Der Kamin war klein, eher ein Ofen und ich zog einen Korb mit Holz unter einem Stapel vergilbter Zeitungen hervor. Zum ersten Mal schien es mir ein Vorteil zu sein, vom Land zu stammen, denn ein Feuer zu machen war für mich tägliche Routine gewesen.
Ich brauchte nicht lange, um ein paar dünne Hölzer zu stapeln, dickere Holzscheite darüber zu lagern und den Rest mit Spänen zu stopfen. Im Korb fand ich ein paar Zündhölzer und benutzte die Zeitung, um das Feuer zu entfachen. Als die Wärme zunahm und nicht nur meine Hände, sondern auch mein Gesicht und den Rest meines Körpers erreichte, seufzte ich wohlig und gab mir ein paar Sekunden, in denen ich einfach nur vor dem Feuer hockte, ehe ich die Klappe schloss und wieder auf die Galerie hinauseilte.
Mr Reed schob mir einen Wagen mit Büchern hin und ich stellte erleichtert fest, dass sie nicht ganz so ramponiert waren wie die, die ich bisher aus den Regalen geholt hatte. »In den Raum zum Trocknen!«, befahl er mir und wischte sich das nasse Haar aus den Augen.
»Verflucht«, hörte ich Oscar, als er mit Cody im Schlepptau auf den Rundgang hochkam.
»Einen Wagen holen und Bücher aus der Gefahrenzone bringen!«, wandte sich Mr Reed an die Jungen und genau in diesem Moment hörte es ganz plötzlich auf zu regnen. Alle Blicke wanderten nach oben, wo gerade mehrere Männer ein großes Wachstuch über die Scheiben spannten.
»Neuer Plan, Jungs. Geht rüber ins Personalgebäude und lasst euch von Mrs Christy Tücher zum Aufwischen geben«, erklärte Mr Reed und die beiden verschwanden wortlos wieder die Treppe nach unten.
Mr Reeds Blick wanderte zu mir und er lächelte. Es war der surrealste Moment, den ich mir hätte ausdenken können. Er stand in seiner Bibliothek, von oben bis unten durchnässt, in jeder Hand ein völlig ruiniertes Buch und doch konnte er sich darüber freuen, dass kein Wasser mehr in seine heiligen Hallen tropfte.
»Wie geht es mit dem Feuer voran?«, erkundigte er sich bei mir, legte die zwei Bücher auf einen Stapel mit anderen tropfnassen Schriftstücken, die rettungslos verloren waren, und kam auf mich zu.
Er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, aber ich konnte sehen, dass er fror.
»Es brennt«, informierte ich ihn und er hob überrascht eine Augenbraue. Er hatte wohl nicht erwartet, dass mir so etwas leicht von der Hand ging. »Ich komme vom Land, Mr Reed«, klärte ich ihn daher auf und er nickte nur. »Sie sollten sich eine Weile davorsetzen und die Bücher trocknen, solange ich hier draußen weitermache«, bot ich ihm an und wartete seine Antwort gar nicht erst ab. Ich schob ihm den Wagen hin, den er mir gerade zugewiesen hatte, raffte meine Röcke, um über eine Pfütze zu balancieren, und begann dann, Papierfetzen vom Boden aufzuklauben.
Hinter mir hörte ich die Räder des Wagens rattern und lächelte heimlich darüber, dass er auf mich gehört hatte.
Es dauerte sicher noch eine weitere Stunde, bis alles trocken gewischt und sauber gekehrt war. Ein paar der Studenten, die an diesem Vormittag in der Bibliothek aufgetaucht waren, halfen mit, die Scherben und Splitter nach draußen zu schaffen und die Metallschilder von den kaputten Büchern abzutrennen.
Hundertdreiundzwanzig Bücher waren dem Regen zum Opfer gefallen. Dazu kamen noch etliche, von denen wir dachten, sie doch noch retten zu können. Es war einfach nur ärgerlich und jedes Metallplättchen, das in die kleine Kiste wanderte, war wie ein Stich in meinem Herzen.
Wir würden all diese Bücher neu beschaffen müssen. Ein Glück, dass es über alle Werke so detaillierte Aufzeichnungen gab. Resigniert seufzte ich in mich hinein, denn es würde ganz sicher meine Aufgabe sein, all die Anschriften zusammensuchen zu müssen und mit den Daten der Bücher zu notieren.
Ich rieb mir gerade die Hände warm und wollte im Lesesaal an einem der Tische damit beginnen, die Plättchen alphabetisch nach Autoren zu ordnen, da stellte jemand eine Tasse Tee vor mir ab.
Mein Blick folgte der schmalen Hand, die mir so bekannt war, bis zu ihrem Besitzer. Henry zog sich den Stuhl neben mir heraus.
»Ich hab gehört, was passiert ist«, sagte er und ich lächelte ihn traurig an.
»Danke für den Tee«, antwortete ich ihm nur und nahm die heiße Tasse zwischen meine klammen Finger.
»Ich hab eine ganze Kanne dabei«, gab er zurück und ich lachte. Henry war wirklich ein sehr fürsorglicher Mensch. Genau wie meine Mutter. Nur dass sie es viel zu oft damit übertrieb.
»Wir sollten Mr Reed eine Tasse nach oben bringen«, meinte ich schnell und erhob mich schon von meinem Stuhl.
»Hört, hört. Für Mr Reed«, spottete mein Bruder spaßhaft und zauberte eine zweite Tasse aus seiner Manteltasche. »Er hat seinen Thron als Höllenkreatur dann wohl hinter sich gelassen, hm?«, ärgerte er mich und ich sah ihn missbilligend an.
»Wenn er einen gerade nicht herumscheucht wie einen Leibsklaven. Ja, dann vielleicht«, gestand ich ein und nahm die Tasse entgegen, die Henry daraufhin aus einer chinesischen Kanne mit Tee füllte.
»Ich bin stolz auf dich«, sagte Henry und lächelte das Lächeln eines großen Bruders.
Ich wusste nicht genau, wie das für ihn nun wirklich zusammengehörte, aber ich beließ es dabei und freute mich, keine Rüge von ihm zu bekommen.
Die Tasse balancierend, betrat ich das kleine Zimmerchen, in dem Mr Reed gerade einen Holzscheit im Ofen nachlegte.
»Mein Bruder ist unten und hat Tee mitgebracht«, informierte ich ihn und stellte die Tasse auf einen freien Platz zwischen die Bücher. Mr Reed hatte sie auf dem Tisch ausgebreitet, die Buchdeckel geöffnet, sodass das wellige Papier in der warmen Luft des Raumes trocknen konnte.
»Danke«, antwortete der Bibliothekar und erhob sich von dem Ofen. Seine Kleidung war nicht mehr so nass wie zuvor, sein dunkles Haar stand nun jedoch struppig vom Kopf ab. Ich verkniff mir ein Lächeln, denn sein schon beinahe unordentliches Erscheinungsbild ergab einen sehr viel sympathischeren Mann als den reservierten, starren Beamten, den er sonst mimte.
»Ihr Bruder?«, erkundigte Mr Reed sich und nahm die Tasse zur Hand. »Henry Crumb?«
»Ja«, bestätigte ich und es war ein seltsames Gefühl, dass die beiden sich kannten.
»Guter Student, Ihr Bruder«, antwortete er mir wie beiläufig und trank einen Schluck Tee, den er sichtlich genoss. Dann seufzte er und wandte sich mir zu. »So, am besten sollten Sie sich die beschädigten Bücher vornehmen und mir eine Liste der Anschriften der Herausgeber heraussuchen«, erklärte er mir und ich straffte die Schultern.
»Ich habe bereits damit begonnen«, gab ich zurück und drehte mich der Tür zu. Mr Reed wandte sich ebenfalls von mir ab, um sich wieder den Büchern zu widmen, doch ich konnte noch das Lächeln sehen, das sich heimlich auf seine Lippen gelegt hatte. Und für einen kleinen Moment war ich wirklich stolz auf mich.
Schon nach den ersten fünfzehn Büchern, die ich in den Akten nachschlug, stellte ich fest, dass mir alle Unterlagen der letzten zweieinhalb Jahre fehlten. Ich hatte keine Ahnung, wo ich sie suchen musste und auch nach mehrfachem Nachblättern fand ich keinen Hinweis darauf, dass man sie woanders untergebracht hätte oder sie entfernt worden wären.
Als ich Mr Reed darauf ansprach, erklärte er mir lediglich, dass er die Informationen in seinem Büro hätte und sie mir bringen würde, sobald er mit den Officers von der Metropolitan Police gesprochen hätte. Sie waren vor ein paar Minuten bei uns eingetroffen, um sich der Sache mit dem Überseekoffer anzunehmen. Sie äußerten eine Theorie über vorsätzliche Sachbeschädigung, einen Anschlag möglicherweise. Doch Mr Reed vertrat die Ansicht, dass es sich um einen Unfall handelte und einmal mehr ein Gepäckstück auf der Reise mit einem Luftschiff verloren gegangen war. Man versprach, darüber Erkundigungen einzuholen und eine Dreiviertelstunde später kam Mr Reed mit einigen losen Zetteln zu mir.
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