Elke Heinemann
Ein Liebesroman
Edition Nautilus
Dank an die Stadt Esslingen am Neckar für die Förderung des Manuskripts, das zudem den Hauptpreis des österreichischen Floriana-Literaturwettbewerbs erhielt und vom Freien Deutschen Autorenverband ausgezeichnet wurde. Anregungen verdanken sich der Lektüre von Roland Barthes, Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Carl Djerassi, Eve Ensler, Sigmund Freud, Peter Fuchs, Aldous Huxley, Friedrich Nietzsche, Arthur Rimbaud, Mary Wollstonecraft Shelley und Sophie von Zanardi, die in Form von Paraphrasen, Zitaten und Zitatresten in den Text eingegangen sind. Dank auch an Barbara Köhler, Ernst Marischka, die Duden-Redaktion, div. Frauenfachmagazine und div. TV-Tag- und Nachtprogramme. Und an S.K. &G.O.
Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg
Schützenstraße 49a · D-22761 Hamburg
Alle Rechte vorbehalten · © Lutz Schulenburg 2005
Umschlaggestaltung: Maja Bechert
www.majabechert.de
1. Auflage 2006
www.edition-nautilus.de
eISBN 978-3-86438-193-5
Anstatt eines Vorworts ergeht hier die Bitte an unsere lieben Leserinnen, sich einen Augenblick lang die Liebe vorzustellen, wie sie sein sollte, wie man sie anschauen kann im Theater, im Film und im Fernsehen. (Unserem lieben Leser können wir es übrigens nicht verübeln, wenn er derweil eine Fachzeitschrift für Theater-, Film- und Fernsehkritik studiert.) Groß und fruchtbar sollte die Liebe sein, das haben Sie doch sicher schon einmal irgendwo gelesen. Und das Leben sollte wie ein Liebesroman sein, live oder live im Fernsehen. Ein Leben wie ein Liebesroman, der auch ein Fortpflanzungsroman sein könnte mit vielen Fortsetzungsfolgen im Fernsehen. Ein Leben wie dieser Liebesroman, der ein Doppelroman ist im handlichen Handy-Format, mit vier paarungsbereiten Hauptdarstellerinnen, die einen Glücksbringer suchen. (Ähnlichkeiten mit natürlichen Personen sind zufällig!)
Irgendwie beginnt jeder Liebesroman. Wie spannend, wenn er mit einer chemischen Analyse beginnt, mit einer symbolischen Symmetrie, mit zwei Wahlverwandtschaften vier paarbereiter Elemente!
Dieser Liebesroman beginnt mit einem schlichten Satz, gesprochen von Brigitte. Brigitte sagt, ich liebe dich.
Brigitte sagt diesen Satz, weil sie ihn oft in ähnlichen Situationen gesagt hat. Brigitte hat diesen Satz oft in ähnlichen Situationen gehört und gelesen, im Kino, im Fernsehen, in Liebesromanen. Brigitte ist sich ihrer kulturellen Prägungen selten so sicher wie in diesem Augenblick. Und doch ist es möglich, dass sie diesen Satz sagt, weil sie hofft, dass Romantik Verkrampftheit ablösen wird, sie weiß es nicht genau.
Denn es ist das erste Mal, und wie bei jedem ersten Mal hat Brigitte ein einziges Ziel: Es soll nicht das letzte Mal gewesen sein. Vielmehr soll es das erste Mal einer Reihe von vielen Malen gewesen sein, die irgendwann, in einer noch nicht abzusehenden Zukunft, mit einem letzten, einem allerletzten Mal beschlossen sein wird. Bis dass der Tod uns scheidet.
Das alles meint Brigitte, wenn sie sagt, ich liebe dich. Aber sie weiß es nicht, oder sie weiß es nicht genau.
Alles, was Brigitte im Augenblick weiß, ist, dass da einer ist, den sie mehr als alle anderen auf dieser Welt liebt.
Warum, weiß Brigitte nicht genau.
Vielleicht wegen Petra.
Petra ist Brigittes beste Freundin. Petra und Brigitte haben sich in dem Grundkurs kennen gelernt, den sie im Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften belegen. Petra und Brigitte haben also von Anfang an etwas gemein: Sie studieren Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften.
Warum studieren Sie Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften? So lautet die erste Frage auf dem Fragebogen, den der Grundkursleiter in der Grundkursdoppelstunde verteilt.
Warum nur, Brigitte, warum?
Brigitte ist, bei Licht betrachtet, nicht die idealtypische Heldin eines Liebesromans. Vielleicht haben wir deshalb Brigitte gewählt, die zwar nicht ideal ist, aber typisch. Typisch nämlich für den Typus der hochbusigen Hochschülerin mit hennafarbenem Zopf und unklarer Berufsperspektive, die einem Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften natürlicherweise anhaftet.
Brigitte träumt von keinem Traumberuf, Brigitte träumt von der Keimzelle Kleinfamilie, dem Urgestein sozialen Seins – warum nur? Weil Brigitte dieselben Fortpflanzungsorgane hat wie ihre Mutter und ihre Großmutter, die noch nicht Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studieren durften?
Wenn dein Körper genügend Geschlechtshormone produziert, reift alle vier Wochen in deinen Eierstöcken eine Eizelle heran. Sobald diese reif ist, verlässt sie deinen Eierstock und gelangt in deinen Eileiter. Diesen Vorgang nennt man Eisprung.
Weil Brigitte dasselbe Drama des ungezeugten Kindes im Kopf hat wie einst ihre Mutter und ihre Großmutter? Weil Brigitte unter Penisneid leidet wie einst ihre Mutter und ihre Großmutter, die noch nicht Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studieren durften?
Die Eizelle wandert nun durch deinen Eileiter in Richtung Gebärmutter und kann von einer männlichen Samenzelle befruchtet werden. Ihre Wanderung dauert vier Tage. In der Zwischenzeit hat sich deine Gebärmutter auf die Aufnahme einer befruchteten Eizelle vorbereitet, die das Wunder des Lebens birgt: die vierfach codierte DNA-Doppelhelix eines Neuen Menschen! Die Gebärmutterschleimhaut hat sich verdickt und mit Nährstoffen angereichert. Im Falle einer Schwangerschaft kann sich die befruchtete Eizelle hier gut einnisten. Wenn die Eizelle nicht befruchtet wurde, löst sie sich auf und geht unbemerkt verloren. Das Wunder des Lebens wirst du dann leider nicht kennen lernen.
Warum also, Brigitte, dieser Studienwunsch?
Die Mutter erzwingt die Antwort, indem sie Brigittes Kopf in eine Schraubzwinge zwängt und langsam an den Rädchen dreht. Warum die vom vorzeitig verstorbenen Vater erwirtschafteten Gelder sinnlos vergeuden, warum verprassen, was die Mutter – spät gefreit, doch nie gereut – als Ehe-, Haus- und Mutterfrau sicher bewahrt? Die Mutter schraubt die Zwinge enger, Brigittes Ohren reißen ein, Blut rinnt aus der Nase, verschmutzt die reine Schürze der Mama, in deren Schoß ein Auge des noch härter zu züchtigenden Kindes fällt wie ein warmes Vierminutenei.
Warum nur, Brigitte, warum?
Brigitte ist 20, kann wenig, weiß wenig, hat nichts. Nur ein Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften an einer traditionslosen Hochschule, das hat Brigitte, und eine Mama hat sie auch. Die Mama ist dreimal so alt wie die Tochter, kann noch weniger, weiß alles besser und hat gar nichts, nicht einmal ein Studium. Nur Brigitte, den Augapfel, den hat die Mutter fest im Blick und fester noch im Zangengriff.
Brigitte bittet, die liebe Mama möge es doch gut sein lassen! War ihr Schoß fruchtbar, so wird es auch Brigittes sein, und sie wird im Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften lernen, einen potenziellen Kindsvater zu unterhalten, damit er den Unterhalt zahlt.
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