Mit Helmut Rott gelang mir 1969 die Winter-Erstbegehung der Fotscher Umrahmung. Dazu gehörten zwei lausig kalte Nächte im Biwak.
Anfang der 1970er-Jahre machte ich mit Willi diverse Winter-Erstbegehungen, darunter die Fotscher Umrahmung mit zwei Biwaks sowie am Patteriol den Nordostgrat (IV, eine Stelle V) und den alten Südostpfeiler (IV+) mit einem Biwak.
Und mit Joggl war ich im Karwendel, überschlagend führend, am Hechenbergpfeiler (VI+) bei Innsbruck unterwegs. In der Schmid-Krebs-Führe in der Laliderer Nordwand brach mir unter den Füßen in der dritten Seillänge führend ein Stein aus. Darauf führte nur noch Joggl, der die schwierigen, brüchigen und zudem noch von einem starken Regen nassen Stellen souverän meisterte.
Der Schnee spielte in meinem Leben eine sehr wichtige Rolle. Das hat unter anderem damit zu tun, dass der Skilauf bei uns eine Familienangelegenheit war und aus meiner Verwandtschaft Skifahrer hervorgingen, die Geschichte geschrieben haben. Mein Großonkel Albert Weißenbach gewann laut Annalen des Skiklubs Arlberg anscheinend das erste Skirennen in St. Anton, irgendwann um 1900. Und meine Onkel Pepi und Franz Gabl, die Brüder meines Vaters, waren Mitglieder der österreichischen Skinationalmannschaft.
Onkel Franz war, wie dessen Brüder, im Zweiten Weltkrieg Soldat bei der Wehrmacht gewesen. Obwohl er mehrmals verwundet wurde und 1945 erst spät aus der russischen Gefangenschaft nach Hause kam, gewann er schon 1946 wieder Skirennen und später die erste olympische Medaille im Skisport für Österreich. Es war eine Silbermedaille im Abfahrtslauf bei den Olympischen Winterspielen 1948 in St. Moritz. Nur der Franzose Henri Oreiller war schneller als er. Das damalige Österreichische Olympische Comité (ÖOC) gratulierte Onkel Franz schriftlich zu seiner herausragenden Leistung, und als Belohnung wurden ihm fünf Kilo Reis und fünf Kilo Zucker, abzuholen in der Liechtensteinstraße 15 in Wien, zuerkannt. Ob er sie jemals abgeholt hat? Ich weiß es nicht. Zwar waren die Jahre nach dem Krieg entbehrungsreich, für diese Mengen Reis und Zucker aber bis nach Wien zu fahren, wäre doch ein ziemlicher Aufwand gewesen.
Nach der Ski-WM in Aspen blieb Onkel Franz in den Vereinigten Staaten, wo er als Trainer und Skilehrer arbeitete. Er starb im Januar 2014 im Alter von 93 Jahren in Bellingham im US-Bundesstaat Washington. Ich kannte ihn durch seine Besuche in der Heimat.
Onkel Pepi wurde während des Krieges in Sonthofen zum Jagdflieger ausgebildet. Er erzählte mir einmal, mehr als 40 Flugzeuge abgeschossen zu haben und dass er selbst ebenfalls dreimal in seinem Jagdflieger getroffen worden sei, glücklicherweise aber mit dem Fallschirm aussteigen habe können. Auch Pepi zog es nach Amerika, und auch er war Trainer und mehr als zwanzig Winter Skilehrer in Stowe in Vermont. Zu seinen Schützlingen gehörten Robert („Bob“) Kennedy, Jackie Kennedy, der ehemalige amerikanische Verteidigungsminister Robert McNamara und viele andere berühmte amerikanische Persönlichkeiten.
Gertrud, die sympathische, liebenswerte Tochter von Pepi, war die erfolgreichste Rennläuferin, die die Familie hervorgebracht hat. Im Jahr 1969 gewann sie, für den ÖSV startend, den Gesamtskiweltcup. Dicht auf den Fersen folgte ihr eine der Goitschel-Schwestern aus Frankreich. Weil bei den Männern Karl Schranz diese Trophäe einheimste, stammten in diesem Jahr beide Weltcupsieger aus einem Ort; eine Novität. Bis heute, fast fünfzig Jahre später, hat es das nicht mehr gegeben.
Wie meine Cousine ebenfalls im Österreichischen Nationalteam war mein Cousin Harald Rofner, ein gutes Jahr jünger als ich, mit dem mich seit Jahrzehnten eine intensive Freundschaft verbindet. Mit ihm spielte ich Fußball und ging Bergsteigen. Außerdem war Harald eine Art Ski-Mentor, wobei meine Skifahrkünste nicht mit seinen vergleichbar waren. Er hatte bei den Österreichischen Schüler- und Jugendmeisterschaften in allen drei Disziplinen – Abfahrt, Riesenslalom und Slalom – gewonnen. Einer seiner Fans war damals offenbar Manfred Scheuer, der bis 2016 Bischof von Innsbruck war. Bei einer Frühjahrsskitour, die ich mit Harald und ihm vor einigen Jahren unternahm, wusste der Bischof noch genau, in welchem Rennen Harald welchen Platz erreicht hat. Obwohl auch ich verfolgte, wie Harald sich bei den Rennen schlug – so genau erinnere ich mich nicht mehr an seine Platzierungen. Während Harald oder auch mein Nachbar Karle Cordin schon als Kinder von ihren Vätern betreut und trainiert wurden, war ich auf mich allein gestellt. Ich kann mich nur an einen Skiausflug auf den Galzig erinnern, den ich im Alter von sechs Jahren mit meinem Vater unternommen habe. Die Ausrüstung war zeitgemäß. Die Bindung meiner Skier hatte noch keinen Federstrammer vorne, stattdessen war der Strammer an der Ferse, und vorne bei der Schuhspitze gab es einen Lederriemen. Durch die Keilhosen aus Stoff, die in den Schuhen steckten, blies der kalte Wind hindurch, und dichter Nebel und Schneefall verhinderten eine gute Sicht. Mein Vater fuhr den Hang hinunter. Ich musste irgendwie hinterher. Da ich noch keinen Pflugbogen konnte, war die Abfahrt über die Kandaharstrecke nach St. Anton eine längere Tortur, garniert mit zahlreichen Stürzen. Aber ich ließ mich von meinen Tränen nicht entmutigen.
Meine Mutter war da offensichtlich weniger abgebrüht. Auch ihr wollte mein Vater auf seine ganz eigene Art das Skilaufen beibringen. Doch über einzelne Versuche kam sie nicht hinaus. Das wundert mich nicht. Vor ein paar Jahren sind mir ihre Ski in dem alten Kellergewölbe unseres Hauses in St. Anton wieder in die Hände gefallen. Offensichtlich waren Vater und Mutter noch nicht verheiratet, als sie schon miteinander Skifahren gingen. Denn in schönster Fraktur hatte mein Vater die Initialen „M. H.“ auf die Ski meiner Mutter gemalt: Marianne Hauzinger. Heute steht das alte Paar Skier in liebevoller Erinnerung in meinem Wohnzimmer. Aber ganz ehrlich: Mit diesen Brettern, die zwar schon Stahlkanten hatten, meine Mutter aber sicherlich mehr als einen halben Meter überragten, wäre ich auch keinen Hang hinunter gekommen.
Mit Walter Strolz ging es ab der ersten Volksschulklasse nach dem vormittäglichen Unterricht am Nachmittag zum Nassereiner Skilift. Neidvoll schaute ich auf Walter. Er hatte Skier der Firma Fischer mit einem farbigen Abziehbild auf der Skispitze, auf dem ein schwungvoller Skifahrer bei einem dynamischen Stemmschwung mit Stöcken mit großen Skitellern zu sehen war. Ich hingegen hatte einen in St. Anton von der Firma Pangratz hergestellten Ski aus Eschenholz, der bis auf einen kleinen farbigen Rand naturbelassen war, mit Stahlkanten und einem lackierten Belag, beides war damals – auch bei Kinderski – üblich. Bei einer unserer Schussfahrten aber, zu denen auch Mut gehörte – etwa wenn wir uns von der vorletzten Liftstütze beim Nassereiner Skilift in die Tiefe stürzten –, erwies es sich einmal, dass Skier aus einheimischer Produktion doch die bessere Wahl waren: Als Walter zu schnell über das Pillbachli fuhr, wurde sein Fischer-Ski gestaucht und brach. Mein Qualitätsski von Pangratz dagegen hielt auch der Belastung durch größere Bodenwellen stand.
Manchmal holten wir uns Weidenstöcke und steckten uns einige Slalomtore unterhalb des Weges vom Strolz-Haus zur Bahn hinunter. Nach der kurzen Fahrt traten wir im Treppenschritt wieder zum Weg hinauf. Trotz dieses Stangentrainings war ich beim Kinderskitag in St. Anton aber nie bei den Besten. Wahrscheinlich war der von meinem Vater am Vortag aufgemalte Belag nicht der richtige, aber auch die fehlende Unterstützung von zu Hause hat sicherlich etwas dazu beigetragen. Denn während die anderen von den Eltern gebracht und angefeuert wurden, musste ich mich alleine durchkämpfen.
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