Alles war so blitzschnell gegangen, daß nicht einmal Don Juan wußte, warum der Inder seine Waffe fallen ließ, mit beiden Händen den rechten Fuß umklammerte und sich im übrigen mit schmerzverzerrter Visage im Kreis drehte.
Lediglich Mac O’Higgins hatte beobachtet, wie Old Donegal mit seinem Holzbein zutrat.
„Das gibt Ärger“, raunte er Paddy zu. „Der Alte trampelt rum wie ein Elefant in einem Tonladen. Die Leine los!“
Aber der Ärger war schneller da, als ihnen lieb sein konnte.
Old Donegal Daniel O’Flynn spürte plötzlich ein eigenartiges Pieksen an seinem Bauch. Zwei Speerspitzen verursachten dieses unangenehme Magendrücken, gegen das nur ein einziges Pülverchen half, nämlich Schwarzpulver in Verbindung mit einer kleinen Kugel aus Blei und einem Feuerrohr.
Leider verfügte keiner der vier über eine Pistole oder gar eine Muskete, weil sonst ihre Friedfertigkeit von vornherein unglaubwürdig gewesen wäre. Dem Admiral blieb deshalb nichts anderes übrig, als die Arme zu heben.
„Wir sind in friedlicher Absicht in Bombay“, sagte er. „Wir wollen Handel treiben.“
„Maul halten!“ herrschte ihn der Soldat an, dem er so friedfertig auf den Fuß getreten war. „Sonst gehst du noch vor dem Urteilsspruch des Maharadschas ins Nirwana ein.“
Was für Old Donegal galt, traf in ähnlicher Weise auch auf Don Juan de Alcazar zu. Einen indischen Krummdolch an der Kehle, wagte er nicht mal mehr zu schlucken. In Gedanken verwünschte er die Tatsache, daß er Hasards kauzigen Schwiegervater nicht rechtzeitig zurückgehalten hatte.
Paddy Rogers hatte zwar die Leine losgeworfen, aber er zögerte danach zu lange, weil er Don Juan und Old Donegal nicht einfach ihrem Schicksal überlassen wollte. Dieses Zögern war schuld daran, daß die Inder Higgy und ihn ebenfalls erwischten.
„Auch das noch!“ Dan O’Flynn war bleich geworden. Er seufzte schwer, als er sein Spektiv zusammenschob und sich Hasard zuwandte, der neben ihm stand und ebenfalls beobachtete. „Wir taugen nicht als Händler. Oder können wir einen einzigen Erfolg verzeichnen, seit wir dieses Land angelaufen haben?“
„Na ja“, sagte Ferris Tucker, „eine Reihe von Beinahe-Erfolgen.“
Hasard senkte ebenfalls den Kieker.
„Wir müssen abwarten“, sagte er. „Oder willst du deinen Vater und die anderen befreien, bevor wir wissen, was überhaupt geschieht?“
„Old Donegal hat bestimmt geredet wie ein Buch“, sagte der Profos. „Wenn seine Argumente nicht überzeugen, müssen eben bessere her.“
„Schlagkräftigere meinst du wohl.“ Big Old Shane, der ehemalige Schmied von Arwenack, grinste schräg.
In Vorfreude auf eine Prügelei rieb sich Carberry die Hände.
„Wir bleiben friedlich!“ wies ihn Hasard zurecht.
„Sir“, sagte Ed trotzig und reckte das Rammkinn. „Manchmal kann sogar der Friedlichste nicht in Frieden leben. Das ändert sich erst, wenn man die eigene Stärke beweist.“
Er dachte an Plymouth und die Geschehnisse in Nathaniel Plymsons Kneipe. Zum erstenmal hatte er wirklich die Absicht gehabt, keine Prügelei anzufangen, doch dann war er von den stänkernden Iren förmlich überrollt worden, und seine verzweifelten Versuche, die Ruhe zu bewahren, hatten sich als einziger Fehlschlag erwiesen. Letztlich war es wie stets gewesen: Plymmie hatte eine Perle für die Schäden an seiner Kneipe und am Inventar erhalten.
Einige Arwenacks bedachten den Profos mit eindringlichen Blicken. Es waren jene, die in Plymouth kräftig mitgemischt hatten. Konnten Smoky, Ferris Tucker, Luke Morgan, Stenmark und Gary Andrews plötzlich Gedanken lesen?
Ihr könnt mich kreuzweise! dachte der Profos. Daran, daß keiner eine Miene verzog, erkannte er, daß seine Befürchtungen jeder Grundlage entbehrten. Seine Gedanken waren nach wie vor sicher wie in Abrahams Schoß.
„Al!“ befahl Hasard. „Die Culverinen klarieren und laden! Falls es Ärger gibt, haben wir vermutlich auch die Portugiesen sehr schnell gegen uns. Ich warte genau eine Stunde, dann gehe ich an Land.“
„Wer gibt die Waffen aus?“ fragte Carberry.
„Niemand. Du kannst helfen, die Jolle zu pullen. Ed, aber sobald ich den Kai betrete, verschwindest du wie alle anderen. Ist das klar?“
Zum zweitenmal an diesem Morgen mußte der Profos klein beigeben. Dabei juckte es ihn gehörig in den Fingern. Er begann sich ernsthaft zu fragen, ob nicht das Zweite Gesicht, wie Old O’Flynn es manchmal zu haben behauptete, ganz angenehm sei. Andererseits mußte niemand Hellseher sein, um zu erkennen, daß die Arwenacks in Bombay eindeutig auf Konfrontationskurs liefen, ob der Kapitän das nun wahrhaben wollte oder nicht.
Auch der Kutscher und Mac Pellew schienen ähnlicher Ansicht zu sein. Jedenfalls zog von der Kombüse her ein verlockender Bratenduft über das Schiff: Mit vollem Bauch ließen sich Streitigkeiten weit besser überstehen als mit knurrendem Magen.
Die Soldaten sprangen nicht eben sanft mit ihren Gefangenen um. Old Donegal schimpfte und zeterte, aber keiner der Kerle reagierte darauf. Zumindest wurden sie zu dem Haus geschleppt, das Old Donegal längst als Sitz der Hafenkommandantur erkoren hatte.
„Das hätten diese Burschen einfacher haben können“, maulte er. „Ein Wort von ihnen, und wir wären freiwillig mitgegangen.“
„Andere Sorgen hast du nicht?“ fragte Mac O’Higgins.
Old Donegal schüttelte demonstrativ den Kopf. „Mein Zweites Gesicht verrät mir, daß wir nichts zu befürchten haben. Der Hafenkommandant ist ein weltoffener Mann mit Verständnis für unsere Lage. Er wird uns glauben, daß wir reingelegt wurden.“
„Du irrst dich nicht?“ fragte Paddy Rogers skeptisch. Immerhin stand es mit Old Donegals Prophezeiungen selten zum besten.
„Wäre ich sonst an Land gegangen, Paddy? Ich habe alles genauso vorhergesehen. Vergangene Nacht träumte ich, daß wir im Palast des Herrschers von Bombay fürstlich bewirtet würden.“
Der Hafenkommandant, dem sie wenig später gegenüberstanden, hieß Jawaharlal Cankuna.
Er war ein älterer, glatzköpfiger Mann mit faltenreicher Stirn und stechendem Blick. Seine hagere, kleine Gestalt versuchte er durch Wortgewalt und Lautstärke aufzubessern.
Mac O’Higgins warf Paddy einen bedeutungsvollen Blick zu.
„Aufstellen!“ herrschte Cankuna die Gefangenen in reinem Portugiesisch an. „Mit dem Rücken zur Wand. Wer redet, ohne gefragt zu sein, dem lasse ich die Zunge herausschneiden.“
Mehrmals schritt er vor den vier Arwenacks auf und ab. Abrupt hielt er dann inne und bohrte Old Donegal den Griff der kurzen Peitsche zwischen die Rippen, die bislang an seinem Gürtel gebaumelt hatte.
„Du kennst die Strafe, die über Mörder verhängt wird?“ Das war mehr eine Feststellung als eine Frage.
„Keiner von uns ist ein Mörder“, widersprach der Admiral.
„Behauptest du, Kandur Singh, der Zollbeamte, wäre nicht an einem Pfeil im Rücken gestorben, nachdem er euer Schiff verlassen hatte?“
„Nein, aber …“
„Schweig!“ Der Peitschengriff klatschte gegen Old Donegals Hals und entlockte ihm ein gequältes Stöhnen.
Der Inder baute sich vor Paddy Rogers auf.
„Wer hat Kandur Singh getötet?“
„Keiner von uns. Wären wir sonst nach Bombay zurückgekehrt?“
Jawaharlal Cankunas Mundwinkel zuckten nervös.
„Lügner!“ Er schnaubte ungehalten.
„Senhor“, sagte Don Juan. Sofort wandte sich der Kommandant ihm zu.
„Denk an deine Zunge“, sagte er warnend. „Du bist Portugiese?“
„Spanier, Senhor.“
„Du willst dein Gewissen erleichtern? Das ist gut, sonst werden dich die Götter in deinem nächsten Leben mit Aussätzigkeit bestrafen.“ Als Don Juan zögerte, herrschte Cankuna ihn scharf an: „Hat es dir die Sprache verschlagen, Spanier? Oder zögerst du aus Furcht, deine Tat eingestehen zu müssen?“
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