Die Villa wurde von kleinen Scheinwerfern angeleuchtet, die in regelmäßigen Abständen auf dem Klinkerweg zur Tür und entlang der gesamten Vorderseite des Gebäudes aufgestellt waren. Aufgrund der Helligkeit, die es umgab, wirkte die Dunkelheit außerhalb umso finsterer. In Declans Augen hatte hier jemand zu kurz gedacht, was die Sicherheit anging. Man sah die rotbraune Steinfassade des Hauses bis zum zweiten Obergeschoss, doch das steil abgeschrägte, kunstvoll gedeckte Dach lag außerhalb der Reichweite der Lichter. An der senkrecht ebenen Front des Baus reihten sich sechs hohe Fenster pro Geschoss und unten die pompöse Doppeltür, hinter der wohl ein ebenso reizvolles Interieur lag, wie es das Äußere verhieß.
Er fasste jede der Scheiben ins Auge, um Hinweise darauf zu finden, ob jemand drinnen war. Dann überquerte er den Fahrtweg zum Eingang, wo er sich mit dem Rücken zur Wand lehnte. Indem er sich kurz nach links und rechts neigte, schaute er durch die raumhohen Fenster zu beiden Seiten. Das Haus war abgesehen von einer kleinen Lampe in der prachtvollen Diele dunkel. Alle paar Sekunden leuchtete am Tastenfeld einer Alarmanlage eine LED auf, womit feststand, dass das Sicherheitssystem aktiv war.
Im Gebäude mochte es zwar dunkel sein, aber Declan spürte, dass sich hier jemand herumtrieb. Wessen Auto hatte das Reifenprofil hinterlassen, auf das er am Tor gestoßen war? Wer hatte den Wachmann ermordet? Zudem war es einer der Wagen des Sicherheitsdienstes gewesen, der die Explosion vor dem Barton Center verursacht hatte. Zählte das Personal selbst zu den Attentätern? Falls ja, hatte Levitt diesen einen vielleicht unschädlich machen müssen, als Kafni und er zur Villa gekommen waren.
Declan hielt sich die Pistole vor, während er zügig zur Seite des Hauses ging. Als er um die Ecke bog, sah er immer noch niemanden, also setzte er seinen Weg fort. Vorsichtig näherte er sich einem gleichfalls dunklen Wintergarten, der die Nordostseite des Gebäudes einnahm. In dem vollständig verglasten Raum standen Korbmöbel, doch ansonsten war er leer.
Durch die Scheiben fiel Declan ein Auto auf. Aus einer Garage stach das Heck eines dunkelroten Geländewagens heraus. Declan ging um den Wintergarten herum und dann über einen gepflasterten Streifen, der von der eigentlichen Fahrspur abzweigte, auf das Nebengebäude zu, aber nicht ohne sich wiederholt hinter hohen Büschen zu verstecken.
Es war tatsächlich eine Garage, die wie die Villa aus Ziegelsteinen bestand und von ihrer Größe her genug Platz für mindestens drei Limousinen bieten musste. Da ihre Seite weder mit Fenster noch einer Tür ausgestattet war, stellte sich Declan auch hier mit dem Rücken gegen die Mauer und pirschte sich ans Tor, wo der dunkelrote Wagen ein Stück weit auf den Weg ragte. Er konnte nicht Kafni gehören, da dessen Modell schwarz war. Beim Näherkommen hörte Declan Wasser zischen, das vom Fahrwerk auf den heißen Auspuff tropfte – ein verlässlicher Beleg dafür, dass der Wagen noch nicht lange dort parkte.
Als er um die Ecke bog und die Garage einsehen konnte, bemerkte er, dass die Fahrertür offengelassen worden war, die Scheibe daran ebenfalls. Das Licht der gelben Deckenleuchte mutete grell an im Dunkeln und schimmerte auf dem glänzenden Lack des Wagens. Declan drehte sich um etwa 90 Grad und trat ein. Da sah er den schwarzen GMC-Suburban, mit dem Levitt Kafni hergebracht hatte … und seine Befürchtungen bestätigten sich, denn sein Blick fiel auf eine kleine Blutlache vor der Fahrertür. Für ihn war offensichtlich, was geschehen sein musste: Der rote Geländewagen – wer auch darin gesessen haben mochte – hatte das Tor hinter den Israelis passiert, bevor der Wachmann imstande gewesen war, es zu schließen, und die beiden beim Aussteigen angegriffen. Declan sah sich in den anderen Winkeln der Garage um, bevor er zur Fahrerseite von Kafnis Auto stürzte und hineinschaute. Der Innenraum war leicht mit Blut bespritzt, doch sollte ein Schuss gefallen sein, so hatte die Kugel getroffen, ohne wieder auszutreten, sonst wäre es mehr Blut gewesen. Die befleckten Stellen ließen darauf schließen, dass Levitt der Angeschossene war, doch wo steckten er und Kafni jetzt? Declan blickte über den glatten Betonboden der Garage hinaus. Inmitten von Staub und dunklen Ölspuren ließen sich ein paar weitere kräftig rote Spritzer erkennen, deren Spur ums Auto nach draußen führte. Er folgte ihr.
»Hey!«, rief plötzlich jemand von der Einfahrt her, gerade als er heraustreten wollte, also zog er sich rasch geduckt zurück. Zwei gedämpfte Schüsse fielen. Einer traf die Motorhaube des dunkelroten Wagens, der andere prallte von der gemauerten Außenwand der Garage ab. Declan drückte sich innen dagegen und lauschte mit hochgehaltener Waffe.
»Was hast du gesehen?«, fragte eine eindeutig ausländische Stimme.
»In der Garage ist jemand mit Pistole, ein Kerl in blauem Hemd«, antwortete eine zweite Stimme, die rauer oder heiser klang.
Declan glaubte, sie sprachen mit slawischem Akzent. Er horchte weiter, während Schritte auf dem Pflaster verhießen, dass sich die Männer bewegten, um ihn zu suchen. Verborgen in einer Ecke zwischen dem Garagentor und der äußeren Mauer wartete er ab, bis die beiden in seine Schusslinie geraten mussten, wenn sie zu ihm kommen wollten. Obwohl er sie nur flüchtig wahrgenommen hatte, ehe er in Deckung gegangen war, glaubte er mit ziemlicher Gewissheit, dass es sich nur um zwei Personen handelte. Die Männer gingen zu leisem Getuschel in einer fremden Sprache über, dann stürmte einer unvermittelt vorwärts und feuerte in die Garage. Die Heckscheibe von Kafnis Wagen zerbrach, und Declan schälte sich mit einer Drehung aus seinem Versteck, um zurückzuschießen. Dreimal rasch hintereinander drückte er ab, was in dem offenen Raum laut knallte.
Der Angreifer sprang hinter der Beifahrerseite des roten Wagens in Sicherheit, die Kugeln flogen über ihn hinweg. Im Augenwinkel bemerkte Declan, dass der andere Mann über die Schwelle des Tores trat. Er bewegte sich vielleicht eine Millisekunde zu spät nach links, um einem Hieb mit einer Schaufel auszuweichen. Ihr Blatt traf flach auf seine ausgestreckten Arme und schlug gleich darauf, als er in die Knie ging, gegen eine Seite seines Kopfes.
Er fiel nach hinten um, verlor die Pistole aber nicht, als er unsanft mit dem Rücken auf dem Beton landete und nach Luft ringen musste. Sein Peiniger betrat die Garage und holte erneut mit der Schaufel aus. Declan wälzte sich nach links, sodass sie auf den Boden schepperte, wo wenige Sekunden zuvor sein Kopf gelegen hatte. Dann rollte er nach rechts zurück und hob die Pistole, während sein Angreifer das Werkzeug abermals über seinem Kopf hochriss. Auf einmal fielen weitere Schüsse, und drei Löcher zeigten sich in der Brust des Mannes, der durch die Wucht der Treffer zurückgeworfen wurde.
Declan atmete einmal flach ein; so lange währte seine Erleichterung, ehe die nächste Salve aus einem Schalldämpfer platzte. Er kroch aus der Garage und erwiderte das Feuer auf den roten Geländewagen, dessen Windschutzscheibe mit dem ersten Schuss barst. Während sich sein Gegner seitwärts zur Front des Fahrzeugs bewegte, nahm Declan ihn systematisch aufs Korn – fest entschlossen, nicht zu verfehlen. Der Mann stieß einen Schrei aus, als eine Kugel seine Schulter traf, gefolgt von einer zweiten ins Schläfenbein. Er brach zusammen. Declan schnaufte angestrengt, als die letzte Hülse auf die Erde fiel und Stille einkehrte, umweht vom Geruch der abgefeuerten Ladungen. Das friedliche Zirpen von Grillen im Gehölz an den Rändern des Fahrtweges vor der Garage stellte sich wieder ein, unterbrochen von einem einzelnen Knall, einem Schussecho aus der Ferne irgendwo nördlich der Garage.
Declan musste sich an der Seite des schwarzen Suburban abstützen, wobei er zum ersten Mal seine Kopfverletzung spürte. Alles ringsum fing an, sich zu drehen. Er hob eine Hand und befühlte seine rechte Augenbraue, die vor Schmerz pochte. Als er die Hand herunternahm, klebte Blut an seinen Fingerspitzen, und auf dem Handrücken entdeckte er einen Schnitt, den die Schaufel verursacht hatte. Nachdem er das Blut an seinem Hemd abgewischt hatte, machte er sich von dem Auto los und trat über den toten Schuft aufs Garagentor zu.
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