. Ich sollte bald gebratenen Fisch holen, oder etwas anderes.«
»Was du direkt hierher zurückbringst. Vielleicht stehst du ein bisschen am Krankenhaus herum oder am Gefängnis, aber du hältst dich, so lange du kannst, in der Nähe von Newgate, wenn du zumindest ein paar Pennys hast, um Abendessen und einen Schlafplatz zu bezahlen. Die feinen Gentlemen reden gerne über faule Leute, die sich nicht genug darum scheren, einen besseren Lohn zu verdienen – aber du bist die Einzige, die ich je getroffen habe, bei der das wahr ist.« Tom kratzte sich am Hals und betrachtete sie auf eine Art, die sie dazu brachte, weglaufen zu wollen. »Du redest anders, du kommst nicht aus einer richtigen Straßenhändlerfamilie … Ich weiß, dass die dich manchmal vertreiben, wenn du auf ihr Territorium kommst. Kurzum, du bist ein Mysterium, und schon seit du angefangen hast, hierherzukommen, versuche ich, dich zu verstehen. Was gibt es in der Nähe von Newgate für dich, Elizabeth Marsh, wofür du drei Monate damit verbringst, darauf zu warten, dass es aufkreuzt?«
Ihre Finger fühlten sich wie Eis an. Eliza fummelte an den Enden ihres Schultertuchs herum, dann hörte sie auf, weil es nur Aufmerksamkeit darauf lenkte, wie ihre Hände zitterten. Was gab es da zu befürchten? Es war kein Verbrechen, hier herumzuhängen, solange sie ehrliche Arbeit betrieb. Tom wusste gar nichts. Soweit es ihm bekannt war, war sie einfach Elizabeth Marsh, und Elizabeth Marsh war niemand.
Aber sie hatte sich für ihn keine Lügengeschichte ausgedacht, weil sie nicht erwartet hatte, dass er fragen würde. Ehe sich ihr Verstand ausreichend beruhigen konnte, um eine gute zu erfinden, wurde seine Miene zu sanfterem Mitleid. »Hast jemanden in Newgate, hm?«
Er zuckte mit dem Kinn nach Westen, als er das sagte. Newgate im spezifischen Sinn, das Gefängnis, das in der Nähe stand. Was nahe genug an der Wahrheit lag – wenn nicht der echten Wahrheit –, dass Eliza die Chance erleichtert ergriff. »Meinen Vater.«
»Dachte, es wär vielleicht ein Mann«, sagte Tom. »Du wärst nicht die erste Frau, die ohne Ring herumläuft. Wartest darauf, dass er rauskommt, oder hoffst, dass er das nicht tut?«
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