» Leicht übergewichtig?« Sie kicherte. »Aber du hast recht. Wir werden ihnen auch gar nicht folgen.« Sie drehte sich zu ihm um. »Denn sie werden uns bitten, mitzukommen!« Sie öffnete die Tür.
***
Als es klingelte, schossen Emmas Mundwinkel nach unten und sie schaute Cynthia kritisch an, doch die schüttelte den Kopf. Alle Blicke wanderten nun zu Emma und die deutete auf die Waffen. Schnell sammelten Fergus und Drake alles ein und fingen an, die Tasche wieder einzuräumen.
Emma ging zur Tür, öffnete und sah sich einer schwarzhaarigen Mittdreißigerin gegenüber, deren dunkle Augen sie anstarrten, auf ihren Lippen ein leichtes Lächeln. Sie reckte ihr die gebräunte Hand entgegen.
»Miss Emma Wilson, ich bin hocherfreut, Sie endlich kennenzulernen.«
Wie automatisch streckte auch Emma ihre Hand aus, die Fremde ergriff sie und schüttelte sie enthusiastisch.
»Und wer sind Sie?« Emma hielt die Hand fest, um das Schütteln zu beenden.
»Camilla Ortega, ich schreibe für Nacional De Venezuela .«
Emma zog ihre Hand weg und ihre Gesichtszüge erschlafften. Sie spürte Gefahr.
»Was wollen Sie?«
»Nennen Sie mich doch bitte Camilla.« Das Lächeln der Frau blieb.
Emma verschränkte herausfordernd die Arme.
»Schön haben Sie es hier!« Camilla reckte sich und schaute für einen Moment ins Innere des Hauses. Als ihr Blick zu Emma zurückkehrte, wirkte ihr Lächeln noch etwas künstlicher. »Wissen Sie, Miss Wilson, ich habe das Gefühl, Sie schon ewig zu kennen. Ich habe damals noch beim Lokalteil unserer Zeitung gearbeitet, als man Sie ganz allein aus dem Dschungel zurückgebracht hat.« Ihr Blick nahm an Intensität zu, als sie Emma musterte. »Sie haben wirklich meinen journalistischen Ehrgeiz entfacht. Und jetzt, nach all diesen Jahren, kehren Sie endlich dorthin zurück!«
Emma schüttelte langsam den Kopf. »Auf keinen Fall.«
Camilla wurde etwas leiser. »Ich denke, wir werden endlich das Mysterium der Cartwright-Expedition lösen können, oder?«
In Emmas Kopf begannen die Alarmglocken zu schrillen. Wieso weiß diese Frau davon?
Sie biss die Zähne zusammen und baute sich vor der Frau auf. »Hören Sie mal zu, Miss Ortega, ich weiß nicht, was Sie wollen oder was Sie erwarten. Ihre Informationen sind falsch. Ich habe Ihnen nichts zu bieten, und ich werde auch nicht mit den Medien sprechen, egal, ob sie von hier sind oder vom anderen Ende der Welt.«
Camillas Mundwinkel blieben erhoben. »Aber Sie haben mir doch schon so viele Informationen gegeben, Miss Wilson.«
Emmas Gesichtsausdruck wurde finsterer.
»Ich weiß, dass Sie Söldner angeheuert haben und ein paar Wissenschaftler, die Sie begleiten werden.« Sie tippte sich auf ihr Kinn. »Und jetzt sind Sie, glaube ich, gerade dabei, einen kleinen Trip in unseren fantastischen Dschungel zu planen!«
»Verpissen Sie sich!« Emma machte sich daran, die Tür zu schließen, doch Camillas Arm schoss nach vorn. »Warten Sie!«
Die Augen der Frau wurden zu scharfen Waffen. »Ich kann Ihre beste Freundin werden oder Ihr schlimmster Feind, Miss Wilson. Wenn ich nur einen Anruf tätige, bekommen Sie kein Visum für unser Land, nie wieder!«
Emma spürte, wie ihr das Herz in die Hose rutschte. Sie schloss für einen Moment die Augen. Jahrelang hatte sie auf diesen Moment gewartet, hatte jedes erdenkliche Risiko eingeplant – und doch das offensichtlichste vergessen: Menschen. Sie sammelte ihre Kräfte und starrte die Frau böse an, doch Camilla sah nun noch triumphierender und gestärkter aus als ohnehin schon.
»Hören Sie mich nur an. Bitte!« Camilla griff nach Emmas Arm. »Ich kann Ihnen helfen! Dieses Mysterium begleitet mich schon mein halbes Leben, fast ebenso lange wie Ihres! Ich möchte Ihnen nur helfen, es zu lösen. Denn dadurch werden Sie Ihren Frieden finden, denke ich.« Sie zuckte mit den Schultern. »Und ich kann Ihnen in Venezuela helfen. Ich kenne Leute.«
Emma fühlte sich hin- und hergerissen. Ihr Flug ging nach Caracas und von dort würden sie eine Chartermaschine buchen müssen, deren Ziel sie dem Piloten erst nennen würde, wenn sie an Bord waren. Alles mehr oder weniger illegal und deswegen unglaublich teuer.
Das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte, waren Probleme mit venezolanischen Behörden. Es war ein grauenhafter Gedanke, bei der Einreise festgehalten zu werden und dann das schmale Zeitfenster zu verpassen, das ihnen zur Verfügung stand. Primordia würde kommen und gehen und dann die nächsten zehn Jahre nicht zurückkommen.
Emma spürte, wie sich ein Knoten in ihrem Hals zusammenzog. Sie konnte einfach nicht das Risiko eingehen, dass ihr Gepäck eingezogen oder auch nur zu aufmerksam untersucht wurde. Ihre Gedanken rasten, während sie nach einem Ausweg suchte.
»Ich kann Ihnen helfen, das verspreche ich!« Camillas Hand ruhte immer noch warm auf ihrem Unterarm, von wo sie sich zu ihrer Hand bewegte und sie drückte. »Ich verspreche es hoch und heilig.«
Nun musterte Emma die Frau von oben bis unten. Sie war klein, aber robust gebaut, gut angezogen aber nicht übertrieben schick. Um ihren Hals trug sie ein silbernes Kruzifix. Sollte Emma sich überhaupt Gedanken darüber machen, ob diese Frau ihr Leben riskieren oder es im schlimmsten Fall verlieren würde?
»Sie wissen nicht, worum Sie mich hier bitten.«
»Doch, ich weiß ganz genau, worum ich hier bitte«, antwortete Camilla selbstsicher. »Sie gehen in den Amazonas. Ich war schon mehrmals in diesem Dschungel, um diverse Geschichten zu recherchieren. Ich bin fit, ich kann klettern, wandern, schwimmen und schießen wie die besten. Und das Gleiche gilt für meinen Kameramann.«
»Kameramann?«, hustete Emma. »Das geht nicht!«
»Nein, er wird niemanden filmen, der nicht gefilmt werden möchte. Von mir aus können wir nach jedem einzelnen Tag das Material gemeinsam sichten und Sie können alles löschen, was Ihnen nicht gefällt.« Sie trat einen Schritt zurück und legte eine Hand auf ihr Herz, wobei sie auch kurz das silberne Kreuz berührte.
Das bemerkte Emma. »Glauben Sie an den Teufel, Miss Ortega?«, fragte sie ruhig.
»Hmm, früher habe ich nicht an ihn geglaubt. Aber inzwischen hat sich das geändert.«
Emma schaute weiterhin tief in die Augen der Frau und versuchte, einen Entschluss zu fassen.
»Sie werden mich nicht einschüchtern können.« Camilla legte den Kopf schief. »Also?«
Emma wusste, dass sie keine Zeit hatte, sich mit dieser Frau anzulegen. Außerdem gab es tatsächlich etwas, womit sie helfen konnte. Etwas, das nur jemand mit örtlicher Kenntnis des Amazonas tun konnte. Wenn es ihr wirklich so wichtig war, mitzukommen, dann würde sie sich ihren Platz verdienen müssen.
Emma fasste einen Entschluss. »Sie müssen zuerst etwas für mich erledigen. Betrachten Sie es als Test, wenn Sie wollen. Oder als Aufnahmegebühr.«
»Klar, was ist es denn?« Camilla lächelte gütig.
»Sie müssen mit jemandem im Amazonas Kontakt aufnehmen, den ich nicht mehr erreichen konnte. Schaffen Sie das?« Emma hob ihr Kinn.
»Sicher, das bekomme ich hin.« Camilla sah zuversichtlich aus.
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