»Hey, Sie dürfen nicht hier rein!«, rief Evans und rannte mit dem Funkgerät in einer Hand auf den gepflasterten Weg. Als er hörte, dass sich ein drittes Fahrzeug näherte, drehte er sich um: Vor ihm bremste mit quietschenden Reifen ein weiterer dunkelroter Suburban, dessen Frontleuchten verhinderten, dass er die Insassen sehen konnte.
Evans hörte, wie die Fahrertür aufging, dann folgten forsche Schritte, bis ein kleiner Mann mit dunklem Haar, fliehender Stirn und Vollbart vor ihm stehen blieb. Er schaute den Wächter kurz emotionslos an und hob eine Pistole mit Schalldämpfer.
»Was? Nein!«, rief Evans, ohne sich von der Stelle rühren zu können.
»Wenn Sie uns bitte entschuldigen würden«, erwiderte der Mann, feuerte dreimal und ging schließlich auf die Veranda zu.
Evans spürte, wie die Kugeln in seine Brust schlugen und das Gerät aus seiner Hand glitt. Er stand einen Moment lang still und wollte einatmen, während sich die Umgebung wie in Zeitlupe bewegte. Dann fiel er aufs nasse Pflaster, wo er weiter nach Luft rang. Neuerliche Schritte und ein Knall, als die Fahrertür des Geländewagens zugeschlagen wurde, waren die letzten Geräusche, die er hörte, während er kriechend auf dem Weg zu seinem Posten starb. Er blieb im Gras neben der einspurigen Einfahrt liegen, die zu bewachen man ihm aufgetragen hatte.
19:04, Eastern Standard Time – Freitag, Cottonwood Road, Forest, Virginia
Declan schaltete wild hinunter und hinauf, während er rechts abbog und auf der Cottonwood Road beschleunigte. Sie rasten an den beiden Einkaufszentren an der Ecke vorbei, wo der Highway die Straße kreuzte, auf eine Brücke über Eisenbahnschienen. Nachdem die Fahrbahn einen Bogen nach links beschrieben hatte, sah er endlich das Gebäude, das er suchte.
Die Briton-Adams-Villa stand auf der Kuppe eines hohen Hügels und war ein lokales Wahrzeichen.
»Was ist das für ein Geräusch?«, fragte Declan und schaute in den Fußraum.
»Mein Handy«, antwortete Constance, da es leise piepte. Ihre Wimperntusche war beim Weinen verlaufen und um die Augen verschmiert; sie tupfte mit einem Papiertaschentuch daran. »Das ist das Signal dafür, dass es den Empfang verliert oder sich neu mit dem Netz verbindet.«
Sie lehnte sich zur Seite, um das Samsung-Smartphone aus ihrer Handtasche zu holen, und schaltete den Bildschirm mit einem Fingerdruck ein. »Siehst du?« Sie hielt es ihm vor. »Kein Signal.«
»So nahe an Lynchburg? Das ist merkwürdig.«
»Denk daran, dass der nächste Sendemast in Bedford steht. Hier fährt man immer mehrere Meilen durch ein Funkloch.«
»Schon, aber bis dorthin sind es auf dieser Straße nur noch 20 Meilen«, hielt Declan dagegen und tastete nach seinem Mobiltelefon, bevor ihm bewusst wurde, dass es in dem Jackett war, das er im Barton Center gelassen hatte.
Der Motor des Cabriolets heulte auf, als er herunterschaltete und in die Auffahrt einlenkte. Vor dem geschlossenen Tor blieb er stehen. Mit einem Zeigefinger auf dem elektrischen Fensterheber wartete er bei leisem Summen, bis sich die Scheibe der Fahrertür gesenkt hatte.
»Wo sind die Wachleute?« Er sah sich um. »Levi sagte, drei Mann würden das Grundstück absichern.«
Constance folgte seinen Blicken. »Niemand da. Bist du sicher, dass hier jemand postiert sein sollte?«
Declan antwortete nicht. Vor dem Zentrum hatte er den Gedanken nicht abschütteln können, dass Kafni noch immer in Gefahr schwebte. Auch wenn er nicht belegen konnte, dass der Israeli hatte sterben sollen, ließ ihm sein Bauchgefühl keinen Zweifel daran. Sicherlich hatten mehrere Vertreter der US-Regierung zu den Gästen gezählt, doch niemand unter ihnen war so berühmt wie der Festredner der Veranstaltung, geschweige denn das Ziel von sechs vorigen Mordanschlägen gewesen, respektive Gegenstand einer Handvoll Fatwas, die seinen Tod forderten. Declan hatte schon vor langer Zeit gelernt, sich auf seine Instinkte zu verlassen. Wenn ihm etwas faul vorgekommen war, so hatte er oft genug auf die harte Tour erkennen müssen, dass er mit ziemlicher Sicherheit richtig lag.
Er öffnete die Tür, stieg aus und drehte sich auf dem nassen Pflaster neben dem Wagen einmal um sich selbst. Das Erste, was ihm auffiel, waren Reifenspuren zehn Fuß vor ihm in der aufgeschwemmten Erde. Bei näherer Betrachtung wurde deutlich, dass sie von einem Fahrzeug stammten, das in hohem Tempo von rechts aufs Anwesen eingebogen sein und beim Schneiden der Ecke nasses Gras mitgerissen haben musste. War es Levi Levitt hinterm Steuer des Geländewagens gewesen? Anhand dessen, was Declan über die Gegend wusste, glaubte er es nicht. Zwar hätte der Sicherheitsmann einen Umweg durch eine der Siedlungen südlich der Villa nehmen können, doch das hielt er für unwahrscheinlich. Dort hätte Levitt sehr oft abbiegen müssen, und das Risiko, sich zu verirren, da er sich erst seit wenigen Tagen in der Stadt aufhielt, war insbesondere bei Nacht zu hoch.
Declan ging zur verglasten Veranda. Darin lag auf einem Tisch aus minderwertigem Pressspan eine aufgeschlagene Zeitung neben einer Kaffeetasse, doch ein Wachmann war nicht anwesend. Er drehte sich um und trat wieder hinaus. Während er seinen Blick durch die Umgebung schweifen ließ, machte er im hohen Gras vor einem der Backsteinpfeiler des Tors einen schwarzen Stiefel aus. Schnell lief er hin und kniete nieder. Dort lag ein korpulenter Mann mit braunen Locken in einer der marineblauen Uniformen, die auch das Sicherheitspersonal am Barton Center getragen hatte. Declan nahm seinen Unterarm, um mit Zeige- und Mittelfinger den Puls zu prüfen, obwohl anhand des glasigen Blickes und dreier Einschusslöcher in der Brust offensichtlich war, dass er nicht mehr lebte. Die Haut fühlte sich aber noch warm an, also hatte der Tod ihn erst vor Kurzem ereilt.
Declan rannte zur Fahrerseite des Nissan zurück und öffnete die Tür. »Hast du wieder Empfang?«, fragte er seine Frau, die ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte.
Sie verneinte, während sie mit einem Daumen übers Display fuhr. »Nichts.«
»Ich will, dass du die Straße hinunterfährst, bis du Empfang hast, und die Polizei anrufst.«
»Declan, was ist passiert?«
»Bitte darum, dass sie sofort jemanden zur Briton-Adams-Villa schicken«, fuhr er fort, ohne auf ihre Worte einzugehen. »Sag ihnen, ein Wachmann ist umgebracht worden.«
Die Antwort darauf schien ihr im Halse stecken zu bleiben, also schaute sie nur dabei zu, wie er unter den Fahrersitz fasste. Mit dem Abreißgeräusch eines Klettverschlusses zog er eine Ledertasche hervor, öffnete sie und nahm eine Glock-Pistole heraus. Nachdem er das Magazin entnommen und überprüft hatte, steckte er es wieder in den Griff und lud durch.
»Was hast du vor?«, fragte Constance, während sie abwechselnd in sein Gesicht und auf die Waffe in seiner Hand schaute.
»Ich werde Abe suchen. Fahr jetzt und komm nicht zurück, bis ich dich anrufe und Entwarnung gebe.«
Damit steckte er sich die Pistole in eine Tasche, zog die Krawatte aus, die er für den Abend angezogen hatte, und nahm Anlauf aufs Tor. Um darüber zu gelangen, sprang er dagegen, zog sich hoch und schwang die Beine hinüber, wobei er hörte, wie seine Frau den Rückwärtsgang einlegte und die Auffahrt verließ. Nachdem er auf dem nassen Belag gelandet war, griff er die Pistole und lief auf das hell erleuchtete Haus auf dem Hügel zu.
Als er den Anstieg hinter sich hatte, trat Declan in ein Dickicht aus Hornsträuchern, die auf einem trichterförmigen Hof wuchsen, wo sich die Zufahrt gabelte. Der Hauseingang, vor dem beide Wege wieder zusammenliefen, war jetzt noch 50 Yards entfernt. Regentropfen, dick wie Centmünzen, die von den Baumwipfeln fielen, sickerten durch sein hellblaues Anzughemd, während er im Zickzack über den Platz schlich, wobei er hin und wieder an Sträuchern innehielt. Als er den Rand erreichte, ging er hinter einem breiten Stamm in Deckung und lehnte sich zur Seite, um zu sehen, ob jemand von drinnen herausgekommen war.
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