Fest stand für ihn nur, dass Denovali an irgendeiner Sache dran war, die sich hier in seinem Haus abgespielt hatte. Etwas, vor dem er sich selbst gefürchtet, das ihn vielleicht sogar in den Wahnsinn getrieben hatte.
Allerdings behandelte er die antiken Werke mit Ehrfurcht. Ihm war bewusst, dass sie in ein paar Stunden allesamt vernichtet werden würden. Hätte er ein Verständnis für die alten Schriften, so würde er die Hände über dem Kopf zusammenschlagen; doch da dem nicht so war, konnte er nur die Unachtsamkeit der rechtmäßigen Erben bedauern. Da diese das Haus zum Abriss freigegeben hatten, ohne das Inventar im Vorfeld zu sichten beziehungsweise es gewinnbringend zu veräußern.
Noch eine halbe Stunde bis Mitternacht. Er beschloss, in den Keller zu gehen. Vielleicht würde er dort fündig werden, wo in Denovalis Handschrift von diesem Ort die Rede war.
Vorsichtshalber wechselte er die Batterien der Taschenlampe. Ersatz hatte er mitgebracht. Seine Tasche ließ er hier. Er würde später zurückkommen, sich an diesen Schreibtisch setzen und auf sein Ende warten.
Oberflächlich betrachtet bestand der Keller neben dem Heizungsraum aus nur drei Räumen: einem durchaus beeindruckend zu nennenden Weinkeller, einem Abstellraum und einem Schwimmbad. Das Schwimmbecken war gut drei Meter breit und sechs Meter lang. Es roch nach abgestandenem Chlor und auf dem milchigen Wasser hatte sich eine Algenschicht gebildet. Des Weiteren gab es noch einen Umkleideraum und eine integrierte Sauna.
Klopfende oder gar schmatzende Geräusche indes konnte Benno auch hier nirgends ausmachen. Er beendete den Rundgang und stieg wieder die Stufen nach oben, als er seine Meinung änderte. War da nicht soeben doch ein Geräusch gewesen? Ganz kurz nur, am Rande seiner Wahrnehmung?
Benno blickte auf die Armbanduhr. Es war zehn Minuten vor Mitternacht.
»Weshalb nur immer Mitternacht?«, intonierte er. Unheimliche Klopfgeräusche - seien sie von Geistern verursacht oder nur eingebildet - scheint es stets nur zu dieser vermaledeiten Uhrzeit zu geben. Was machte die erste Stunde eines jeden neuen Tages nur so magisch?
Er beschloss, den Eintritt der sogenannten Geisterstunde im Keller abzuwarten, machte auf den Stufen kehrt und ging wieder nach unten. Instinktiv suchte er den Weinkeller auf. Der Raum maß in etwa dreißig Quadratmeter und war zu allen Seiten mit gefüllten Weinregalen bestückt. Im Zentrum des Raumes befand sich ein altes Weinfass und auf diesem warteten mehrere Kerzenstummel darauf, entzündet zu werden.
Benno kramte in der Hosentasche nach den Zündhölzern, die er sich ohne besonderen Grund für seine letzte Nacht auf Erden eingepackt hatte. Er entfachte die Kerzen und schaltete die Taschenlampe aus. Das Licht langte, um die Atmosphäre, den die unzähligen Flaschen auf ihn ausübten, wirken zu lassen.
Nun reizte es ihn doch, den einen oder anderen Tropfen zu kosten. Doch er widerstand der Versuchung.
Er ließ die Kerzen brennen und bahnte sich seinen Weg in die Abstellkammer. Hier schaltete er die Lampe wieder ein und ließ den Lichtstrahl durch den wirbelnden Staub und die Intarsien des stinkenden Kellerabteils wandern. Er erkannte ein altes Fahrrad, das an einem großen Schrankkoffer lehnte. Aufgeplatzte Plastiksäcke verrieten, dass sie die Kleidung kaum noch halten konnten. Mit der Zeit hielt der Kunststoff nicht mehr. Kleiderbügel hatten sich durch die blaufarbene Haut hindurchgebohrt und Benno erkannte, dass es sich um Frauenkleidung handelte. Vermutlich die vormalige Bekleidung Denovalis Exgattin.
Warum war sie nach dem Tod Denovalis nicht hierher zurückgekehrt, um sich ihre Sachen zu holen?
Weiter vorne lag eine halbgeöffnete Schatulle, aus der Polaroidfotos lugten. Benno nahm die Schachtel und setzte sich auf einen ausrangierten Stuhl, um sich die Bilder zu betrachten.
Die Fotos waren allesamt im Schwimmbad aufgenommen worden. Das erkannte Benno sofort. Allerdings war es höchst widerwärtig, was die abfotografierten Gestalten dort taten. Glaubte man den ausgebleichten Fotos, schien Denovali sich an Orgien zu erfreuen. Neun Leute waren auf dem einen Bild zu sehen. Alle nackt. Eine Person saß noch in der Umkleidekabine, während eine weitere mit ihr zu reden schien. Ein Pärchen ging derweil händchenhaltend auf den Pool zu, an dessen Rand ein älterer Mann mit Vollbart saß und masturbierte. Ein muskulöser, farbiger Mann sah ihm dabei zu und reckte seine gewaltige Erektion aus dem Wasser. Ein weiteres Pärchen küsste sich eng umschlungen. Die Frau war recht dick und sie verbarg ihren eher hageren Partner nahezu völlig. Dicht daneben stand Denovali selbst und winkte dem Fotografen zu. Den Frisuren nach zu urteilen, musste die Bilderserie Ende der siebziger Jahre aufgenommen worden sein.
Kopfschüttelnd überflog Benno die anderen Fotos. Ausnahmslos alle zeigten die Personen des ersten Bildes, wobei sie sich kopulierend miteinander abwechselten. Das Geschlecht schien bei dieser Orgie keine Rolle zu spielen.
Seltsamerweise trat der Fotograf selbst nicht in Erscheinung. Dafür entdeckte Benno auf dem letzten Bild etwas anderes; nur konnte er nicht erkennen, was es war. Hatten die Teilnehmer der Orgie Schläuche verlegt? Oder waren es Reinigungsutensilien, die dort auf dem Boden herumlagen? Es sah aus, als hätte man die Schläuche mehrerer Staubsauger im Raum des Swimmingpools verteilt und alle führten unter die Wasseroberfläche. Die Menschen hingegen schienen ebenfalls mit diesen Schläuchen zu kopulieren.
Es war mehr als nur seltsam, zumal das Bild aus der Serie der Vorangegangenen deutlich herausstach. Nicht nur, aufgrund der eigenartigen Schläuche, sondern auch weil es als Einziges nicht verblasst war. Dafür aber schien der Kamerafokus falsch eingestellt gewesen zu sein. Das Bild war unscharf.
Kopfschüttelnd legte Benno die Polaroids wieder zurück in die Schachtel, als er der Geräusche gewahr wurde. Ein deutlich vernehmbares Klopfen und Pochen, gepaart mit eben jenen schmatzenden Geräuschen, die Denovali beschrieben hatte.
Er legte die Pappbox beiseite, stand auf und verließ den Raum. Da er die Quelle des Geräusches nicht ausmachen konnte, begab er sich zunächst ins Schwimmbad. Es war seltsam: Das Wasser schien zu brodeln. Hier und dort warf es Blasen. Doch aufgrund der milchig-trüben Konsistenz und der grünschimmernden Algenflechten auf der Oberfläche konnte Benno nicht erkennen, was die Blubberblasen verursachte. Gleichsam war das Brodeln nicht die Ursache für das Klopfen und Schmatzen. Doch schien es etwas damit zu tun zu haben.
Das Schwelen des Wassers wurde intensiver. Es war, als stünde Benno einem gigantischen, viereckigen Hexenkessel gegenüber. Der Lichtkegel, den seine Taschenlampe auf das Gluckern warf, rief in ihm ein Unwohlsein herauf, dem er sich nicht erwehren konnte. Die glucksenden Wasserblasen schienen zu dampfen. Algen spritzten in losen Fetzen an den Beckenrand und blieben daran kleben, und rutschten wieder - schmierige Schlieren hinterlassend - zurück ins kalkgraue Wasser. Hinzu gesellte sich ein fürchterlicher Gestank, der irgendwo zwischen Schwefel und Fäkalien anzusiedeln war. Angewidert verließ Benno das Schwimmbad, von dem er wusste, dass es bereits einmal Ort einer okkulten Orgie gewesen war.
Das schmatzende Klopfen tobte währenddessen unaufhörlich weiter; nahm sogar an Intensität zu.
Er begab sich zurück in den Weinkeller und nahm überrascht wahr, dass hier das Toben der Geräusche am lautesten war. Die Kerzen auf dem Weinfass vibrierten mit jedem neuerlich schmatzenden Schlag.
Kein Zweifel, war Benno klar, die Ursache des Geräusches befand sich im Inneren des gut hundert Liter fassenden Weinfasses. Was mochte sich darin befinden? Verblüfft beobachtete er die rhythmische Vibration des Kerzenlichts.
Mit einem Mal gab es ein Bersten. Ein gewaltiges Toben war zu vernehmen. Als hätte sich im Inneren des Weinfasses eine Sprengladung befunden, explodierte das mit metallenen Bändern zusammengehaltene Rund in tausende hölzerner Splitter.
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