Ben Guterson
Aus dem Englischen von Alexandra Ernst
Mit Illustrationen von Chloe Bristol
Für Jan, John, Dave und Mary
ERSTER TEIL: DIE GEFAHREN DES STURMS ERSTER TEIL
KAPITEL 1: DER EINGANG STECKT UNTER STEINEN
KAPITEL 2: VOLLER ELAN NACH HAUSE
KAPITEL 3: EINE GABE SUCHT IHRESGLEICHEN
KAPITEL 4: WOHIN DIE SEELE SENDEN?
KAPITEL 5: EINE RÜGE FÜHLT SICH UNGERECHT AN
KAPITEL 6: EIGENE WEGE HEIMLICH GEHEN
KAPITEL 7: ES SENKT SICH ERSCHROCKENE STILLE ÜBER DEN SAAL
KAPITEL 8: DIE STILLE NACH DEM STURM
KAPITEL 9: EIN GANG IN DER NACHT
ZWEITER TEIL: DAS BEBEN DEHNT SICH AUS
KAPITEL 10: KEIN FREUND IN DEM ÜBLICHEN SINNE
KAPITEL 11: «ES WAR MIR WIRKLICH EIN VERGNÜGEN.»
KAPITEL 12: IN NORBRIDGES SCHRANK IST EINIGES VERSTECKT
KAPITEL 13: EINE WUNDERBARE MISSION
KAPITEL 14: EIN BESUCH BEI DER KINDLICH ALTEN DAME
KAPITEL 15: EIN BESENSTIEL IST EIN GEFÄHRLICHES DING
KAPITEL 16: DIE VERWIRRUNG GEHT IN DIE NÄCHSTE RUNDE
KAPITEL 17: ICH HABE EVENTUELL ETWAS HERAUSGEFUNDEN!
KAPITEL 18: UND GLEICH DARAUF STANDEN ALLE VOR GRACELLAS TÜR
DRITTER TEIL: DIE GEHEIMEN GEDANKEN DES RILEY GRANGER
KAPITEL 19: DIE BROSCHÜRE NIMMT GESTALT AN
KAPITEL 20: FERN UND NAH IN AUSBLICKEN – DIE CAMERA OBSCURA IN AKTION
KAPITEL 21: EIN FEUER LÖST EINE HEFTIGE DISKUSSION AUS
KAPITEL 22: RILEY GRANGERS ANSICHT BARG EINEN KONFLIKT ZWISCHEN FREUNDEN
KAPITEL 23: GEDICHTE, DOCH AUCH GEDANKEN
KAPITEL 24: DIE WORTE AN DER WAND REIMEN SICH … NICHT NUR!
KAPITEL 25: EINE BELIEBIGE ANSAMMLUNG VON WÖRTERN
VIERTER TEIL: MIT GLAUBEN UND WÜNSCHEN DER DUNKELHEIT ENTGEGEN
KAPITEL 26: FREDDY ENTDECKT DAS TUCH – UND ELIZABETH WEICHT VOM WEG AB
KAPITEL 27: EIN ZUFÄLLIGES TREFFEN BEI DER ALTEN MINE
KAPITEL 28: WIE DER PERMAFROST ERNEUT FÜR ANGST UND SCHRECKEN SORGT
KAPITEL 29: VON DEN ÄNGSTEN EINER NACHT
KAPITEL 30: WER KOMMT ZUM ABENDESSEN?
KAPITEL 31: DIE PARTY IST EIN VOLLER ERFOLG
KAPITEL 32: EIN ALTER BRIEF – EIN DÜSTERES GEHEIMNIS
KAPITEL 33: DIE NACHT EILT DEM ENDE ENTGEGEN
KAPITEL 34: EIN WUNSCH VOLL EBENSOLCHER MACHT
DANKSAGUNG
Leseprobe
KAPITEL 1
KAPITEL 2
«In Bruno Gestens erstem Roman Der Bruchstück-Betrug zitiert eine der Figuren aus erfundenen Büchern, ein sinnloses und gleichzeitig großartiges Unterfangen.»
Aus: Ewiges Marbella von Pierre Menard
ERSTER TEIL
KAPITEL 1
DER EINGANG STECKT UNTER STEINEN
An einem eiskalten Samstagnachmittag Mitte März fuhr Elizabeth Somers allein durch die Winterlandschaft, als sie ein blutrotes Tuch entdeckte, das neben der Loipe an den Ast einer Erle gebunden war. Sie hatte gerade umkehren wollen, zum einen, weil ihr Großvater Norbridge sie gebeten hatte, nicht länger als zwei Stunden wegzubleiben, zum anderen, weil sich der Himmel mit Wolken verdunkelt hatte und außerdem noch eine Menge Hausaufgaben auf sie warteten. Aber gerade als sie die Spitzen der Stöcke in den Schnee grub, um ihre Langlaufskier zu wenden, hatte das Stück Stoff ihre Aufmerksamkeit erregt. Es war ein rotes Taschentuch, das schlaff an dem Ast hing, der einzige Farbklecks in dem ansonsten schier endlosen Weiß, durch das sich die Loipe zog.
Elizabeth hielt an und betrachtete das Tuch. Es war ausgefranst und hing anscheinend schon eine ganze Weile da. Sie zupfte mit ihren behandschuhten Fingern daran, aber der Knoten war fest. Der Atem stand ihr in kleinen Wölkchen vor dem Gesicht, und der Schweiß auf ihrer Stirn wurde kalt, als ihr klar wurde, dass sie auf diesem Pfad noch nie so weit gefahren war. Sie drehte sich um und betrachtete das verschneite Tal, in dem sie sich befand. Nirgends waren Häuser zu sehen, nur winterkahle Tannen und Erlen und – weit im Osten – hohe Berge unter einem ergrauenden Himmel. Alles war still.
Wer bindet hier draußen, mitten im Nirgendwo, ein Tuch an einen Baum? , wunderte sich Elizabeth.
Noch einmal blickte sie sich um, dann musterte sie den Boden vor ihren Skispitzen. In dem Pulverschnee prangten Fußabdrücke, die von dem Baum auf einen Geländeanstieg zuführten, der etwa hundert Meter nördlich hinter der Biegung eines vereisten Bachs lag.
Das Gefühl überkam Elizabeth, diese mittlerweile vertraute Intuition – bei der ihr Magen absackte und es in ihrem Kopf zu surren begann –, dass hier in der Umgebung mehr verborgen lag, als man auf den ersten Blick sehen konnte: eine Überraschung, die auf sie wartete, vielleicht sogar eine Person.
«Hallo?», rief sie und schaute zu dem Hügel. «Ist hier jemand?»
Sie bekam keine Antwort. Nur der Wind seufzte in den Baumkronen, ehe es wieder ganz still wurde.
«Ich habe keine Angst», flüsterte Elizabeth.
Sie zog sich die Mütze tiefer über die Ohren, während sie noch einmal rechts und links die Loipe entlangschaute. Dann löste sie die Bindung ihrer Skischuhe, trat aus den Skiern und folgte den Fußspuren.
Direkt hinter dem gefrorenen Bach führten die Spuren einen gewaltigen verschneiten Erdwall hoch, dessen obere Kante bis zu den Kronen der ringsum stehenden Erlenbäume aufragte. Als Elizabeth ein paar Schritte weiter hinaufstieg, gelangte sie zum Rand eines baumlosen Kreises, der so riesig war, dass die Eisbahn des Hotels Winterhaus gut und gerne zehnmal hineingepasst hätte. Schneebemützte Felsblöcke bedeckten den Kreis. Was vor ihr lag, sah aus wie ein großer Teich, den man mit Felsgestein aufgefüllt hatte, eingefasst von einer wallartigen Böschung, auf der sie jetzt stand.
Was ist das bloß? , fragte sich Elizabeth.
Die Fußspuren zogen sich bis zu einer kleinen Lichtung inmitten der Felsbrocken hinunter, und Elizabeth folgte ihnen. Als sie den Boden der Senke erreichte, fiel ihr ein schiefer Pfosten auf, an dessen Spitze ein verbeultes Schild aus beige lackiertem Metall hing. Vor den schneebedeckten Steinen fiel es kaum auf. Es sah aus, als gehöre es zu der Landschaft. Elizabeth rieb sich den Schnee von der Brille und betrachtete das Schild. Die orangefarbenen Buchstaben waren so verblasst, dass man sie kaum noch lesen konnte.
GEFAHR! DIE RIPPLINGTON MINENGESELLSCHAFT ERKLÄRT DIESE MINE, DEN «SILBERWEG», FÜR GESCHLOSSEN! DIE MINE WURDE VERSIEGELT UND IST NICHT MEHR ZUGÄNGLICH! ZUR SICHERHEIT ALLER HABEN WIR DEN EINGANG AUFGESCHÜTTET, ABER WIR KÖNNEN KEINE HAFTUNG FÜR PERSONEN ÜBERNEHMEN, DIE VON DIESEM PUNKT AUS WEITERGEHEN! KEHREN SIE UM! ES IST NICHT SICHER HIER!
Elizabeth spürte ein Flattern in ihrer Brust. Sie wusste, dass sich die unzähligen Gänge des Silberwegs, der vor über einem Jahrhundert aufgegeben worden war, von hier aus in alle Richtungen erstreckten und unter dem Winterhaus ein wahres Labyrinth aus Tunneln bildeten. In einem dieser Gänge hatte Elizabeth vor fast drei Monaten Norbridges Schwester Gracella überwältigt, die Zauberin, die versucht hatte, Macht über sie zu erlangen. Sie wusste auch, dass Gracella zwar besiegt war, dass ihr Körper aber immer noch in jenem düsteren Tunnel unter der Erde lag. Durch eine dunkle Magie war ihr irdischer Leib nicht nur zu Stein erstarrt, er ließ sich auch keinen Zentimeter bewegen, und Norbridge hatte sie vorsorglich dort, wo sie lag, in Beton einschließen lassen und die Türen im Winterhaus, die zu den unterirdischen Gängen führten, versiegelt. Elizabeth wurde klar, dass der einzige Zugang zum Silberweg die kreisrunde Öffnung war, über der sie stand und die mit tonnenschwerem Felsgestein gefüllt war. Ein Schauder lief ihr über den Rücken, als sie das verbeulte Warnschild noch einmal las.
Читать дальше