Einmal, nach Ende des Skikurses, fuhr ich gemeinsam mit einem älteren, Englisch sprechenden Herrn den Slalomhang-Skilift hinauf. Wir kamen ins Gespräch, diskutierten über die Qualität des Schnees auf den Pisten und, neugierig wie ich war, stellte ich ihm auch private, persönliche Fragen, die er liebenswürdig beantwortete. Woher er komme, was er beruflich mache, wie es ihm in St. Anton gefalle. Wie sich herausstellte, lebte er in New York und war kein Geringerer als der weltberühmte Dirigent und Komponist Leonard Bernstein.
Das schwierigste Après-Ski erlebte ich in der Pension meines Onkels Pepi. Er hatte mich kurzfristig zum 5-Uhr-Tee zu sich beordert, um mit seiner Skischülerin Alexandra von Kent, Lady Ogilvy, geborene Windsor, die bei ihrer Geburt an sechster Stelle der englischen Thronfolge stand, Konversation zu machen. Die Unterhaltung war zäh, denn mit Prinzessin Alexandra konnte ich nicht einmal über das Wetter und schon gar nicht über das Skifahren sprechen.
Aber neben meinem Studium einige Wochen pro Winter als Skilehrer in der weltberühmten Skischule von Matt und Fahrner arbeiten zu dürfen, machte mir großen Spaß. Als die Leitung der Skischule wechselte, schied ich freiwillig aus.
SPIEL UND ERNST: MEINE ZEIT BEI FUSSBALL, MUSIKKAPELLE UND BERGRETTUNG
Schon während meiner Zeit in den ersten Klassen im Internat spielte ich in den Ferien Fußball auf dem Fußballplatz in der Au in St. Anton, wo sich jetzt die Hauptschule befindet. Es war der naturbelassenste Platz der Welt, denn eigentlich war es eine Weide für die Kühe von St. Anton. Naturbelassen bedeutete, dass der Platz von West nach Ost abfiel, nicht planiert war und zahlreiche bis zu einem halben Meter tiefe Unebenheiten aufwies. Zudem wuchsen am Rand des Spielfeldes zwei Fichten, die man trickreich umspielen musste. Nicht nur die Fußballer, auch die Kühe liebten die meist nur mit niederem Gras bewachsene Au. Kunstdünger oder Rasensamen wurden nicht gebraucht, da die Kühe das Gras immer recht kurz hielten und mit ihren Fladen für die Düngung sorgten. Es ging hemdsärmlig rau zu. Vor Spielen auf dem Platz waren zwei Mann mit Schubkarren und Schaufel unterwegs, um die „exkrementellen Unebenheiten“ zu beseitigen. Das gelang aber nur teilweise, und in der Abwehr musste man beim Hineingrätschen vorsichtig sein, um nicht braune Schleifspuren zu bekommen. Wenn ein Fladen vergessen worden war, musste der darauf landende Ball mit Gras abgewischt werden. Als Tore dienten dünne, lange, entastete Baumstämme. Ein Netz hinter dem Tor gab es nicht. Der Tormann bemühte sich deshalb besonders, die Bälle zu halten, denn bei einem Tor oder einem Fehlschuss waren die Wege weit, um den Ball wieder zu holen.
Natürlich war unser Fußballplatz für den Spielbetrieb eines Vereins nicht zugelassen, aber trotzdem gab es immer wieder Wettkämpfe. Legendär waren die Spiele von den Nassereinern gegen die Dörfler. Die Dörfler mit Reinhold Falch, dem späteren Direktor des Flughafens in Innsbruck, sowie mit Harald Rofner, Gerd Doff-Sotta, Walter Wasle, Benno Mussak und Kurt Fahrner waren uns vom spielerischen Potential her weit überlegen. Zudem waren die meisten auch größer als wir Nassereiner. Aber wir, Karle Cordin, Karl Wolfram, Walter Strolz, Gebhard Strolz, den wir „Siemandli“ nannten, Elmar Schulter und ich haben gegen die übermächtigen und großen Gegner nie ein Spiel verloren. Mir kam die in der Stella angeeignete Technik zugute, außerdem hatten wir Nassereiner den größeren Kampfgeist. Nur so lässt sich diese klare Überlegenheit erklären. Ich produzierte Tore wie am Fließband. Der Vater von Karle, Karl Cordin, war meist der unparteiische und gerechte Schiedsrichter dieses Fußballkampfes zwischen den Ortsteilen.
Die Fußball-Junioren des SV St. Anton. Vorne v. I.: Reinhold Falch, Alfred Matt, Kurt Fahrner, hintere Reihe v. I.: Walter Wasle, Walter Strolz, Franz Alber, Harald Rofner, Gerd Doff-Sotta, Karl Gabl, Karl Wolfram, Karl Cordin
Während es bei uns keine Zuschauer gab, waren bei den Spielen der Älteren am Sonntag einige Zaungäste und viele von uns Jüngeren anwesend. Der älteste und aktivste Fußballer war sicher Sepp Staffler, Skilehrer und Begründer der Volkstanzgruppe, der noch mit über sechzig Jahren Fußball spielte. Otto Schuler, Herbert Rofner, Karl und Helmut Schranz, mein Schwager Kurt Strauß, Edi und Karl Falch, deren Hausname „Thomas“ war, und Adi Berger sind einige der Spieler der „Kampfmannschaft“, an die ich mich noch erinnere. Besonders beachtet wurde von den Zuschauern, wenn einem Spieler ein Schuss gerade nach oben gelang, also eine „Kerze“. Den Spielfluss brachte das zwar gehörig durcheinander, aber beim Publikum kam es gut an. Mit lautem Raunen und Beifall wurde der Spieler belohnt.
Die Gründung des Fußballvereins SV St. Anton erfolgte Mitte der 1960er-Jahre. Damit ein Verein beim Tiroler Fußballverband angemeldet und in der Meisterschaft spielberechtigt sein konnte, mussten mindestens zwei Kampfmannschaften vorhanden sein. So wurde neben der ersten Mannschaft, die in der untersten Liga spielte, auch eine Juniorenmannschaft, der ich angehörte, aufgestellt. In der Juniorenliga spielten die renommiertesten Vereine des Oberlandes – Imst, SV Reutte und SV Landeck. Weil der alte Fußballplatz in St. Anton nicht homologiert wurde und der neue Platz in der Wolfsgrube noch nicht fertig war, mussten wir unsere Heimspiele zuerst in Zams, später in Schönwies austragen. Zu unserem Team gehörten drei Skirennläufer des Nationalteams: Alfred Matt war unser exzellenter, reaktionsschneller Tormann, Harald Rofner eine wichtige treibende Kraft im Mittelfeld und Karle Cordin ein schneller Rechtsaußen. Reinhold Falch und Gerd Doff-Sotta bildeten ein schwer zu umspielendes Bollwerk in der Abwehr. Weiters waren im Team: Walter Wasle, Franz Alber, Karl Wolfram, Kurt Fahrner und Walter Strolz. Mein Freund Walter war nicht gerade der beste Techniker, dafür flößten seine harten Schienbeine jedem Gegner schmerzvollen Respekt ein.
Meine Torschüsse waren gefürchtet: Perfekte Schusshaltung beim Meisterschaftsspiel der ersten Mannschaft des SV St. Anton in Silz. Im Hintergrund ist Karl Schranz interessierter Beobachter.
Zum ersten Auswärtsspiel mussten wir ausgerechnet in die Bezirkshauptstadt zum SV Landeck, der in Perjen über ein fast neues Fußballstadion verfügte, das damals in seiner Art das schönste im ganzen Oberland war. Nicht gerade charmant wurden wir begrüßt. Unverhohlen wurden wir als die „Bloßfüßigen“ tituliert. Wir fühlten uns nicht diskriminiert, sondern angespornt. Unsere Antwort wollten wir den Landeckern auf dem Spielfeld geben. Wir spielten wie entfesselt. Gerd Doff-Sotta und Reinhold Falch überwanden das Mittelfeld mit weiten Pässen. Ihre Steilvorlagen für die Stürmer durchlöcherten die ansonsten stabile Landecker Hintermannschaft nach Belieben. Mir gelangen als unscheinbarem Mittelstürmer drei Tore. Wir gewannen 4:2, wenn ich mich richtig erinnere. Vielleicht stand es am Ende sogar 4:1. Die Bloßfüßigen siegten gegen die gut beschuhten Landecker. Wenn ich ihn treffe, reibe ich diesen Sieg Walter Guggenberger, dem späteren Nationalrat der SPÖ und Leiter des Bundessozialamtes in Innsbruck, der damals die spielbestimmende Kraft bei den Junioren der Landecker war, noch heute gerne unter die Nase.
In der Meisterschaft landeten wir im Mittelfeld der Tabelle, wenngleich uns auch beeindruckende Erfolge gelangen. In der jährlichen Statistik des Österreichischen Fußballverbandes (ÖFB) über die Meisterschaft in den diversen Ligen schien ein von den Junioren des SV St. Anton erzielter Rekord auf: Gegen den ASV Landeck gewannen wir, wenn ich mich recht erinnere, einmal mit 21:1 oder 22:1. Der ASV ging durch einen Elfmeter in der ersten oder zweiten Minute in Führung, dann spielte nur noch St. Anton gegen eine wahrscheinlich ersatzgeschwächte Mannschaft. Immer, wenn ein Torschuss danebenging, holten wir für den Landecker Torhüter den Ball und legten ihn auf die 5-Meter-Markierung zum Abstoß. So konnte das Spiel möglichst rasch fortgesetzt werden. Ich weiß nicht, ob ich bei diesem Spiel sieben oder acht Tore schoss, irgendwann bekamen wir ernsthafte Probleme mit der Zuordnung der jeweiligen Treffer.
Читать дальше