Martin M. Lintner
Von
Humanae vitaebis Amoris laetitia
Die Geschichte
einer umstrittenen Lehre
Gedruckt mit Unterstützung der Südtiroler Landesregierung / Abteilung Deutsche Kultur
Erstveröffentlichung auf Italienisch:
Cinquant’anni di Humanae vitae. Fine di un conflitto – riscoperta di un messaggio (Giornale di Teologia 409), Brescia: Queriniana 2018.
Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“
2018
© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck
Umschlaggestaltung: stadthaus 38, Innsbruck
Layout und digitale Gestaltung: Tyrolia-Verlag
Druck und Bindung: FINIDR, Tschechien
ISBN 978-3-7022-3721-9 (gedrucktes Buch) ISBN 978-3-7022-3722-6 (E-Book) E-Mail: buchverlag@tyrolia.atInternet: www.tyrolia-verlag.at
Einleitung
Teil 1: Humanae vitae : eine historisch-genealogische Studie
1. Humanae vitae – ein Wendepunkt nicht nur im Pontifikat von Paul VI
2. Die Entstehungsgeschichte
Die Päpstliche Kommission für Familien-, Bevölkerungsfragen und Geburtenhäufigkeit
Die Prüfung des „Mehrheitsberichts“ durch eine eigene Bischofskommission
Ein Überblick über die Entwicklung der Kommissionsarbeiten
Die Konzils-Subkommission über Ehe und Familie
3. Die Redaktion und Veröffentlichung
Die Reaktion Pauls VI. auf die Arbeit der Studienkommission
Die Schlussredaktion und die Veröffentlichung
4. Die Enzyklika Humanae vitae
Aufbau und Inhalt der Enzyklika
Der historische Kontext
5. Humanae vitae als Frucht eines harten und dramatischen Ringens
Teil 2:Eine kurze Rezeptionsgeschichte von Humanae vitae
1. Erste Reaktionen auf die Veröffentlichung
Das Bemühen, der Rezeption einen fruchtbaren Boden zu bereiten
Die Reaktion von verschiedenen Bischofskonferenzen
2. Zur Rezeption von Gaudium et spes 47–52 in Humanae vitae
3. Humanae vitae und die Päpste nach Paul VI
Humanae vitae und Johannes Paul II
Humanae vitae und Benedikt XVI
Humanae vitae und Papst Franziskus
Teil 3:50 Jahre Humanae vitae : Resümee und Neuaufbruch
1. Wie überzeugend sind die Argumentationsformen und die Gründe gegen die künstliche Empfängnisregelung?
2. Humanae vitae : eine Fehlentscheidung?
3. Die Botschaft von Humanae vitae wiederentdecken
Anmerkungen
Am 25. Juli 2018 jährt sich zum 50. Mal der Tag der Veröffentlichung von Humanae vitae , der Enzyklika über die Weitergabe des Lebens von Papst Paul VI. 1Wie kein anderes päpstliches Lehrschreiben zuvor und danach löste es jahrzehntelange kontroverse Diskussionen aus. Auch die Versuche, besonders von Papst Johannes Paul II., Kritik an Humanae vitae zu unterbinden oder durch Disziplinarmaßnahmen eine Zustimmung zur Enzyklika zu erwirken, konnten nicht über die Diskrepanzen hinwegtäuschen, die hinsichtlich der sittlichen Bewertung der Methoden der Empfängnisregelung bestehen blieben – bis heute. Es ist ein offenes Geheimnis: Viele Ehepaare, Katholiken und Katholikinnen, Theologen und Theologinnen 2sind überzeugt, dass die diesbezügliche Entscheidung von Paul VI. eine Fehlentscheidung war, und selbst Bischöfe äußern Bedenken in diese Richtung 3. Es stellt sich daher ernsthaft die Frage, ob diese anhaltende fehlende Zustimmung seitens der Mehrheit der Gläubigen nicht im Sinne des Glaubenssinns des Volkes Gottes ein deutliches Indiz dafür ist, die Lehre zu überdenken.
Es gehört zur Tragik von Humanae vitae , dass sie sofort nach Erscheinen als „Pillenenzyklika“ disqualifiziert und damit auf das Verbot der künstlichen Methoden der Empfängnisregelung reduziert worden ist. Papst Franziskus fordert im nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia (2016): „Es gilt, die Botschaft der Enzyklika Humanae vitae Papst Pauls VI. wiederzuentdecken, die hervorhebt, dass bei der moralischen Bewertung der Methoden der Geburtenregelung die Würde der Person respektiert werden muss“ (AL 82). Diese Forderung findet sich bereits in den Schlussberichten der Bischofssynoden 2014 und 2015. Dabei fällt auf, dass weder die beiden Bischofssynoden noch Papst Franziskus im nachsynodalen Schreiben die normative Lehre des kategorischen Verbots der künstlichen Empfängnisregelung explizit wiederholen und einschärfen, sondern als wesentliche Kriterien für die sittliche Bewertung der angewandten Methode die grundsätzliche Offenheit einer Ehe für Kinder (vgl. AL 222) sowie die Respektierung der Würde der Person (vgl. AL 82) anführen. Zur Anwendung der Methoden, die auf den natürlichen Zeiten der Fruchtbarkeit beruhen, wird ermutigt (vgl. AL 222). Bestärkend und motivierend werden hierfür einige positive Effekte in Erinnerung gerufen, die die natürlichen Methoden der Empfängnisregelung für Ehepartner haben können (vgl. ebd.).
Amoris laetitia zitiert bei den einschlägigen Passagen übrigens immer den Schlussbericht der Bischofssynode 2015. Das macht deutlich, dass Papst Franziskus den Prozess der synodalen Konsensfindung gewählt hat und der großen Mehrheit der 260 Bischöfe gefolgt ist, die die 14. ordentliche Generalversammlung gebildet haben: die Vorsitzenden der regionalen Bischofskonferenzen sowie – je nach deren Größe – ein oder mehrere Vertreter. Amoris laetitia spiegelt also die Position und Überzeugung des überwiegenden Teils der Bischöfe weltweit wider.
Die Diktion der Texte der Bischofssynoden 2014 und 2015 sowie von Amoris laetitia von der „wiederzuentdeckenden Botschaft“ von Humanae vitae sowie von der „Ermutigung“ zur Anwendung der natürlichen Methoden der Geburtenregelung liegt in einer Linie mit Aussagen von Papst Benedikt XVI. Es ist auffallend, dass dieser sich sowohl als Präfekt der Glaubenskongregation als auch als Papst in Bezug auf die normative Frage der Empfängnisregelung kaum und wennschon nur sehr zurückhaltend geäußert hat: Man dürfe nicht lediglich die weiterhin gültigen Perspektiven von Humanae vitae verkünden, sondern müsse auch Wege der Lebbarkeit finden.
Man kann davon ausgehen, dass mit den Bischofssynoden 2014 und 2015 sowie mit Amoris laetitia die jahrzehntelangen kontroversen Diskussionen um die normative Lehre von Humanae vitae entschärft worden sind, vielleicht ein Ende gefunden haben. Damit wird auch der Blick wieder frei, wichtige Anliegen der Enzyklika neu in den Blick zu nehmen. Die vorliegende Publikation anlässlich des 50. Jahrtages des Erscheinens der Enzyklika will hierfür einen Beitrag leisten. Dabei kann es von Vorteil sein, dass der Verfasser selbst jünger ist als die Enzyklika. Er hat die intensiv und emotional geführten kontroversen Diskussionen nicht als Zeitzeuge miterlebt, was ihm zugleich eine gewisse Distanz verschafft und eine nüchternere Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglicht.
Im ersten Teil 4wird die wechselvolle Entstehungsgeschichte des Lehrschreibens nachgezeichnet, die sich phasenweise fast wie ein Krimi liest. Obwohl die entsprechenden Archive des Vatikans noch nicht öffentlich zugänglich sind, kann die Genealogie der Enzyklika aus den zugänglichen Quellen relativ detailliert rekonstruiert werden. 5Sie beginnt mit der Gründung der „Päpstlichen Kommission für Familien-, Bevölkerungsfragen und Geburtenhäufigkeit“ durch Papst Johannes XXIII. im März 1963. Eine wichtige Bedeutung gewinnen die Diskussionen während des Zweiten Vatikanischen Konzils und hier besonders die Arbeiten der „Subkommission über die Ehe und Familie“, die schließlich die Ehelehre des Konzils in
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