1 ...8 9 10 12 13 14 ...21 »Faszinierend«, murmelte Nikolas, erklärte aber nichts weiter.
Steve verstand nicht ganz, was rings um ihn herum geschah. Gerne hätte er mehr über das erfahren, was Nikolas so interessant fand. »Nun mal raus damit, Spock! Was ist faszinierend?«
Nikolas musste lachen. »Ha, noch ein Trekkie. Da werden wir bestimmt noch viel Spaß miteinander haben. Aber im Ernst. Ich sehe, dass du mit Teilen der Kiste in Verbindung stehst. Es ist wie ein Datenaustausch. Die größte Verbindung ist mit dem eingefassten Zahn. Schau, da sind die Messungen von dem Zahn.«
Er deutete auf den Bildschirm. Steve konnte nur gepunktete Linien sehen, die sich bewegten.
»Das Faszinierende daran ist, dass die Verbindung nicht nur in eine Richtung geht, sondern in beide. Jemand aus der Vergangenheit zapft deine Gedanken an.«
Steve erschrak. Wie konnte Nikolas so etwas so schnell sehen? Es würde passen, denn Adamo lebte im 16. Jahrhundert und wusste von Steves Existenz. Aber wenn die Verbindung in beide Richtungen ging, wäre es dann möglich, dass Adamo auch durch Steves Körper sprach. Diese Vorstellung fand Steve unheimlich.
»Ich habe zunächst nach Spuren von Viktor gesucht«, gestand Nikolas. »Manchmal dauert es Tage, bis sich ein Seelenwanderer in einem neuen Körper wiederfindet. Aber zu deiner Beruhigung: Er ist nicht da. Er hat nur eine Tür in deine Synapsen öffnen können, die er wohl ursprünglich selbst nutzen wollte. Diese kleine Änderung in deinem Gehirn wurde durch den Schlag auf deinen Kopf vielleicht noch begünstigt.«
»Bitte in einfacheren Worten. Was meinst du damit: Tür aufgemacht?«, bat Steve.
»Diese Änderung ist wie ein ungeschützter Port auf einem Computer. Fremde können diese Öffnung nutzen und eindringen, verstehst du?«
Steve konnte nach und nach die Zusammenhänge miteinander verknüpfen. Er fühlte, wie Angst in ihm aufstieg. Er versuchte sich vorzustellen, wie sich ein Computer fühlen musste, wenn er ungeschützt mit dem Internet verbunden wurde und unbekannte Apps ungefragt sein Betriebssystem umbauten. »Denke schon«, sagte Steve unsicher.
»Ich werde dir noch mehr erklären. Keine Angst. Du musst aber auch offen und ehrlich zu mir sein. Nur dann kann ich dir helfen.« Nikolas stand auf und ging im Raum auf und ab, während er weitersprach. »Viktor war ein Seelenwanderer. Das sagte ich dir schon, auf die Gefahr hin, dass du mich für einen Spinner hältst. Du hast mich ernst genommen. Das lässt mich vermuten, dass du schon Erfahrungen mit Viktors Vermächtnis gemacht hast?« Nikolas blieb vor Steve stehen und hob die Augenbrauen, wartete wahrscheinlich auf eine Antwort.
Steve dachte kurz nach, wie viel er preisgeben sollte. Dann nickte er. Dabei runzelte er leicht die Stirn, sodass sich erneut eine der Elektroden löste.
Nikolas atmete tief ein. »Das Fußballspiel gestern, richtig? Da ist etwas passiert. Kanntest du jemanden persönlich?«
Steve sprang gedanklich zurück an den Abend der Preisverleihung in Rio de Janeiro. Und er dachte an das Spiel, wie er den Handschuh in der Hand gehalten hatte und mit einem Mal in Hope Solos Körper war. »Ja«, sagte Steve schließlich. »Mir war so, als wäre ich plötzlich im Körper einer Spielerin.«
»Hattest du etwas an dir, was dieser Person gehört?«
Steve nickte wieder. »Ja, einen Handschuh. Den hatte sie vergessen, als wir uns zufällig kennenlernten. Ich glaube aber nicht, dass sie eine große Bindung zu ihren Handschuhen hatte.«
»Es sind nicht die Objekte, die den Bezug herstellen«, erklärte Nikolas. »Es ist die DNA der Person. Sie hatte die Handschuhe an. Ihr Schweiß ist durch das Material geflossen. Womit wir schon mitten in unserem Forschungsprogramm wären. Auch die DNA besteht aus Atomen, die wiederum zum größten Teil aus dunkler Materie bestehen. Und diese DNA, also die feste Materie, bleibt immer über die dunkle Materie verbunden. Beziehungsweise, es kann mithilfe der dunklen Materie eine Verbindung hergestellt werden. Sie ist wie eine Brücke. Die Energie deiner Seele kann mithilfe dieser Brücke in einen anderen Körper reisen. So machen es auch die Priori. Viktor hat das so gemacht. Kannst du mir folgen?«
»Ja, langsam wird es klarer.« Dann schüttelte Steve den Kopf. »Nein, eigentlich nicht wirklich. Aber ich gebe mir Mühe.«
Nikolas atmete durch und klappte ein Notebook auf. »Ich verstehe, dass es viel Stoff ist, den du jetzt verarbeiten musst.« Dann öffnete er einen Browser und –rief YouTube auf. »Das eigentlich Faszinierende, es geht noch weiter. Ich ahnte das schon und habe mir das Spiel bereits angesehen. Es gab da diese eine Szene …« Auf dem Bildschirm waren Dutzende YouTube-Clips. In jedem wurde die Torhüterin auf den Arm genommen. Etliche waren mit verträumter Musik unterlegt, während sie sich in Zeitlupe an die Brüste fasste.
»Mal ehrlich«, lachte Nikolas, »was Besseres ist dir nicht eingefallen?«
Steve grinste verlegen. Wusste nicht recht, was er sagen sollte.
»Was das Besondere ist: Die Torhüterin war körperlich in bester Verfassung, als du in sie gefahren bist. Das ist das Besondere. Unter normalen Umständen können Seelenwanderer jemanden nach dem, was wir bisher wissen, nur besetzen, wenn die Person schwer krank ist oder sich spirituell öffnet. In diesem Fall traf das nicht zu.«
»Und was bedeutet das?«
»Das bedeutet, du bist nicht nur einer von uns, sondern in dir schlummert mehr. Viktor hatte so etwas schon vermutet. Was ich mir noch nicht erklären kann, ist die Verbindung zu dem Zahn und den Haaren. Sie kommen aus der Vergangenheit. Dass du Erlebtes aus der Vergangenheit neu erleben kannst, ist möglich. Das kommt einer Art Rückführung gleich, wie sie vielen Menschen bekannt ist. Aber dass dieser Weg andersherum funktioniert, ist, sagen wir mal vorsichtig, ungewöhnlich. Es gibt frühe Aufzeichnungen darüber, aber das ist nicht wissenschaftlich erwiesen.«
»Wissenschaftlich? Von welcher Wissenschaft sprechen wir hier? Entschuldige meine Skepsis. Für mich ist das alles sehr neu. Und ohne mein Erlebnis würde ich dich wahrscheinlich auslachen.« Steve wollte sich die Haare raufen, griff aber nur in die vielen Elektroden. Sorgfältig schob Nikolas die verrutschten Sensoren wieder an ihren Platz.
»Seelenwandern? Wenn ich mir das so überlege … Für mich klingt das, als ob ihr Menschenbesetzer wärt. Wenn ich sehe, was ich Hope Solo angetan habe. Das hat sie doch nicht freiwillig gemacht. Das ist doch furchtbar.«
Nikolas unterbrach ihn. »Ganz ruhig. Wir könnten das, aber wir tun das nicht. Denn wie du schon sagst: Das wäre natürlich eine Besetzung. Du solltest auch kein Seelenwanderer sein, und ich hoffe, dass du keinen Gefallen daran finden wirst, so was zu machen. Viktor allerdings war so einer.« Nikolas hatte gerade alle Elektroden wieder an ihren Platz gerückt. Dann legte er seine Hand auf Steves Schulter, um ihn zu beruhigen. »Steve, ich weiß, dass das jetzt alles recht viel für dich ist. Du wirst in Kürze mehr erfahren. Zunächst sollten wir die Verbindung in die Vergangenheit trennen, bis wir mehr darüber wissen.«
»Dein Team, wissen sie alle Bescheid über die Dinge, die du mir hier erzählst? Oder sogar euer ganzes Institut?«
»Mein Team, ja. Das Institut? Nur zum Teil. Sprich nur mit mir oder meinen Leuten über dieses Thema. Alle anderen würden dich nicht verstehen. Oder für bescheuert halten.«
Nikolas stand auf und verließ den Raum. Steve konnte durch die großen Scheiben erkennen, dass er zu dem Kästchen ging. Es stand auf einem Tisch, und Sensoren, die in dünnen Metallröhren steckten, waren auf die Kiste gerichtet. Er nahm eine Metallvorrichtung und stülpte sie darüber. Dann drückte er ein paar Knöpfe an einem Gerät, welches so aussah wie das, an dem auch Steve angeschlossen war.
Steve spürte einen leichten Ruck, gefolgt von einem Gefühl, etwas verloren zu haben. Er blickte kurz auf den Bildschirm, auf dem zuvor noch die gepunkteten Linien in beide Richtungen geflossen waren. Sie waren verschwunden.
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