Abends weideten die zwei Freunde in der Allee der Umgehungsstraße, wo eine lange Reihe Linden am Bürgersteig entlanglief und das Licht der Straßenlaternen aus dem Halbdunkel hervortreten ließ. Auf der Seite der Stadtmauer waren ganz hinten die Damen, die sich den Männern anboten, die Prostituierten mit ihren Zuhältern, welche die Geschäfte und die Kundschaft überwachten. Auf der anderen Seite glänzten die Lichter der Kneipen im Freien mit vollen Tischchen, Leuten, die zusammen lachten und plauderten. In den dunkleren und menschenleeren Seitenstraßen, dem Weideland von Pucci und Bordignoni, waren Männer, die an einer Mauer versteckte Vorschläge wisperten; überall Liebe in Aussicht, Seelen auf der Suche nach Gesellschaft, Mädchen, die aus dem Fenster spähen, Hunde auf der Suche nach dem anderen Geschlecht, eine miauende Katze, ein Betrunkener, der sich kaum auf den Beinen hält. Die zwei Freunde strichen langsamen Schrittes herum, und hin und wieder kam Bordignoni auf seine fixe Idee zurück: »Also, Pucci, gehen wir zur Bernigotti?« Pucci schwieg, denn er dachte über den Zweck des Unterfangens nach, das ihm vielleicht wegen seiner kriminellen Natur nicht ganz missfiel.
Die Englischlehrerin Bernigotti, eine Frau mit kräftigem Knochenbau und sehr entschiedenem Schritt, war gewöhnlich mit einem Federhütchen und einem Hund an der Leine unterwegs. Beim abendlichen Rundendrehen war sie immer allein mit ihrem Hund und wurde von den Bürgern ein wenig eisig gegrüßt, denn sie gehörte zur Kategorie der sogenannten alten Jungfern. Ihre Haltung war aber so stolz, dass alle sie mit ein wenig Scheu oder auch Verlegenheit ansahen, da es nicht zu den Gepflogenheiten gehörte, das Altejungferntum auf dem Stadtplatz vorzuzeigen. Die schönen Frauen, die dorthin gingen, um sich anschauen zu lassen, zusammen mit den Männern, die sie anschauten, sagten: »Was hat denn die hier verloren, was dreht die hier ihre Runden?« Die ehrbaren Familienoberhäupter nebst jeweiligen Gattinnen hatten alle die größte Lust, ihr Übles nachzureden, doch es fehlte ihnen der Rohstoff. Sie lebte allein, ab und zu fuhr sie weg, kam wieder. Wo fuhr sie hin? Hmm. Hatte sie nicht zufällig weibliche Bekanntschaften, die an etwas Schmutziges denken ließen? Nein, nichts dergleichen. Aber trotzdem musste eine, die so für sich allein lebte, etwas zu verbergen haben, sagten die ehrbaren Familienoberhäupter und die jeweiligen Gattinen zueinander. Oder sie sagten es nicht einmal, denn die Sache verstand sich von selbst.
Mag sein, dass die Geschichte von der alleinlebenden Frau in Bordignonis Hirn die Idee des Ansturms auf die Bernigotti hatte aufblitzen lassen, sie war eine vollbusige Frau, die einen gewissen Eindruck auf ihn machte. Aber wie hatte er sich den Annäherungsversuch vorgestellt? Nach seiner Meinung brauchten sie nur zu ihr nach Hause gehen, klingeln und sagen, sie wollten Englischstunden nehmen. Alles kommt jetzt aus meiner Feder, was an jenem fernen Abend los war, während die zwei Kumpane in der Allee der Umgehungsstraße herumgrasten. Sie gingen an einem Tanzlokal vorbei, wo sich die Männer stauten, die sich die Frauen ansahen, und von Frauen, die sich von den Männern ansehen ließen. Aus dem Tanzlokal kam eine so lasche Musik heraus, aber so lasch, dass man melancholisch wurde. In der Zwischenzeit sahen sich draußen die Männer und die Frauen an, ohne sich zu bewegen, mit langen Gesichtern, es war die alte Geschichte der Paarungen, der Ausschau nach Liebe, der Seelen auf der Suche nach Gesellschaft wie die in der Nacht herumstreunenden Hunde. Hier kehrte Bordignoni wieder zu seinem abenteuerlichen Vorschlag zurück: »Hör zu, Pucci. Wir gehen zur Bernigotti, wir tun so, als würden wir sie zum Spaß kitzeln, dann legen wir sie aufs Bett und genießen.«
Dieser Vorschlag muss Pucci fast überhaupt nicht kriminell vorgekommen sein. Er hörte nämlich nicht mehr auf seinen Kumpan, sondern machte es auch jetzt wie die Katzen, wenn sie wegschauen, um nicht gestört zu werden; und er schaute den Autos nach, die am Ende der Allee verschwanden und den Effekt der Schlusslichter hinter sich ließen, was auf den Gemütszustand des nächtlichen Wanderers eine gute Wirkung ausübte. Ich glaube, allmählich erwachte in ihm die Idee einer Übereinstimmung zwischen den Gelüsten der Augen und den Gelüsten der Füße und zwischen der Bewegung der Füße und dem Leben auf den Straßen je nach der Tageszeit; eigentlich der Eindruck, es gebe ein Innen und ein Außen, die irgendwie zusammenhingen, wer weiß wie. Aber an dem Abend muss Bordignoni unter einer Straßenlaterne verstanden haben, dass er als gewaltiger Junge, der seine Träume hatte, allein geblieben war: »Ach, Pucci, du hast mich wirklich enttäuscht!« So endete ihre Freundschaft, weil er sich gesagt haben muss, dass er einen aufgeweckteren Kumpanen brauchte, um sich in gewisse Abenteuer zu stürzen; und von da an haben sich die beiden nicht mehr getroffen, und Pucci ging danach allein auf die Weide.
Bordignoni hatte nie Glück bei den Frauen. Es heißt, eines Tages habe er sich in eine Kneipenkellnerin, eine gewisse Rossana, verliebt, die in der Kneipe dem städtischen Schlachthaus gegenüber arbeitete. Die gefiel ihm irrsinnig, weil auch sie dick war, aber auf andere Weise als er: sie hatte dicke Hüften, einen dicken Busen, dicke Arme und vielleicht auch dicke Beine unter ihrem langen Rock. Sie trug einen so weiten und so langen Rock, dass Bordignoni davon träumte, darunter zu schlüpfen wie in ein Zelt. Außerdem trug sie einen Angorapullover, der etwas Weiches und Flaumiges ausstrahlte, und ein Tuch um den Hals, mit dem sie sehr fein aussah. Vor allem das Halstuch hatte es Bordignoni angetan, es machte ihn schwindlig und er fand es von solcher Feinheit, dass ihn die Idee einer nie empfundenen Süßigkeit überkam.
Im Grunde war er so verliebt in die Kneipenkellnerin Rossana, dass er sie immer anschauen wollte, und wenn er einen Freund traf, wollte er immer von ihr sprechen, und wenn er frei hatte, ging er jede halbe Stunde in die Kneipe und sagte: »Einen Kaffee!« Die Mechanikerwerkstätte, wo er arbeitete, war weit weg von der Kneipe, also konnte er sie nur abends sehen. Aber in der Zeit des Sommerurlaubs weihte Bordignoni jede Minute der Kneipenkellnerin Rossana: ihrem Gesicht, ihrem Halstuch, ihrem Rock, den Erhebungen ihres Busens, ihren schneeweißen Armen, die er immerzu sehen wollte. Ab Anfang August ging er von morgens früh um sieben in die Kneipe dem Schlachthaus gegenüber und sagte: »Einen Kaffee!« Und hob die Augenlider so hoch er konnte, damit ihm nichts von ihr, von ihrer Kleidung, ihrem Zauber entging. Dann kehrte er um, verließ die Kneipe und spazierte zwanzig Minuten, allerhöchstens eine halbe Stunde am Doro-Kanal entlang; und ging wieder hinein und verlangte noch einen Kaffee. Ich weiß nicht, ob sie ihn je gefragt hat, warum er so viel Kaffee trinke, oder ob sie ihn je darauf hingewiesen hat, dass ihm das schaden könnte.
Tatsache ist, dass Bordignoni im Lauf weniger Tage ein flimmerndes Herzklopfen bekam. Schon war er bis über die Ohren verliebt und dazu noch der viele Kaffee, daraus wurde ein Herzkasperl, so dass er auf der Stelle ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die Ärzte sprachen von Infarktverdacht und behielten ihn eine Zeitlang zur Beobachtung. Als er aus dem Krankenhaus kam, war er wie umgewandelt, ein anderer Mensch, nicht mehr ganz so gewaltig. Die Liebe hatte an ihm gezehrt und ihn verwandelt. Ja, du träumst und träumst, sie wiederzusehen, als ob du die Böschung des Fegefeuers hochklettern würdest, wo dich ganz oben deine Liebste erwartet.
Welche Veränderungen, welche Erwartung im Bett des Krankensaals, wo er die ganze Nacht keine Ruhe fand! Er versuchte jeden Moment ihr einen Brief zu schreiben, um ihr von dem Tamtam in seinem Herzen zu erzählen. Doch er fühlte sich zu schlecht im Schreiben, Bordignoni wusste nie, wann ein Doppelkonsonant kam, also verzichtete er auf den Brief. Und an dem Tag, an dem er freigelassen wurde, rannte er, obwohl man ihm gesagt hatte, er dürfe sich nicht anstrengen, in einem irrsinnigen Tempo vom Krankenhaus zur Kneipe, ungefähr vier Kilometer Asphalt. Am Ende ging ihm der Atem aus, die Milz war am Platzen, er hatte das Gefühl, er würde ohnmächtig auf den Boden fallen, und er blieb eine halbe Stunde auf den Bürgersteig sitzen, um wieder zu sich zu kommen, die Augen auf die Glastür gerichtet, hinter der die geliebte Rossana war.
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