„He!“ rief Carberry hinter ihm her. „Ich frage mich, was bald ungenießbarer ist: dein Essen oder du selbst.“
Der Koch schlug das Schott zur Kombüse so heftig hinter sich zu, daß es beinahe aus den Angeln fiel. Einige Männer auf der Kuhl lachten verhalten. Trotzdem war ihnen anzumerken, daß sie der Konfrontation mit den Indern mit gemischten Gefühlen entgegensahen.
Schließlich hatten sie den langen Törn rund um Afrika und quer durch das Arabische Meer nicht auf sich genommen, um von einer Enttäuschung in die andere zu stolpern. Einige begannen sich wohl schon zu fragen, ob an Indiens Westküste für England überhaupt noch Handelsbeziehungen zu knüpfen waren.
„Kopf hoch!“ rief der Profos halblaut. „Wir sind keine schlechteren Händler als Korsaren.“
Die Einmaster waren fast heran. Edwin Carberry ließ seinen Blick noch mal über den Hafen schweifen. Er war überzeugt, daß die Portugiesen mittlerweile ihre Kanonen ebenfalls klariert hatten. Falls die Inder Ärger vom Zaun brachen, würde es bald heiß hergehen. Man brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, auf wessen Seite die Portus standen.
Am Kai zogen weitere Soldaten auf. Kleine Boote, jedes an die zehn Mann fassend, verholten an den Liegeplatz in der Nähe der Hafengebäude.
Mehrere hundert Yards zur Rechten, wo Fischerkähne dümpelten und Netze zum Trocknen aufgehängt waren, legte soeben eine Jolle ab. Ein Kind pullte das Boot, das sich wegen der auflaufenden Flut entsprechend schwerfällig von der Kaimauer löste.
Der Profos wandte seine Aufmerksamkeit wieder wichtigeren Dingen zu. Soeben betrat der Hafenkommandant das Deck der Schebecke. Jawaharlal Cankuna verbreitete zwar eine Aura der Überheblichkeit, aber seine Statur entlockte Carberry nur ein müdes Grinsen. Wenn es nötig wurde, rammte er den Kommandanten mit einem einzigen Hieb ungespitzt durch die Planken.
Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gebracht, da legte sich besänftigend eine Hand auf seine Schulter.
„Halte dich zurück, Mister Profos!“ raunte Ben Brighton. „Wir wollen Mißverständnisse ausräumen und nicht neue schaffen. Das ist hoffentlich klar.“
Carberry nickte stumm. Vorsichtshalber schob er seine Pranken halb hinter den Gürtel. Dann geriet er nicht so schnell in Versuchung, die Soldaten vom Profoshammer kosten zu lassen. Die führten sich auf, als hätten sie die Schebecke bereits im Handstreich erobert.
Überall stöberten sie herum, rissen die Persennings von den Culverinen und durchwühlten sogar sauber aufgeschossene Taue. Die Decks würden hinterher einem Saustall gleichen, wie er selbst nach einem heftigen Sturm nicht schlimmer sein konnte.
Den Arwenacks juckte es gehörig in den Fingern, aber sie mußten sich wohl oder übel zurückhalten. Die königliche Lissy wollte Handelsbeziehungen mit Indien anknüpfen, und sie sollte ihren Willen haben, selbst wenn dessen Erfüllung mit noch so vielen Unannehmlichkeiten verbunden war.
Carberry setzte sich auf die kieloben auf der Kuhl vertäute Jolle und ließ die Beine baumeln.
Rotköpfigen Ameisen gleich, wimmelten die Inder an Deck herum. Hasard redete mittlerweile eindringlich auf Cankuna ein, ohne daß sich dessen ablehnende Haltung jedoch änderte. Vielleicht war der Hafenkommandant von den Portugiesen beeinflußt und suchte nur nach einer Möglichkeit, die unliebsamen Inglès wieder loszuwerden.
„Affenärsche“, murmelte Carberry vor sich hin. „Allesamt.“
Von der Back her erklang wüstes Schimpfen. Es war unverkennbar Mac Pellew, der sich gehörig aufregte. Wahrscheinlich hatten ihm die Soldaten in die Töpfe geguckt, und das konnte er absolut nicht verknusen.
Carberry versteifte sich, als zwei weitere Inder in der Kombüse verschwanden. Die Feindseligkeit wurde deutlich spürbar, die Arwenacks wechselten vielsagende Blicke und rückten näher zusammen.
„Beherrscht euch!“ rief Hasard warnend. „Denjenigen, der als erster zuschlägt, knöpfe ich mir persönlich vor.“
Plötzlich stand einer der Turbanträger vor dem Profos und herrschte ihn an.
„Schönes Wetter“, sagte Carberry lächelnd. „Heute regnet es wenigstens nicht.“
Abgesehen davon, daß der Inder ihn nicht verstand, wollte er etwas ganz anderes. Er packte den Profos am Hemd und zerrte ihn von der Jolle herunter, Carberry verfärbte sich puterrot, seine Gesichtszüge wirkten plötzlich wie gemeißelt – doch er beherrschte sich mustergültig. Statt seine Fäuste sprechen zu lassen, hob er die Jolle sogar an.
Der Inder hatte Platz genug, sich darunter umzusehen, und er tat das ziemlich ausgiebig. Als er sich endlich wieder aufrichtete und dem Profos zunickte, perlte Schweiß auf dessen Stirn.
„Zufrieden, du Affenarsch?“ fragte er grollend. „Willst du die Schebecke ebenfalls von unten betrachten? Ich werfe dich gern über Bord, du mußt es nur sagen.“
Die Antwort des Inders, der kurz darauf unter Deck verschwand, blieb unverständlich.
„Du mich auch!“ rief Carberry hinter ihm her. „Sooft du willst!“
Er drehte sich einmal um sich selbst. An Deck hielten sich zur Zeit der Hafenkommandant mit dem zungenbrecherischen Namen und vier seiner Kerle sowie die halbe Mannschaft auf. Alle anderen Inder waren über die Niedergänge im Schiffsinneren verschwunden. Wonach sie suchten, war weiß Gott nicht schwer zu erraten.
Edwin Carberry gähnte demonstrativ. Gelangweilt blickte er über die Hafenbucht.
Rund zweihundert Yards entfernt, zog der Junge in der Jolle, soeben die Riemen ein. Das Boot schwankte leicht, als er zum Heck kletterte und dort eine Weile hantierte. Der Profos konnte nicht erkennen, was er tat, aber daß er im Umgang mit einer Jolle wenig Erfahrung hatte, wurde deutlich. Um ein Haar wäre das Bürschchen außenbords gegangen, als es sich aufrichtete und eine Angelschnur auswarf.
Der eigene Schwung beförderte den Jungen wieder auf die mittlere Ruderbank zurück. Carberry schätzte sein Alter auf zehn oder elf Jahre.
Unter Deck wurden aufgeregte Stimmen laut. Jemand schrie eine Reihe von Befehlen.
Prompt zogen die Soldaten ihre Säbel und bedrohten die ihnen am nächsten stehenden Arwenacks.
Auch der Seewolf spürte plötzlich eine kalte, rasiermesserscharfe Klinge an seinem Hals. Jawaharlal Cankuna funkelte ihn zornig an.
„Du bist ein Mörder, Kapitän, und außerdem ein schlechter Lügner. Dein Schiff geht hiermit in den Besitz des Maharadschas über. Falls deine Männer Widerstand leisten, werden sie auf der Stelle hingerichtet.“
„Das muß ein Mißverständnis sein“, sagte Hasard, der sich nicht erklären konnte, was geschehen war. Die Inder hatten die beiden Langbogen bestimmt nicht gefunden, die in der Bilge unter allerlei Unrat verborgen worden waren.
In dem Moment kletterte einer der Soldaten aus der Laderaumluke auf die Kuhl und reichte dem Hafenkommandanten einen mit einer leeren Pulverhülse präparierten Pfeil.
„Verdammt!“ entfuhr es Big Old Shane. „Das Ding haben wir übersehen.“
Jawaharlal Cankuna war zufrieden.
„Der Beweis ist eindeutig“, sagte er zu Hasard und befahl seinen Männern, die Engländer zu fesseln und abzuführen.
Keiner der Arwenacks muckte dagegen auf. Ihnen war klar, daß Hasard sonst als erster unter der blitzenden Klinge des Hafenkommandanten starb.
Diesmal hatten sie sich selbst in eine ziemlich unangenehme Situation manövriert.
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