Und er war in sie verliebt.
Nicht, dass Jules irgendetwas getan hätte, um ihn dazu zu ermutigen – nun, außer den üblichen Neckereien im Büro eben. Sie fühlte nur nicht dasselbe für ihn. Wobei, wenn sie ganz ehrlich zu sich war, hätte sie es bedeutend schlechter treffen können. Er war ein guter Freund. Aber diese Filme mit Jake Gyllenhaal, die Hollywood am laufenden Band produzierte, gaben ihr das Gefühl, dass da noch jemand anderes auf sie wartete. Jemand Besonderes.
Richard reichte ihr einen Kaffee. »Milch, ohne Zucker, nicht wahr?«
Jules nahm den Kaffee entgegen und bedachte ihn mit einem Lächeln, von dem sie hoffte, dass es rein professionell wirkte. Sie nahm einen vorsichtigen Schluck. Der Inhalt war noch heiß. Richard musste den ganzen Weg von der Kantine zurückgerannt sein.
»Okay, was gibt‘s?«, wollte sie wissen, eine Hand in die Hüfte gestemmt.
Richard strich sich seinen Pony mit den Fingern aus dem Gesicht. »Was es gibt? Wieso sollte es etwas geben?«
Jules hob vielsagend ihren Kaffeebecher, gefolgt von ihren Augenbrauen.
»Es ist doch nicht verboten, einem Mitarbeiter einen Kaffee zu bringen, Dr. Asher.«
Jules trommelte mit ihren Fingern auf den Tisch. »Hast du Mal auch einen gebracht?«
»Hey, ich habe schließlich nur zwei Hände«, protestierte Richard.
Jules warf ihm über den Rand ihres Bechers einen durchdringenden Blick zu und nahm einen weiteren Schluck.
Die Rollen eines Drehstuhls klapperten über das Linoleum, dann setzte sich Richard neben sie, seinen Kaffee in der Hand, die Ellbogen auf den abgewetzten Knien seiner Cordhose. »Okay, um die Wahrheit zu sagen, komme ich gerade von einem Telefonat mit dem Minister für Naturschutz.«
»Der Minister.« Jules lehnte sich zurück. »Sollte ich jetzt erschrocken oder neugierig sein?«
»Keine Panik. Soweit ich das sagen kann, gibt es keine Pläne, Landsafe zu verkaufen.« Er warf ihr ein ironisches Lächeln zu. »Zumindest nicht diese Woche. Nein, es geht um das Gold, das man im Te-Urewera-Nationalpark gefunden hat. Hast du die Nachrichtenmeldung gesehen?«
»Die beiden Aussiee-Geologen, die im Urlaub hier waren?«, fragte Jules.
Richard nickte.
»Ich hab online darüber gelesen. Kommt es dir nicht seltsam vor, dass sie diesen Goldklumpen mitten auf dem Wanderweg gefunden haben wollen?«
Richard verlagerte sein Gewicht und rollte etwas näher heran. »Das ist eigentlich gar nicht so ungewöhnlich. Die Aussies durchquerten ein Flussbett, als sie den Klumpen fanden. In den Flüssen taucht oft Gold auf. Was mir seltsam erscheint, ist, dass sie ihn den Behörden übergeben haben.«
»Sie durften ihn nicht behalten«, antwortete Jules mit einem Schulterzucken. »Wusstest du, dass eine Silberader, selbst wenn du sie in deinem Gemüsebeet entdeckst, automatisch dem Staat gehört? Wahrscheinlich darf die Regierung dann sogar deine Karotten beschlagnahmen.«
»Schon, aber der Goldklumpen besaß die Größe eines iPhones; eintausendsechshundert Gramm nahezu puren Goldes. Vierundfünfzig Feinunzen, wie der Minister mir verriet. Beim aktuellen Kurs etwa einhunderttausend US-Dollar wert. Stell dir doch nur mal vor, was man mit so viel Geld alles anfangen könnte.«
»Für ein Nugget? Wow. Aber ich glaube kaum, dass der Minister dich anrief, um mit uns zu teilen.«
Richard verzog das Gesicht. »Ich wünschte! Nein. Vielmehr wollte er wissen, ob es dort noch mehr geben könnte.«
Jules biss auf den Rand des Pappbechers und wartete darauf, dass Richard fortfuhr.
»Also haben die Minister den Artikel 4 zum Schutz von Naturschutzgebieten für nichtig erklärt und eine spezielle Schürflizenz erteilt. Sie beabsichtigen, eine Spezialeinheit auszusenden, um zu püfen, ob dort möglicherweise Gold abgebaut werden kann. Und wir wurden damit beauftragt, die möglichen Auswirkungen auf die Umwelt abzuschätzen.«
Jules Puls beschleunigte sich. Natürlich musste Landsafe zurate gezogen werden. Jede mögliche Gewinnung musste mit den Naturschutzbestimmungen in Einklang gebracht werden.
»Allerdings hat mich die Einstellung der Tūhoe überrascht«, sagte Richard und schnipste die Haarsträhnen weg, die ihm immer wieder ins Gesicht fielen. »Ich hätte gedacht, dass sie als Nebenvormund Einwände erheben würden, wenn plötzlich eine Gruppe von Fremden durch ihr Stammesgebiet latscht und Löcher bohrt. Aber die Stammesältesten gaben ihre Zustimmung.«
Jules klammerte ihre Finger fester um ihren Becher. »Ich schätze, sie haben die wirtschaftlichen Vorteile erkannt«, antwortete sie und versuchte unbeeindruckt zu klingen.
»Wahrscheinlich«, stimmte Richard ihr zu. »Da oben gibt es nicht viel Arbeit. Aber wie du schon sagtest – die Regierung müsste die Landeigentümer gar nicht erst um Erlaubnis bitten.«
Jetzt kommt‘s.
Jules hielt den Atem an.
»Diese Spezialeinheit … ich will, dass du sie begleitest, Jules.«
Das hatte sie befürchtet.
»Ach komm schon, Richard«, sagte sie und hasste sich sofort für den jammernden Ton in ihrer Stimme. »Ich stecke bis zum Hals in diesem Projekt.« Mit der Hand deutete sie auf ihren Monitor. »Was ist mit Mal? Kann er nicht mitgehen?«
»Nein, kann er nicht, Jules. Seine Frau bekommt in zwei Wochen ihr Kind, und ich will Gabby auf keinen Fall in die Quere kommen – die Frau macht mir eine Heidenangst.« Er verzog das Gesicht zu einem unbehaglichen Grinsen.
»Ich kann auch angsteinflößend sein«, flüsterte Jules.
Richard lachte.
Jules ließ ihr Kinn sinken und sah Richard unter ihren langen Wimpern hinweg an. »Und wenn ich dir verspreche, eine Woche lang die Reagenzgläser im Labor zu reinigen? Jeden einzelnen Erlenmeyerkolben?«
Richard beugte sich nach vorn und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Jules, ich habe mein Bestes getan, um dich von dem Park fernzuhalten, aber es ist jetzt zwei Jahre her.«
»Ich kann nicht gehen. Ich muss nach Sarah sehen.«
»Es sind nur ein paar Tage. Und es gibt genügend andere, die sich um Sarah kümmern können.«
»Ja, aber ich bin ihre beste Freundin.«
»Sie wird es verstehen.«
»Und wenn nicht?«
»Jules …«
»Richard, ich kann nicht. Es ist noch zu früh.«
Richards Gesicht blieb ungerührt. »Jules … es gibt sonst niemanden.«
Jules ließ den zerdrückten Pappbecher in den Mülleimer fallen und rieb sich mit der Hand übers Gesicht, versuchte die Tränen zurückzuhalten. Es war also soweit. Früher oder später musste es passieren. Richard konnte sie nicht ewig beschützen.
Sie ließ ihre Unterarme auf den Tisch sinken. »Wann soll die Expedition starten?«
»Du wirst morgen aufbrechen. Von Rotorua.«
»Morgen schon! Du sagtest, es sei nur ein Vorschlag.«
»Das ist die offizielle Darstellung.«
»Aber es ist das Gebirge. Ich werde mir den Hintern abfrieren.«
Richard strich sich wieder die Haare aus den Augen. »Stimmt, könnte frisch werden«, sagte er und warf seinen Kaffeebecher in den Papierkorb.
Dinsdale, Hamilton, am selben Tag
Jules betrat durch die Hintertür die Küche. Eine Frau um die fünfzig trat von einem Haufen geschnittenen Gemüses auf der Küchentheke zurück, und ihr gewaltiger Busen wabbelte dabei.
»Hallo, Dr. Asher.«
Jules hob eine Augenbraue und legte den Kopf schief.
»Ich meine, Jules.«
Jules schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Hallo, Carol-Ann. Wie lief es heute?«
Die Pflegerin wischte ihre Hände an einem karierten Geschirrtuch ab. »Nicht übel, insgesamt. Wir hatten ein großartiges Mittagessen. Sind mit dem Wagen durch Rotorua und bis zum Blue Lake gefahren und haben ein Picknick am Strand gemacht.«
»War es dafür nicht zu kalt?« Jules stellte ihre Handtasche auf einem Stuhl ab.
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