Lothar Mack begibt sich mit dem deutsch-jüdischen Philosophen Eugen Rosenstock-Huessy in einen intensiven Gedankenaustausch zum Thema „Deutschland als Heimat“, aus dem eine Art prophetische Meditation resultiert. Der Austausch erfolgt über eine Zeit von hundert Jahren hinweg, geht aber dabei doch von so frappierend übereinstimmenden Bedingungen der geistig-geistlichen Situation und Verfasstheit aus, dass die damals gewagten Gedankenwürfe auch Licht in unsere Gegenwart bringen und sie klären helfen können. Der Tendenz zur politischen, kulturellen und intellektuellen Selbstverschließung unserer Zeit setzt Lothar Mack den tastenden Aufbruch ins Offene, Dunkle und noch Unerkannte entgegen.
Daniel Zöllner steuert eine kulturphilosophische Betrachtung zu Europa als Ursprungsort und ideengeschichtlichem Entwicklungsraum der Säkularisierung bei. Die Säkularisierung wertet er im Unterschied sowohl zu einem linken Geschichtsverständnis, das in ihr die positive Überwindung des Christentums versteht, als auch zu einem rechten Geschichtsverständnis, das in ihr die negative Entfremdung vom Christentum sieht, als notwendige Konsequenz des christlichen Glaubens selbst. Als Kronzeugen ruft er dabei den jüdischen Philosophen Jacob Taubes und den zu Unrecht in Vergessenheit geratenen jungkonservativen Theologen Friedrich Gogarten auf. Zöllners Sicht legt nahe, dass Europa als Kulturraum aus der Verbindung von Christentum und Säkularisierung entstanden ist und nur durch deren bleibende Verbindung als solcher bewahrt werden kann.
André Thiele versucht in einem kurzen, aber prägnanten Essay, Realität und durchaus antibürgerliche Radikalität des Kreuzes als Einbruch einer absoluten Gegenwelt ins Politische jeder Art zu fassen.
Marc Stegherrs Aufsatz thematisiert die katholischen Traditionalisten, ein mittlerweile weitgespanntes Netz aus Priesterbruderschaften und Interessengruppen. Diese eint ihre Ablehnung der Anpassung der kirchlichen Lehre und Liturgie an progressive, linksliberale Zeitströmungen. Sie deshalb als politisch rechts zu bezeichnen, greift zu kurz und wird der Problematik nicht gerecht. Man versucht damit, die substanzielle Kritik der Anhänger der Tradition, ihre paradigmatische Anfrage an die Kirche, ob sie aus der Tradition lebt oder sich quasi täglich „neu erfindet“, ins Politische abzuschieben und zu stigmatisieren. Auch sind die Ansätze und Charismen der verschiedenen Gemeinschaften der Tradition trotz generell gemeinsamer Anliegen zu heterogen, um sie – wie es oft geschieht – auf den simplen und im Grunde unscharfen Nenner des „Traditionalismus“ zu bringen.
Jaklin Chatschadorian formuliert eine Fundamentalkritik am christlich-islamischen Dialog. Werden seitens der Politik und der Leitmedien durchweg die Erfolge dieses Dialogs beschworen – bzw. bereits der Dialog an sich zum Erfolg erklärt –, deckt sie Missverständnisse und Falschdarstellungen auf, die bisher noch nirgendwo Eingang in die Berichterstattung gefunden haben. Sie erklärt, was unter dem Stichwort der Islamisierung zu verstehen ist, warum dies kein eingebildeter, sondern ein höchst wirklicher und wirksamer Prozess ist und warum gerade der mit zu vielen irrigen Hoffnungen überfrachtete „Dialog“ kein echter Dialog ist, sondern zum Katalysator der Islamisierung geworden ist. Als Juristin denkt sie vornehmlich von der rechtlichen Sicht auf die Phänomene her, verfügt aber gleichzeitig über vielfältige persönliche Erfahrungen im Bereich der Integrationspolitik. Ihre Kritik richtet sich ebenso sehr gegen den Tunnelblick der christlichen Seite wie gegen die Haltung der islamischen Seite und regt zum grundsätzlichen Überdenken der bisherigen Voraussetzungen und Umsetzungen des christlichislamischen Dialogs an.
Volker Münz sieht im Populismus eine Reaktion auf Krisensymptome der Demokratie, welche angesichts der wachsenden Kluft zwischen der Minderheit der Gewinner und der Mehrheit der Verlierer der Globalisierung zutage treten. Er bricht eine Lanze für einen wohlverstandenen Populismus, der eine christlich-konservative Politik unterstützen kann.
Daniel Führing arbeitet in seinem Aufsatz die Quintessenz des vielfach auslegbaren Naturrechts heraus, das der damalige Papst Benedikt XVI. 2011 in seiner Bundestagsrede als große Errungenschaft des abendländischen Geistes herausgestellt hat. Naturrecht ist nicht ohne das Richtmaß der Vernunft zu denken. Aus der schon seit Generationen feststellbaren Abkehr vom Naturrecht und aus der Dominanz des rein formalistischen Rechtspositivismus resultieren verschiedene Deformationserscheinungen wie die „Ehe für alle“ oder die Abirrungen des Gender-Mainstreamings. Zu Recht zitiert Führing mit Leo Strauss einen großen Vertreter jüdisch-abendländischen Geistes, der durch den Rassenwahn aus seiner Heimat vertrieben wurde und gerade deshalb die verbindlichen Maßstäbe eines epochenübergreifenden Rechts mit Verve verteidigt hat: „Die gegenwärtige Ablehnung des Naturrechts führt nicht zum Nihilismus, nein, sie ist identisch mit Nihilismus.“
Weihbischof Athanasius Schneider nimmt den Brand der Kirche Notre-Dame zum Anlass für ein Mahnwort an die deutsche Christenheit, sich den christlichen Glauben mit neuem Ernst persönlich anzueignen und für den Erhalt der christlichen Identität des Abendlands einzustehen.
Barth, Heinz-Lothar: „Die gemeinsame Erklärung von Papst Franziskus und dem Kairoer Großimam in Abu Dhabi: Einige Stärken – erhebliche Schwächen“; in: Kirchliche Umschau 22 (4/2019), S. 4–53.
Bender, Justus: Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland, München 2017.
Böckenförde, Ernst-Wolfgang: „Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation“; in: Sergius Buve (Hg.): Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart u. a. 1967, S. 75–94.
Congdon, Lee Walter: „Orbáns ungarischer Aufstand“; in: Cato. Magazin für neue Sachlichkeit 3/2019, S. 29–36.
Czopf, Támas: Neues Volk Gottes? Zur Geschichte und Problematik eines Begriffs, St. Ottilien 2016.
Dahm, Klaus-Peter: Vom Klimawandel zur Energiewende: Eine umfassende Prüfung der zugrundeliegenden Annahmen, Berlin 2016.
Decker, Frank (Hg.): Populismus. Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv?, Wiesbaden 2006.
Depenheuer, Otto u. Grabenwarter, Christoph (Hg.): Der Staat in der Flüchtlingskrise. Zwischen gutem Willen und geltendem Recht, Paderborn 2016.
Dibelius, Otto: Obrigkeit, Stuttgart u. Berlin 1963.
Dirsch, Felix: „‚… lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann‘. Lesarten und Interpretationsprobleme der Böckenförde-Doktrin als eines kanonisierten Theorems der deutschen Staatsrechtslehre“; in: Zeitschrift für Politik 56/2009, S. 123–141.
Ders.: „Greta & Co. Propheten und Pseudopropheten halten die Menschheit seit Jahrhunderten moralisch auf Trab“; in: Die Tagespost vom 02. Mai 2019, S. 19.
Ders., Münz, Volker u. Wawerka, Thomas (Hg.): Rechtes Christentum? Der Glaube im Spannungsfeld von nationaler Identität, Populismus und Humanitätsgedanken, Graz 2018.
Freundl, Otto: Das Urchristentum in der Betrachtung des historischen Materialismus. Darstellung und historisch-methodische Kritik an Hand der Werke von Friedrich Engels, August Bebel und Karl Kautsky, Phil. Diss., München 1974.
Fukuyama, Francis: Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet, Hamburg 2019.
Habermas, Jürgen: „Religion in der Öffentlichkeit. Kognitive Voraussetzungen für den ‚öffentlichen Vernunftgebrauch‘ religiöser und säkularer Bürger“; in: ders.: Zwischen Naturalismus und Religion: Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 2009, S. 119–154.
Henze, Arnd: Kann Kirche Demokratie? Wir Protestanten im Stresstest, Freiburg i. Br. 2019.
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