»Hi, guten Abend«, grüßte er noch einmal winkend und mit einem zurückhaltenden Lächeln. »Ich finde es großartig, heute Abend hier bei Ihnen sein zu dürfen.«
Die Gäste klatschten weiter, während Coulson kräftig Kafnis Hand schüttelte und die Bühne danach verließ. Nun blieb der Redner einen Moment lang mit leuchtenden Augen stehen, bis der Beifall abebbte und man wieder Platz nahm.
»Guten Abend«, wiederholte er schließlich. »Sie haben es vermutlich schon geahnt: Ich bin Dr. Abidan Kafni.«
Damit erntete er Gelächter.
»Es ist wunderbar, heute Abend hier in der Liberty-Universität zu stehen. Ich bin ungeheuer gespannt darauf, in dieser Fakultät zu arbeiten und die Chance zu erhalten, gemeinsam mit anderen Kollegen prägend auf die politischen Köpfe von morgen einzuwirken. Absolventen der Liberty zogen in die Welt, um auf ihren jeweiligen Gebieten zu Koryphäen zu werden, beispielsweise als Filmemacher, Comicautoren, Kabarettisten, Schriftsteller, Musiker von Weltruhm oder natürlich Journalisten und Fernsehmoderatoren, auf die ich ja abonniert bin.«
Das Publikum lachte wieder kurz.
»Amerika steht an einem einschneidenden Punkt in seiner Geschichte: Wir müssen entscheiden, ob wir an den Idealen der Gründerjahre festhalten. Die Prinzipien eingeschränkter Regierungsgewalt, freier Marktkapita–«
Plötzlich knallte es draußen markerschütternd laut, woraufhin das ganze Gebäude erzitterte. Nur einen Sekundenbruchteil lang erstarrten alle, dann rollte eine Hitzewelle durch den Saal, gefolgt von einer Trümmerlawine. Die Gäste fingen an zu schreien. Declan sprang von seinem Platz auf, als Bruchstücke einer brennenden Trockenmauer gegen seinen Rücken prasselten. Während er Constance mitzog, hechtete er unter den Tisch. Die Bühnenbeleuchtung fiel aus und der Raum hüllte sich in Finsternis. Declan drückte seine Frau fest an sich, um sie mit seinem eigenen Körper zu schützen, als der Tisch inmitten des Chaos umgeworfen wurde und Personen über sie stürzten.
So schnell, wie der Aufruhr begonnen hatte, kehrte auch wieder Stille im Saal ein. Da seine Ohren infolge der Explosion klingelten, nahm Declan das Geflüster und Stöhnen der Verletzten nur vage wahr. Einige begannen, nach ihrer Begleitung zu rufen, um herauszufinden, ob sie unversehrt waren. Während sich Declans Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnten – ein gespenstischer Rotton, erzeugt von einer Feuerwand, dort, wo der Haupteingang gewesen war –, wurde der Gästeschar allmählich bewusst, was sich ereignet hatte, und ein entsetztes Geschrei begann.
Er brüllte in Constances Ohr dagegen an: »Bist du okay?«
Sie erhob sich langsam – verstört – und nickte. Ungläubig blickte sie über die Verwüstung. Declan zog sie wieder an sich und ersparte ihr den Anblick entstellter Leichen, die durch die Druckwelle von ihren Stühlen gerissen und in den hinteren Teil des Saals geschleudert worden waren.
Rasch untersuchte er Constance, entdeckte aber nichts, was auf Verletzungen hindeutete. »Wir müssen hier raus«, sagte er dann, indem er sie an den Schultern packte, umdrehte und Richtung Bühne drängen wollte. Als er sich in Bewegung setzte, umschloss jemand eines seiner Fußgelenke.
»Helfen Sie mir«, ächzte eine Stimme. »Helfen Sie mir.«
Er schaute auf den Boden hinter sich und erblickte zu seinen Füßen Mark Alley mit einem tiefen Schnitt über dem rechten Auge, der stark blutete und ihn halb blind machte. Declan bückte sich und zog ihn hoch. Drei weitere Überlebende gesellten sich zu ihnen, eindeutig bestürzt und verwirrt; es waren Michael Coulson und die beiden Ehefrauen. Coulson hielt sich den linken Arm und verzog sein Gesicht vor Schmerz. Die beiden anderen schienen unverletzt zu sein.
»Wir müssen von hier verschwinden, führen Sie Ihren Mann«, sagte Declan zu Sherry Alley, die sofort gehorchte und einen von Marks Armen nahm. Declan packte Constance erneut an den Schultern und begann, sie hinter sich her zur Bühne zu ziehen. Von allen Seiten brachen Hilferufe über ihn herein, doch er ging weiter, wobei er über Tische und Stühle steigen musste. Es galt zunächst, die wenigen Personen hinauszubringen, die bei ihm waren, um überhaupt erst daran denken zu können, andere zu bergen. Ihm fiel der Notausgang im Backstagebereich hinter dem Vorhang ein, also begab er sich nach links, als er die Bühne erreichte. Grauer Betonstaub haftete an dem blauen Seidenstoff, der hängen geblieben war.
»Ahhh!«
Erschrocken fuhr er mit dem Kopf herum, als ein Mann in flammenden Kleidern auf den Vorhang zugelaufen kam. Declan streifte hastig sein Jackett ab, sprang auf den Brennenden zu und stieß ihn um, damit er das Feuer ersticken konnte. Dann richtete er sich wieder auf, ließ das Jackett auf dem Verletzten liegen und kehrte zu den anderen zurück, die in seiner Abwesenheit stehen geblieben waren. Er hielt den Vorhang auf, um die drei Frauen und zwei Männer durchgehen zu lassen. Mehrere Überlebende hatten den Weg zum Notausgang bereits gefunden, dessen Tür offenstand. Declan beobachtete das Durcheinander; wie Krebse in einem Eimer grapschten sie nach einander, um möglichst schnell durch die verstopfte Öffnung zu gelangen.
»Aus dem Weg«, verlangte Declan und stieß einen Mann beiseite, der eine Frau vor sich festgehalten hatte, um sie von der Tür wegzuziehen und selbst hinauszulaufen. Ohne die Hand seiner Frau loszulassen, drängelte er sich bis an die Spitze des Auflaufs und drückte sie ins Freie. Schließlich drehte er sich um, breitete seine Arme weit aus, um den Ausgang zu versperren, und rief: »Ruhig! Stopp!«
Ein paar Gesichter vorne im Gemenge schauten zu ihm auf. »In Ordnung«, fuhr er fort. »Sie, raus!« Damit legte er Hand an einen Mann und stupste ihn durch den Rahmen. »Jetzt Sie!«, sagte er zu einer Frau, die in Griffweite stand, und half ihr nach draußen. Da er das Ganze noch mehrere Male wiederholte, schaffte er zusehends Platz vor der Tür, während die Übrigen gesittet nacheinander auf den kleinen Parkplatz hinausgingen.
Auf einmal riss jemand den Vorhang zur Bühne auf: Levi Levitt. Abidan Kafni war bei ihm. Der Leibwächter stützte seinen Boss, der sich augenscheinlich ein Bein verletzt hatte. Während sich die beiden der Tür nährten, kam ihnen Declan entgegen und nahm Kafnis freien Arm, um Levitt beim Stützen zu helfen.
Frische Abendluft und Regentropfen wehten ihm ins Gesicht, als er an Kafnis Seite nach draußen kam. Die Parkfläche hinter dem Gebäudeabschnitt, wo im echten Monticello die Bediensteten gewohnt hatten, war so lang und schmal wie der Ostflügel selbst. Da hier offensichtlich nur Fakultätsmitglieder ihre Autos abstellen durften, die auch im Barton Center arbeiteten, stand gerade nur ein einziger Wagen darauf: Ein schwarzer GMC-Suburban, den Declan sofort als Kafnis gepanzertes Auto erkannte. Sicherheitspersonal in blauen Uniformen kam um eine Gebäudeecke gelaufen und begann, sich den Verletzten zu widmen, die durch den Notausgang strömten.
»Bewegung, schnell«, drängte Declan mehrere Personen, die an dem Geländewagen lehnten. Levitt ließ Kafni los, um eine Hand in seine Hosentasche zu schieben und den Wagen per Fernbedienung zu entriegeln. Ein Mann öffnete eine Tür zur Rückbank und hielt sie auf, während Declan Kafni hineinhalf. Nachdem er sie selbst geschlossen hatte, sagte er zu Levitt: »Bringen Sie ihn in Sicherheit. Wo ist Ihre Unterkunft? Wir treffen uns dort!«
Der Leibwächter nickte und setzte sich hinters Steuer. »In der Briton-Adams-Villa an der Cottonwood Road«, gab er an und betätigte die Zündung, woraufhin die Bremslichter des Autos aufleuchteten – blendend hell im Dunkeln – und der Motor aufbrauste. »Wir haben drei Wachleute postiert; ich sage Ihnen, dass Sie kommen!«
»Alles klar, ich weiß, wo das ist. Wir fahren ein weißes Cabriolet!«, entgegnete Declan, bevor er die Fahrertür zuschlug.
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