»Oh Zarathustra, hier ist die grosse Stadt: hier hast du Nichts zu suchen und Alles zu verlieren.
Warum wolltest du durch diesen Schlamm waten? Habe doch Mitleiden mit deinem Fusse! Speie lieber auf das Stadtthor und – kehre um!
Hier ist die Hölle für Einsiedler-Gedanken: hier werden grosse Gedanken lebendig gesotten und klein gekocht.
Hier verwesen alle grossen Gefühle: hier dürfen nur klapperdürre Gefühlchen klappern!
Riechst du nicht schon die Schlachthäuser und Garküchen des Geistes? Dampft nicht diese Stadt vom Dunst geschlachteten Geistes?
Siehst du nicht die Seelen hängen wie schlaffe schmutzige Lumpen? – Und sie machen noch Zeitungen aus diesen Lumpen!
Hörst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel wurde? Widriges Wort-Spülicht bricht er heraus! – Und sie machen noch Zeitungen aus diesem Wort-Spülicht.
Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie erhitzen einander und wissen nicht, warum? Sie klimpern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit ihrem Golde.
Sie sind kalt und suchen sich Wärme bei gebrannten Wassern; sie sind erhitzt und suchen Kühle bei gefrorenen Geistern; sie sind Alle siech und süchtig an öffentlichen Meinungen.
Alle Lüste und Laster sind hier zu Hause; aber es giebt hier auch Tugendhafte, es giebt viel anstellige angestellte Tugend: –
Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und hartem Sitz- und Warte-Fleische, gesegnet mit kleinen Bruststernen und ausgestopften steisslosen Töchtern.
Es giebt hier auch viel Frömmigkeit und viel gläubige Speichel-Leckerei, Schmeichel-Bäckerei vor dem Gott der Heerschaaren.
»Von Oben« her träufelt ja der Stern und der gnädige Speichel; nach Oben hin sehnt sich jeder sternenlose Busen.
Der Mond hat seinen Hof, und der Hof hat seine Mondkälber: zu Allem aber, was vom Hofe kommt, betet das Bettel-Volk und alle anstellige Bettel-Tugend.
»Ich diene, du dienst, wir dienen« – so betet alle anstellige Tugend hinauf zum Fürsten: dass der verdiente Stern sich endlich an den schmalen Busen hefte!
Aber der Mond dreht sich noch um alles Irdische: so dreht sich auch der Fürst noch um das Aller-Irdischste –: das aber ist das Gold der Krämer.
Der Gott der Heerschaaren ist kein Gott der Goldbarren; der Fürst denkt, aber der Krämer – lenkt!
Bei Allem, was licht und stark und gut in dir ist, oh Zarathustra! Speie auf diese Stadt der Krämer und kehre um!
Hier fliesst alles Blut faulicht und lauicht und schaumicht durch alle Adern: speie auf die grosse Stadt, welche der grosse Abraum ist, wo aller Abschaum zusammenschäumt!
Speie auf die Stadt der eingedrückten Seelen und schmalen Brüste, der spitzen Augen, der klebrigen Finger –
– auf die Stadt der Aufdringlinge, der Unverschämten, der Schreib- und Schreihälse, der überheizten Ehrgeizigen: –
– wo alles Anbrüchige, Anrüchige, Lüsterne, Düsterne, Übermürbe, Geschwürige, Verschwörerische zusammenschwärt: –
– speie auf die grosse Stadt und kehre um!« – –
Hier aber unterbrach Zarathustra den schäumenden Narren und hielt ihm den Mund zu.
»Höre endlich auf! rief Zarathustra, mich ekelt lange schon deiner Rede und deiner Art!
Warum wohntest du so lange am Sumpfe, dass du selber zum Frosch und zur Kröte werden musstest?
Fliesst dir nicht selber nun ein faulichtes schaumichtes Sumpf-Blut durch die Adern, dass du also quaken und lästern lerntest?
Warum giengst du nicht in den Wald? Oder pflügtest die Erde? Ist das Meer nicht voll von grünen Eilanden?
Ich verachte dein Verachten; und wenn du mich warntest, – warum warntest du dich nicht selber?
Aus der Liebe allein soll mir mein Verachten und mein warnender Vogel auffliegen: aber nicht aus dem Sumpfe! –
Man heisst dich meinen Affen, du schäumender Narr: aber ich heisse dich mein Grunze-Schwein, – durch Grunzen verdirbst du mir noch mein Lob der Narrheit.
Was war es denn, was dich zuerst grunzen machte? Dass Niemand dir genug geschmeichelt hat: – darum setztest du dich hin zu diesem Unrathe, dass du Grund hättest viel zu grunzen, –
– dass du Grund hättest zu vieler Rache ! Rache nämlich, du eitler Narr, ist all dein Schäumen, ich errieth dich wohl!
Aber dein Narren-Wort thut mir Schaden, selbst, wo du Recht hast! Und wenn Zarathustra’s Wort sogar hundert Mal Recht hätte : du würdest mit meinem Wort immer – Unrecht thun !«
Also sprach Zarathustra; und er blickte die grosse Stadt an, seufzte und schwieg lange. Endlich redete er also:
Mich ekelt auch dieser grossen Stadt und nicht nur dieses Narren. Hier und dort ist Nichts zu bessern, Nichts zu bösern.
Wehe dieser grossen Stadt! – Und ich wollte, ich sähe schon die Feuersäule, in der sie verbrannt wird!
Denn solche Feuersäulen müssen dem grossen Mittage vorangehn. Doch diess hat seine Zeit und sein eigenes Schicksal. –
Diese Lehre aber gebe ich dir, du Narr, zum Abschiede: wo man nicht mehr lieben kann, da soll man – vorübergehn ! –
Also sprach Zarathustra und gieng an dem Narren und der grossen Stadt vorüber.
Ach, liegt Alles schon welk und grau, was noch jüngst auf dieser Wiese grün und bunt stand? Und wie vielen Honig der Hoffnung trug ich von hier in meine Bienenkörbe!
Diese jungen Herzen sind alle schon alt geworden, – und nicht alt einmal! nur müde, gemein, bequem: – sie heissen es »Wir sind wieder fromm geworden.«
Noch jüngst sah ich sie in der Frühe auf tapferen Füssen hinauslaufen: aber ihre Füsse der Erkenntniss wurden müde, und nun verleumden sie auch noch ihre Morgen-Tapferkeit!
Wahrlich, Mancher von ihnen hob einst die Beine wie ein Tänzer, ihm winkte das Lachen in meiner Weisheit: – da besann er sich. Eben sah ich ihn krumm – zum Kreuze kriechen.
Um Licht und Freiheit flatterten sie einst gleich Mücken und jungen Dichtern. Ein Wenig älter, ein Wenig kälter: und schon sind sie Dunkler und Munkler und Ofenhocker.
Verzagte ihnen wohl das Herz darob, dass mich die Einsamkeit verschlang gleich einem Wallfische? Lauschte ihr Ohr wohl sehnsüchtig-lange umsonst nach mir und meinen Trompeten- und Herolds-Rufen?
– Ach! Immer sind ihrer nur Wenige, deren Herz einen langen Muth und Übermuth hat; und solchen bleibt auch der Geist geduldsam. Der Rest aber ist feige .
Der Rest: das sind immer die Allermeisten, der Alltag, der Überfluss, die Viel-zu-Vielen – diese alle sind feige! –
Wer meiner Art ist, dem werden auch die Erlebnisse meiner Art über den Weg laufen: also, dass seine ersten Gesellen Leichname und Possenreisser sein müssen.
Seine zweiten Gesellen aber – die werden sich seine Gläubigen heissen: ein lebendiger Schwarm, viel Liebe, viel Thorheit, viel unbärtige Verehrung.
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