Reinhold Messner bekennt im Beitrag zu diesem Buch: „Nicht immer waren wir erfolgreich“. Nicht erfolgreich wart ihr zum Beispiel am Makalu. Was hat euch zu diesem Berg hingezogen und warum seid ihr letztlich gescheitert?
Der 8485 Meter hohe Makalu wurde am 15. Mai 1955, also zwei Jahre nach dem Everest, von den Franzosen Lionel Terray und Jean Couzy erstbestiegen, an den darauffolgenden Tagen waren zwei weitere Mannschaften erfolgreich. Eine großartige Leistung dieser französischen Expedition, bei der alle Teilnehmer, auch der Sherpa Gyalzen den Gipfel erreichten, und eine faszinierende Geschichte. Als wir fast auf den Tag genau 19 Jahre später an diesem Berg unterwegs waren, hat uns – wie bei allen unseren Expeditionen – eine neue Route gereizt, eine neue Route in der Südwand.
Adlerhorst in steiler Wand: Auf Aluminium-Plattformen wurden die „Whillans-Boxes“ errichtet.
Wer war dabei?
Reinhold Messner, Oswald Oelz, Josl Knoll, Walter Almberger, Helli Hagner, Gerhard Markl, Albert Precht, Yves Buchheim, Horst Bergmann und ich.
Was waren die Probleme?
Es waren einerseits die Wetterverhältnisse – Schneestürme und Lawinen –, andererseits aber vor allem die Schwierigkeiten der Wand. Wir haben aus Österreich Aluminiumplattformen mitgebracht, die wir in der steilen Felswand verankern konnten, damit wir wenigstens einen ebenen Miniplatz hatten, um zwei kleine Zelte, sogenannte Whillansboxen, aufstellen zu können.
Was genau waren die Schwierigkeiten der Wand?
Das waren die vereisten Felsen. Reinhold hat die Kletterei in diesen Felsen später als die Grenze des Möglichen, des noch Verantwortbaren bezeichnet. Unser Ziel war hochgesteckt und wir gaben unser Bestes, mussten uns letztendlich aber geschlagen geben.
Wie weit seid ihr gekommen?
Wir waren schon fast sechs Wochen dort, bis wir eine Höhe von 7500 Metern erreichten und einsehen mussten, dass wir nicht weiter kamen.
Was geschah dann?
Wir haben lange und gründlich diskutiert. Sollten wir es doch auf dem klassischen Weg der Erstbesteiger versuchen? Jedes zweite Lager auslassen und im Alpinstil den Gipfel erreichen? Aber auch dafür erschien uns das Risiko zu groß, da das Wetter schlecht blieb und wir wahrscheinlich nicht mehr über die hohen Pässe nach Kathmandu zurückgekommen wären. Wir entschieden uns, die Expedition abzubrechen, und das erwies sich als richtig. Während des ganzen langen Rückmarschs schneite und regnete es fast andauernd.
Was für ein Gefühl hat man als Expeditionsleiter beim Scheitern so eines Unternehmens?
Man tröstet sich damit, hoffentlich das Richtige getan zu haben, denn man gibt so ein Ziel ja nicht leichtfertig auf, weil man vielleicht keine Lust mehr hat, man wägt ja alle noch bestehenden Möglichkeiten ab. Was es emotional bedeutet, eine Expedition abzubrechen, aufzuhören, das muss man selbst erlebt haben.
Wie waren die Außenreaktionen?
Es gibt natürlich immer neidische Kollegen, die mitleidig lächelnd sagen: „Sie sind halt nicht hinaufgekommen.“ Wie es aber dazu gekommen ist, bleibt dabei unbedacht.
Wie geht man damit um?
Zum einen: Reinhold Messners Bemerkung „Nicht immer waren wir erfolgreich“ setzt sich fort in seiner Feststellung, „aber immer sind wir in Frieden heimgekehrt.“ Zum anderen aber gilt wieder einmal Hias Rebitschs Satz: „Es ist leicht, ein guter Bergsteiger zu sein, aber schwer, ein alter Bergsteiger zu werden.“
CHO-OYU-SÜDWAND 1982: DER KAMPF UMS ÜBERLEBEN
Um Bulle stand es kritisch, er war schwer höhenkrank und immer wieder bewusstlos. Er musste so schnell wie möglich ins Tal transportiert werden, aber alle Mühe, ein Yak aufzutreiben, war vergeblich, und zum Selber-Gehen war er nicht mehr in der Lage. Am Abend sah er zwar etwas besser aus, wir hofften, er sei jetzt „über den Berg“. In der Früh dann der Rückschlag: deutliche Anzeichen einer Lungenentzündung. Er war bewusstlos.
Sofort schickte ich den Sherpa Maila Pemba im Eiltempo nach Namche Bazar, um von dort über Funk einen Hubschrauber anzufordern. Mit zwei langen Stangen und Skistöcken bauten wir dann eine Tragbahre und banden den Schwerkranken darauf. Für ihn begann ein unbeschreiblicher Leidensweg. Nach sechs Stunden auf der Moräne waren wir nahe bei Gokyo. Bulles Lunge rasselte, wir dachten, er würde die nächsten zwei Stunden nicht überleben, wenn nicht ein Wunder geschähe. Reinhard, Rudi und ich flüchteten in schwarzen Humor. Reinhard sagte, es würde ihm nichts ausmachen, hier zu sterben und begraben zu werden, dann könnte seine Witwe regelmäßig eine schöne Reise nach Nepal machen!
In Gokyo geschah das Wunder. Dort trafen wir zwei Schweizer Ärzte, die sich sofort um Bulle kümmerten. Er hatte seit zwei Tagen nicht uriniert. Katheter war keiner vorhanden, so stachen sie die Nadel einer Spritze direkt in die Bauchhöhle und drückten den Urin heraus, gaben ihm mehrere Spritzen und erklärten sich bereit, mit uns weiter abzusteigen.
Ich lief voraus zum Khunde-Hospital, um Sauerstoff zu holen, falls am nächsten Tag kein Hubschrauber kommen sollte. Von Gokyo nach Khunde rechnet man mit zwei Tagesmärschen – ich brauchte fünf Stunden. Bei jeder Mani-Mauer stammelte ich ein hastiges „Om mani padme hum“. Immer wieder flogen schwarze Kolkraben um mich herum, und ich musste an das Lied von Ludwig Hirsch denken: „Komm, großer, schwarzer Vogel …“.
Beim Dorfeingang von Khunde gaben die Batterien meiner Taschenlampe den Geist auf. Zwei zufällig entgegenkommende Buben leuchteten mir für zehn Rupien den Weg zum Khunde-Hospital. Doktor Jamie Uhrig, dem ich erklärte, wer ich sei und was ich brauche, richtete mir sofort eine Sauerstoff-Ausrüstung und Medikamente her, falls am nächsten Tag kein Hubschrauber fliegen konnte. Ich brachte keinen Bissen hinunter, nur trinken, trinken, trinken. Dann schlief ich erschöpft ein.
Die 3000 Meter hohe Südwand des Cho Oyu vom Gokyo Peak gesehen
Sobald es hell wurde, schickte der Khunde-Doktor Bulle und seinen Begleitern einen Träger entgegen. Ich folgte, voller Ungewissheit, ob der Schwerkranke die Nacht überlebt hatte. Um etwa 8:30 Uhr kam tatsächlich der rettende Hubschrauber taleinwärts geflogen und flog kurze Zeit später wieder hinaus, ins Krankenhaus nach Kathmandu. Aber immer noch war da die Ungewissheit, ob Bulle den Flug überleben würde, ob nicht doch „der große schwarze Vogel“ siegen würde.
Erst im Lager der Sherpas erfuhr ich: Bulle ist am Leben. Ich musste zur Seite gehen, da mir Tränen in den Augen standen.
Tage darauf machten wir uns daran, den Plan für den Gipfelsturm über die Cho-Oyu-Südwand aufzustellen, aber alles sollte anders kommen.
Reinhard und ich schliefen in einem Zelt. Rudis Platz in der Mitte war frei, er war mit Zahnschmerzen abgestiegen und sollte nachkommen. Wir hatten am Abend unsere Flaschen mit Tee gefüllt. „Dieses Achttausender-Bergsteigen geht mir langsam auf die Nerven“, hatte Reinhard gesagt: „Wir werden ihn einfach machen, diesen Cho Oyu, und dann ist Schluss, zumindest für dieses Jahr“, fügte er hinzu.
Mit Reinhard Karl vor dem Zelt
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