Die italienische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel Un giorno verrà bei Bompiani editore in Mailand.
Questo libro è stato tradotto grazie a un contributo per la traduzione assegnato dal Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale italiano.
Dieses Buch konnte dank einer Förderung des italienischen Außenministeriums übersetzt werden.
E-Book-Ausgabe 2020
© 2019 Giunti Editore S. p. A. / Bompiani, Firenze – Milano
www.giunti.it/ www.bompiani.it
© 2020 für die deutsche Ausgabe: Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin www.wagenbach.deUmschlaggestaltung Julie August unter Verwendung des Gemäldes »Wolf« von Mark Adlington © Bridgeman Images.
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ISBN: 9783803142832
Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 3325 0
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Prolog Prolog Sie nannten ihn den Krumenbub, weil er der Sohn des Bäckers und weil er schwach war, er hatte keine Kruste, an der Luft gelassen, hätte er Schimmel angesetzt, nicht einmal für die Brotsuppe hätte er getaugt, nicht einmal als Hühnerfutter. Er stand aufrecht mitten in dem Wald, der die Mauern des Ortes umgab, ein dunkler Wald, wo Cane sich versteckte, wenn der Regen Blitz und Donner mit sich führte, ein kleiner Wald, klein wie sie, die sie Nadeln im Heuhaufen waren. Die Bäume reckten ihre Blätter in den Wind, glutheiße Luft stieg von den Feldern auf, das Ende des Sommers klebte einem am Leib. Nicola, das war sein Name, zitterte und schwitzte, Angst troff ihm von der Stirn. Hier zählten die Menschen nicht, hier herrschte die Erde, denn die Erde blieb, während die Menschen fortgingen, und einer wie er, geboren inmitten der Felder mit weichen, zarten und blassen Armen, war zu überhaupt nichts nutze. Sicher fühlte Nicola sich nur in dem Schatten, den die Dinge hinter sich warfen, leicht fiel ihm nur, sich in abgelegene Winkel zu verziehen, unters Bett zu kriechen, sich in hohlen Baumstämmen zu verstecken. Als Nicola das Gewehr auf seinen Bruder Lupo richtete, dachte er, er müsse ein Versprechen einlösen. Lupo und sein Rabenblick, reglos wie eine Gewissheit, waren eine Herausforderung für seinen Willen. Niemals würde er nachgeben und sich rühren. Nicola schaute den großen Bruder an und sah alles, was Lupo gewesen war und was er nicht mehr sein würde, er sah sein Leben fortlaufen, ein Rinnsal Süßwasser, er sah den Jungen mit dem Tiernamen, den Gotteslästerer, den Rebellen. Bevor Nicola schoss und damit die Vögel im Unterholz des Waldes aufscheuchte, sagte er: Entschuldige. Mach nicht so ein Gesicht, das ist nichts anderes, als ein Kaninchen zu töten, entgegnete Lupo. Der Große Krieg war auch bis hierher in diese Hügel gekommen, über die Schlossmauern, vorbei an den Wachtürmen, durch die Tore, an den Rebstöcken und den Olivenbäumen entlang, hatte Getreide und Seidenraupen eingesackt, hatte die Jungen in Uniformen gesteckt, die Frauen zum Arbeiten geschickt, nur Kinder, Gebrechliche, Priester und Nonnen waren noch da, um Serra de’ Conti zu bewachen, die Wasser des Misa, die Schotterstraße, die zum Friedhof führte, seine Felder, die seit den Zeiten des Kirchenstaats keiner von ihnen je besessen hatte. Ein Ort der Habenichtse, der Halbpächter, der Schuster und Tagelöhner und all derer, die mittlerweile in den Krieg gezogen waren. Nicola hatte noch nie ein Kaninchen getötet, trotzdem schoss er.
Mach die Augen zu
In Moll, für meinen Gebrauch
Ich habe deine Stimme im Garten vernommen und hatte Angst
Und doch ist unsere Vorstellung nur Vorstellung von Liebe
Niemand wird dich mehr wegbringen
Er, ja, er wird böse zu dir sein
Wüstes Gestrüpp umzingelt die Stadt, auf Stufen voller Blut verfolgt der Mond
Das erste Wunder
Wer sitzt im Schlachtenhimmel?
Sed belli graviores esse curas
Ein Tag wird kommen
Du hast den Abgrund vergessen
Der letzte Ceresa von Serra de’ Conti
Epilog
Anmerkungen der Autorin
Sie nannten ihn den Krumenbub, weil er der Sohn des Bäckers und weil er schwach war, er hatte keine Kruste, an der Luft gelassen, hätte er Schimmel angesetzt, nicht einmal für die Brotsuppe hätte er getaugt, nicht einmal als Hühnerfutter.
Er stand aufrecht mitten in dem Wald, der die Mauern des Ortes umgab, ein dunkler Wald, wo Cane sich versteckte, wenn der Regen Blitz und Donner mit sich führte, ein kleiner Wald, klein wie sie, die sie Nadeln im Heuhaufen waren.
Die Bäume reckten ihre Blätter in den Wind, glutheiße Luft stieg von den Feldern auf, das Ende des Sommers klebte einem am Leib. Nicola, das war sein Name, zitterte und schwitzte, Angst troff ihm von der Stirn.
Hier zählten die Menschen nicht, hier herrschte die Erde, denn die Erde blieb, während die Menschen fortgingen, und einer wie er, geboren inmitten der Felder mit weichen, zarten und blassen Armen, war zu überhaupt nichts nutze.
Sicher fühlte Nicola sich nur in dem Schatten, den die Dinge hinter sich warfen, leicht fiel ihm nur, sich in abgelegene Winkel zu verziehen, unters Bett zu kriechen, sich in hohlen Baumstämmen zu verstecken.
Als Nicola das Gewehr auf seinen Bruder Lupo richtete, dachte er, er müsse ein Versprechen einlösen.
Lupo und sein Rabenblick, reglos wie eine Gewissheit, waren eine Herausforderung für seinen Willen. Niemals würde er nachgeben und sich rühren.
Nicola schaute den großen Bruder an und sah alles, was Lupo gewesen war und was er nicht mehr sein würde, er sah sein Leben fortlaufen, ein Rinnsal Süßwasser, er sah den Jungen mit dem Tiernamen, den Gotteslästerer, den Rebellen.
Bevor Nicola schoss und damit die Vögel im Unterholz des Waldes aufscheuchte, sagte er: Entschuldige.
Mach nicht so ein Gesicht, das ist nichts anderes, als ein Kaninchen zu töten, entgegnete Lupo.
Der Große Krieg war auch bis hierher in diese Hügel gekommen, über die Schlossmauern, vorbei an den Wachtürmen, durch die Tore, an den Rebstöcken und den Olivenbäumen entlang, hatte Getreide und Seidenraupen eingesackt, hatte die Jungen in Uniformen gesteckt, die Frauen zum Arbeiten geschickt, nur Kinder, Gebrechliche, Priester und Nonnen waren noch da, um Serra de’ Conti zu bewachen, die Wasser des Misa, die Schotterstraße, die zum Friedhof führte, seine Felder, die seit den Zeiten des Kirchenstaats keiner von ihnen je besessen hatte.
Ein Ort der Habenichtse, der Halbpächter, der Schuster und Tagelöhner und all derer, die mittlerweile in den Krieg gezogen waren.
Nicola hatte noch nie ein Kaninchen getötet, trotzdem schoss er.
Luigi Ceresa war einer der Bäcker des Orts, und seine Familie war vom Unglück verfolgt, es hieß, die Raben äßen mit ihnen am Tisch. Eins nach dem anderen starben ihm die Kinder, Söhne und Töchter, weg wie Schmetterlinge am Abend. Er versuchte sie alle zusammenzuhalten in seinem Haus mit den wenigen Zimmern über dem Laden, der auf die Piazza des Ortes mit dem Gasthaus und der öffentlichen Waage ging und in dem sich früher die vielen Feldarbeiter und die wenigen Einwohner des Orts mit Brotlaiben und Gebäck versorgt hatten.
Diese Bäckerei hatte früher seinem Onkel Raffaele gehört und noch früher seinem Großvater Carlo, wohingegen sein Vater Giuseppe sich fern davon gehalten hatte, keiner hatte je herausgefunden, wieso er hinkte, aber alle wussten, dass die Polizei ständig nach ihm suchte, und es hieß, dass ihm Kohlen lieber wären als Brot.
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