Ich habe ein bisschen geforscht, und hier sind ein paar Updates für dich. Mach dich bereit, vor Ehrfurcht auf die Knie zu sinken: Fred – Rufe – Kufe – Fuge – Flug – Klug. Du weißt, was ich meine, nicht wahr? Aber mal was anderes: Ich habe mir diese Website über Ahnenforschung angeschaut, von der ich dir erzählt habe – wogenauduherkommst.com–, um herauszufinden, ob es zwischen den ganzen Leuten, die Gracella geholfen haben, irgendwelche Verbindungen gibt. Also, wir wissen Folgendes: Riley Granger (oder, wie ich ihn nenne: «Der Typ, der vor langer, langer Zeit all die verrückten und rätselhaften Dinge im Winterhaus erschaffen hat, nur um uns in den Wahnsinn zu treiben») war der Vater von Ruthanne Sweth Granger, die Monroe Hiems heiratete. Ihr Sohn war Marcus Hiems (der aus diesem Grund die Geschichten über das Buch kannte) und der wiederum Gracellas Tochter Selena Winters heiratete. Außerdem heiratete Rileys Cousine Jenora Sweth einen Kerl namens Peter Powter, und die beiden bekamen einen Sohn, Ernest Powter, den Vater von Rodney und Elana. Die Powters sind mit Selena verwandt, weshalb sie so gut über Winterhaus Bescheid wussten. Aber ich habe Neuigkeiten: Peter Powter hatte eine Schwester namens Patricia, und sie war diejenige, deren Namen du in dem alten Gästebuch gefunden hast! Du weißt schon, die Frau, die mit dem alten Riley Granger im Winterhaus war. Unheimlich, was? Und interessant!
Und noch etwas habe ich herausgefunden. Zwar hatte ich keinen Erfolg in meiner Recherche über die Dredforth-Methode, aber vor ein paar Tagen bin ich auf einer Website mit dem Titel «Der blutrote Skarabäus» gelandet. Ich weiß nicht, wer das ganze Zeug zusammengestellt hat, aber es geht von vorne bis hinten nur um Magie. Ich habe dir das Wichtigste rausgeschrieben:
Der schottische Scharlatan und Bösewicht Aleister Winters deutete wiederholt an, dass er und sein Zirkel das Geheimnis des ewigen Lebens durch ein Ritual ergründet hätten, das er die «Dredforth-Methode» nannte. Winters glaubte, dass sich Seelen von menschlichen Körpern lösen und später wieder in sie einkehren könnten, wenn die Umstände optimal seien. Aber Winters behauptete, dass im Falle eines Todes die «unbehauste Seele» spätestens am Abend des dritten Vollmonds nach dem Dahinscheiden der Person mit dem Körper wieder vereint werden müsse, ansonsten sei sie für immer verloren. Der Schriftsteller Damien Crowley, der in den 1950ern dem Einfluss von Aleister Winters erlag, soll angeblich das Geheimnis der Dredforth-Methode in einem unveröffentlichten Roman verraten haben. Die meisten Wissenschaftler halten die ganze Geschichte um Winters und Crowley für reinen Humbug .
Irre, oder? Im Grunde genommen ist es so, dass Gracellas Mann diese magische Zeremonie entwickelt hat, über die wir beide mehr erfahren wollen, und dann hat Damien Crowley ein Buch darüber geschrieben. Wir müssen dringend miteinander reden, findest du nicht auch?
Okay, ich muss los. Oh, und bitte lass mir ein paar Flurschen übrig. Ich hoffe, meine Eltern ändern nicht wieder in letzter Minute ihre Meinung, wie an Weihnachten. Aber selbst wenn, dann werde ich dafür sorgen, dass sie wenigstens mich kommen lassen!
Bis bald ,
Freddy .
PS: Ich hoffe wirklich, dass es Elana besser geht .
Elizabeth war sprachlos. Sie hatte zum ersten Mal in einem Brief, den sie vor zwei Jahren im Hotelzimmer von Selena Hiems gefunden hatte, über die Dredforth-Methode gelesen. Unterschrieben war der Brief nur mit dem Buchstaben D. Und obwohl sie keine Ahnung hatte, was es mit dieser Methode auf sich hatte, wusste sie genau, dass es sich um eine Magie handelte, mit der man Seele und Körper einer Person voneinander trennen konnte, um beides zu erhalten, wenn auch in einem geschwächten und beschränkten Zustand. Elizabeth hatte die halbe Bibliothek auf den Kopf gestellt, ohne dass es ihr gelungen war, mehr darüber in Erfahrung zu bringen.
Sie stand auf und ging zum Fenster. Der Schneefall schien noch dichter geworden zu sein. Sie zog die Vorhänge zu und kehrte zu ihrem Laptop zurück, um eine Google-Suche nach dem aktuellen Mondzyklus zu starten. Auf dem Bildschirm erschien eine Tabelle mit Daten, und es dauerte nicht lange, da dämmerte ihr eine schreckliche Erkenntnis: Der dritte Vollmond nach Gracellas Tod ist in zwei Wochen – in der Nacht vor Ostern .
Am liebsten hätte sie Freddy eine Antwort geschrieben und seine Entdeckung kommentiert und ihm außerdem erzählt, was sie an der Mine erlebt hatte und wie froh sie war, dass er bald hier sein würde. Aber sie wollte sich nicht verspäten. Sie konnte kaum erwarten zu erfahren, was mit Elana los war, und sie musste Norbridge unbedingt von dem roten Schimmer berichten, den sie im Schnee über der verlassenen Mine beobachtet hatte.
Und auch von der Dredforth-Methode , dachte sie. Ich werde Norbridge erzählen, was Freddy herausgefunden hat .
Sie klappte den Computer zu, stand auf und machte sich auf den Weg zum dreizehnten Stock.
KAPITEL 5
EINE RÜGE FÜHLT SICH UNGERECHT AN
Elizabeth klopfte an die Tür des Observatoriums, und als sie ein herzliches «Herein!» hörte, trat sie ein. Das Zimmer war klein und nur spärlich möbliert, doch das Messingteleskop auf dem verglasten Balkon war sehr beeindruckend. Norbridge hatte Elizabeth schon alles Mögliche gezeigt, von den Ringen um den Saturn bis zum weit entfernten Berg Mount Arbaza. Der aufregendste Anblick durch das Teleskop war für Elizabeth aber immer noch die Statue von Winifred, ihrer Mutter, auf der anderen Seite des Lake Luna. Der Weg dorthin war noch nicht frei, aber Elizabeth hoffte, dass sich das bald ändern würde. Sie konnte es kaum erwarten.
«Elizabeth, meine Liebe!», sagte Norbridge, der durch die Tür am Ende des kurzen Flurs trat, gleich neben dem Wohnzimmer. Er trug sein übliches Wolljackett, ein weißes Hemd, eine schwarze Fliege und schwere Stiefel. Sein schneeweißer Bart war so sorgfältig gestutzt wie immer. Das Gesicht mit den roten Wangen und den fröhlich funkelnden Augen wirkte so gut gelaunt, wie Elizabeth es von ihm kannte.
Norbridge breitete die Arme aus. «Da bist du ja!»
Elizabeth lächelte. «Jackson sagte, du wolltest mich sprechen.»
«Das ist richtig.» Er lockte sie mit dem Finger, ehe er sich abwandte und sagte: «Hier hinein, bitte. Ich muss ein paar Dinge mit dir besprechen.»
Auf dem Boden von Norbridges Büro lag ein silberschwarzer Navajo-Teppich. Der Raum wurde von zwei Lampen erleuchtet, und an den Wänden standen Vitrinen und Regale und ein unordentlicher Schreibtisch. Bodentiefe Fenster gaben den Blick frei auf den dunklen Himmel. Aber das Bemerkenswerteste an dem Raum waren die glänzenden Wandbilder aus blauen und weißen Fliesen, die Szenen aus der bewegten Geschichte des Hotels zeigten: beachtliche Leistungen im Bergsteigen, Skifahren oder sonstige Aktivitäten der Falls-Familie, daneben Ereignisse wie zum Beispiel die Landung des berühmten Ballonfahrers Hector Velasquez neben dem Lake Luna am Ende seiner faszinierenden Tour «Mit dem Luftschiff durch den ganzen Kontinent» oder den Abend, als die unvergleichliche Fado-Sängerin Helena Ferreira ihr melancholisches Live-Album «Ich sehne mich nach dem Puderzucker meiner Jugend» im voll besetzten Saal der Künste aufnahm, während das Publikum andachtsvoll lauschte und dabei Flurschen naschte. Das Album hatte es an die Spitze der Charts geschafft. Dutzende solcher Szenen schmückten die Wände in Blau auf Cremeweiß. Elizabeth fand, diese Fliesenbilder waren das Allerschönste im Winterhaus. Es gab sogar ein Bild ihrer Mutter als junges Mädchen. Der jüngste Mensch, der je den Mount Arbaza bestiegen hat: Die abenteuerlustige und furchtlose Winifred Falls, 11 Jahre alt lautete die Inschrift unter dem Bild, auf dem Winnie in einem dicken Parka auf dem Gipfel des Berges stand. Jedes Mal, wenn sie dieses Bild anschaute, war Elizabeth tief bewegt: Sie fühlte sich stolz und energiegeladen und gleichzeitig traurig, dass sie ihre Mutter vor acht Jahren verloren hatte.
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